Aktualisiert am 20.10.2016 | Tradition, Ehrlichkeit, Handwerk: In einer immer stärker globalisierten Welt sind das die Sehnsuchtswerte, auf denen auch der Erfