Kesselchips im Test: Nur zwei Sorten sind "gut"

Jahrbuch für 2017 | Autor: Marieke Jörg | Kategorie: Essen und Trinken | 20.10.2016

Martin Rettenberger/Shutterstock
Foto: Kesselchips im Test. Wir haben 19 Produkte getestet.

Tradition und Authentizität: Schlagworte eines neuen deutschen Genusstrends. Auch die Hersteller von Kesselchips versprechen ehrliches Handwerk. Sind sie also wirklich der bessere Snack? Immerhin: Zwei von 19 Produkten können wir halbwegs guten Gewissens empfehlen.

Aktualisiert am 20.10.2016 | Tradition, Ehrlichkeit, Handwerk: In einer immer stärker globalisierten Welt sind das die Sehnsuchtswerte, auf denen auch der Erfolg uriger Craft-Beer-Brauereien, kleiner Kaffeeröstereien und charmanter Cupcake-Cafés gründet.

Das Prinzip gilt auch für die Kesselchips: Sozusagen als unumstößlichen Beweis ihrer Unverfälschtheit dürfen die Kartoffelscheiben sogar ihre Schale behalten. Handfest und rustikal wirken sie auch deshalb, weil sie bis zu dreimal dicker sind als die herkömmlichen Kartoffelchips, die in endlos langen Durchlauffritteusen mit bis zu 20.000 Litern Öl produziert werden.

Die traditionelle Herstellung der Kesselchips läuft langsamer und schonender ab: In die Behälter, in denen sie frittiert werden, passen nur etwa 2.000 Liter Öl und rund 50 Kilo Kartoffelscheiben auf einmal. Eingebaute Rührfinger bewegen die Chips, ein Mitarbeiter hat ständig ein Auge darauf und rührt regelmäßig per Hand nach.

Einen weiteren Unterschied machen die Temperaturen während die auf Masse und Effizienz ausgelegten Durchlauffritteusen mit circa 180 Grad Celsius befeuert werden, hat das Sonnenblumenöl laut Herstellerangaben bei der Zubereitung im Kessel weit weniger als 150 Grad.

Lisa's Kartoffelchips, Funny Frisch & Co.: Kesselchips im Test

Wir wollten wissen, ob die Kesselchips tatsächlich besser sind als herkömmliche Chips. Wie stark sind sie mit Schadstoffen belastet? Setzen die Hersteller auf zusätzliche Aromastoffe? Und wie hoch sind der Salz- und der Fettgehalt wirklich? Wir haben 19 Kartoffelchips-Sorten in die Labore geschickt.

Ein Novum bei ÖKO-TEST: Zwei Sorten Kesselchips schneiden im Test sogar mit der Note "gut" ab. Totalausfälle gibt es insgesamt sieben. So haben fünf Produkte so viele Mängel, dass sie ein "ungenügend" kassieren, zwei Kesselchips-Sorten sind "mangelhaft". Auch aufgrund von Salz und Fett lautet das Fazit: In Maßen spricht wenig gegen den Genuss der meisten Kesselchips im Test.

Angegebene Portionen sind unrealistisch

Einige der Chipshersteller legen 25 bis 30 Gramm als Portion für die Berechnung von Kalorien und Nährstoffaufnahme zugrunde. Das ist eine kleine Müslischale voll. Aber mal ehrlich wer legt die Chipstüte schon nach zwei beherzten Griffen zur Seite? Eben. Wir halten die Hälfte der größten Tüte im Test für realistischer und haben deshalb 75 Gramm als Portion angenommen.

Zu viel Acrylamid in den meisten Kesselchips im Test

In allen Kesselchips hat das Labor Acrylamid nachgewiesen. Acrylamid ist eine toxische Substanz, die als unerwünschtes Nebenprodukt beim Backen, Braten, Rösten und Frittieren stärkehaltiger Lebensmittel entsteht. Es löst im Tierversuch Krebs aus und schädigt das Erbgut. Bereits kleine Mengen stellen ein Risiko dar.

Immerhin überschreitet kein getestetes Produkt den EU-Richtwert von 1.000 Mikrogramm pro Kilogramm. Dieser steht jedoch in der Kritik: Dänemark hat erst kürzlich einen niedrigeren Wert von 750 Mikrogramm für Kartoffelchips eingeführt. Den knackt zumindest eine Packung Kesselchips im Test locker. Wir meinen: Um die Aufnahme zu begrenzen und weil viele Lebensmittel Acrylamid enthalten, sollte ein einzelnes Nahrungsmittel nicht mehr als zehn Mikrogramm zur Tagesportion beitragen.

Auf 75 Gramm gerechnet übersteigen 17 der 19 Kesselchips im Test diese Grenze, ein Produkt sogar deutlich. Nur zwei Kesselchips-Sorten liegen darunter, was ihnen die Gesamtnote "gut" einbringt.

Kritik an Fettschadstoff-Gehalten

Und wie steht es um Fettschadstoffe? Bei zwei Kesselchips im Test ist hier die tolerierbare Tagesdosis bereits mit einer Portion ausgeschöpft. Und in jeweils einer Portion Chips von zwei weiteren Produkten stecken noch mehr als 50 Prozent der tolerierbarer Tagesdosis.

Erst im März hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die tolerierbare tägliche Aufnahme für die Gruppe der Fettschadstoffe stark abgesenkt. Die Fettschadstoffe 3-MCPD- und Glycidylester können im Körper in freies 3-MCPD und Glycidol umgewandelt werden. Ersteres führt in höheren Dosen zu Nierenschäden und Letzteres ist eindeutig erbgutschädigend und krebserregend.

Im Chipstest vor acht Jahren wiesen noch mehr als die Hälfte der Produkte zu hohe Werte auf. Eine Erklärung für die Verbesserung könnte sein, dass alle getesteten Kesselchips in Sonnenblumenöl frittiert wurden und nicht im billigeren Palmöl, wie die meisten der hoch belasteten Produkte in früheren Tests.

Kesselchips mit zu hohen Chlorprophamrückständen

Landwirte verhindern die Keimbildung von Kartoffeln im Lager auf zwei Arten: Bio-Bauern nutzen temperaturgesteuerte Lagerung, bei der keine Chemie zum Einsatz kommt. Konventionelle Landwirte greifen meist zu chemischen Keimhemmern wie Chlorpropham, das das Labor in zwölf der 19 Kesselchipssorten nachgewiesen hat. Es ist laut Rückstandshöchstmengenverordnung in der Kartoffel bis zu einem Gehalt von 10 Milligramm pro Kilogramm erlaubt.

Für verarbeitete Produkte aus ungeschälten Kartoffeln kann nach Auskunft des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) ein Verarbeitungsfaktor von 0,15 angenommen werden. Da dieser jedoch aufgrund einer geringen Datenbasis einen großen Spielraum offenlässt, bewerten wir die nachgewiesenen Chlorprophamrückstände in den meisten Chips als Spuren nur eine Kesselchips-Sorte im Test übersteigt die so berechnete Höchstgrenze deutlich und wird abgewertet. 

Von wegen "natürliches Aroma"

In der Zutatenliste von 14 Kesselchips-Sorten ist "natürliches Aroma" aufgeführt. Das soll Verbraucherinnen und Verbrauchern das Gefühl geben, dass natürliche Inhaltsstoffe verwendet werden. Stimmt aber nicht: "Natürlich" heißt keineswegs, dass die Zusammensetzung eines Aromas dem der Chilischote, Paprika oder Tomate entspricht.

Es bedeutet bloß, dass die Ausgangsstoffe für die industrielle Herstellung aus der Natur stammen. Das Aroma ist trotzdem beliebig zusammengesetzt. In vier der aromatisierten Produkte steckt zudem Hefeextrakt, das geschmacksverstärkend wirkt und meist Glutamat enthält. Ein weiteres Produkt hat "Aroma" deklariert.

Diesen Test haben wir zuletzt im ÖKO-TEST-Magazin 6/2016 veröffentlicht. Aktualisierung der Testergebnisse/Angaben für das Jahrbuch für 2017 sofern die Anbieter Produktänderungen mitgeteilt haben oder sich aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse die Bewertung von Mängeln geändert oder wir neue/zusätzliche Untersuchungen durchgeführt haben.

Weiterlesen auf oekotest.de:

Wir haben diese Produkte für Sie getestet

Testverfahren

Der Einkauf: Kesselchips stammen ursprünglich aus den USA und Großbritannien. Seit sie ihren Weg nach Deutschland gefunden haben, finden sie immer mehr Fans: Discounter, Supermärkte und auch viele Bio-Märkte haben sie in ihr Sortiment aufgenommen. Dort haben wir sie auch gekauft - exotischere Sorten haben wir im Internet bestellt. Die Kesselchips im Test kosten zwischen 86 Cent und 3,18 Euro pro 100 Gramm. Angeboten werden die Tüten in allen möglichen Varianten zwischen 100 und 150 Gramm.

Die Inhaltsstoffe: Kartoffeln sind die Hauptzutat der Kesselchips. Als Naturprodukt sind sie anfällig für Umwelteinflüsse und Schädlinge, die die Landwirte auf dem Feld und bei der Lagerung bekämpfen wollen. Deshalb haben wir die Chips im Labor auf Pestizidrückstände testen lassen. Außerdem standen der Salz- und Fettgehalt, Acrylamid und das potenziell krebserregende 3-MCPD, das bei der Raffination von Fetten und Ölen entsteht, auf der Agenda.

Die Weiteren Mängel: Versprechen die Hersteller etwas, das sie nicht halten können? Werden unrealistische Portionsgrößen zur Berechnung von Kalorien und Nährstoffen herangezogen? Und wie stark unterscheiden sich die deklarierten Salz- und Fettmengen von denen, die das Labor gemessen hat? Das haben wir uns ganz genau angesehen.

Die Bewertung: Wenn das Labor problematische Substanzen in Lebensmitteln nachweist, legen wir unseren Berechnungen eine Portionsgröße zugrunde, um die tatsächliche Gesundheitsbelastung zu beurteilen. Die von vielen Herstellern angegebenen 25 bis 30 Gramm halten wir allerdings für unrealistisch wenig. Um zu berechnen, ob Acrylamid, 3-MCPD oder andere Substanzen unsere Abwertungsgrenzen überschreiten, haben wir deshalb eine Portion von 75 Gramm angenommen.

Bewertungslegende

Bewertung Testergebnis Inhaltsstoffe: Unter dem Testergebnis Inhaltsstoffe führt zur Abwertung um jeweils vier Noten: a) eine "stark erhöhte" Menge von mehr als 50 µg Acrylamid pro Portion (75 g); b) ein Gehalt an Glycidylester (berechnet als Glycidol) von mehr als 24 µg je 75-g-Portion ("Fettschadstoffe stark erhöht") und/oder eine Summe der 3-MCPDund Glycidyl-Fettsäureester (berechnet als 3-MCPD) von mehr als 48 µg je 75-g-Portion ("Fettschadstoffe stark erhöht"). Die Bewertung erfolgt in Anlehnung an die tolerierbare tägliche Aufnahme (TDI) für 3-MCPD und dessen Fettsäuren von 0,8 µg/kg Körpergewicht, herausgegeben von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) im Mai 2016. Als Körpergewicht haben wir 60 kg zugrunde gelegt.

Zur Abwertung um jeweils zwei Noten führen: a) eine "erhöhte" Menge von mehr als 10 bis 50 µg Acrylamid pro Portion; b) ein Cadmiumgehalt, der zu einer Ausschöpfung von mehr als 50 Prozent der tolerierbaren Tagesaufnahme führt, berechnet aus dem PTWI (tolerierbare wöchentliche Aufnahme) von 2,5 µg/kg Körpergewicht; zugrunde gelegt wurden eine Portionsgröße von 75 g sowie 60 kg Körpergewicht; c) eine Summe der 3-MCPD- und Glycidyl-Fettsäureester (berechnet als 3-MCPD) von mehr als 24 µg je 75-g-Portion ("Fettschadstoffe erhöht"). Die Bewertung erfolgt in Anlehnung an die tolerierbare tägliche Aufnahme (TDI) für 3-MCPD und dessen Fettsäuren von 0,8 µg/kg Körpergewicht, herausgegeben von der EFSA im Mai 2016. Als Körpergewicht haben wir 60 kg zugrunde gelegt.

Zur Abwertung um jeweils eine Note führen: a) ein erhöhter Gehalt von mehr als 10 mg/kg des Keimhemmungsmittels Chlorpropham in der Kartoffel, errechnet mit einem Verarbeitungsfaktor von 0,15; b) natürliches Aroma und/oder (Trocken-) Hefeextrakt.

Bewertung Testergebnis Weitere Mängel: Unter dem Testergebnis Weitere Mängel führen zur Abwertung um jeweils eine Note: a) eine auf der Verpackung genannte unrealistische Portionsgröße von 25 bis 30 Gramm; b) der deklarierte Salzgehalt weicht um mehr als +20 Prozent vom analysierten Salzgehalt ab, wenn der deklarierte Salzgehalt = 1,25 Gramm pro 100 Gramm beträgt, oder um mehr als 0,375 Gramm, wenn der deklarierte Salzgehalt unter 1,25 Gramm pro 100 Gramm liegt.

Das Gesamturteil beruht auf dem Testergebnis Inhaltsstoffe. Ein Testergebnis Weitere Mängel, das "befriedigend" oder "ausreichend" ist, verschlechtert das Gesamturteil um eine Note.

Testmethoden

Natrium/Salzäquivalente: Aufschluss DIN EN 13805: 2014; Messung ASU L 00.00-144: 2013 mod. (ICP-MS). Die Probe wird in einer Mikrowelle mit Säure aufgeschlossen. In der Lösung wird Natrium mit ICP-MS mittels externer Kalibrierung bestimmt; Fett: ASU L 17.00-4 mod.; 3-MCPD-Ester, Glycidylester: DGF C-VI 18 (10); Acrylamid, Solanin, Chaconin: LC-MS/MS; Pestizide: Pestizidscreening GC/MS für Lebensmittel mit hohem Fettgehalt nach § 64 LFGB L00.00-34, mod. und Pestizidscreening mittels LC/MS/MS in fettreichen Lebensmitteln nach § 64 LFGB L13.04-5, mod.; Elemente: Methode: Elementbestimmung mittels ICP-MS; Probenvorbereitung: Totalaufschluss in der Mikrowelle. PVC/PVDC/chlorierte Verbindungen: Röntgenfluoreszenzanalyse.

Einkauf der Testprodukte: Februar 2016.

Diesen Test haben wir zuletzt im ÖKO-TEST-Magazin 6/2016 veröffentlicht. Aktualisierung der Testergebnisse/Angaben für das Jahrbuch für 2017 sofern die Anbieter Produktänderungen mitgeteilt haben oder sich aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse die Bewertung von Mängeln geändert oder wir neue/zusätzliche Untersuchungen durchgeführt haben.

Tests und deren Ergebnisse sind urheberrechtlich geschützt. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlags dürfen keine Nachdrucke, Kopien, Mikrofilme oder Einspielungen in elektronische Medien angefertigt und/oder verbreitet werden.

Jahrbuch für 2017
Jahrbuch für 2017

Jetzt Ausgabe als ePaper kaufen!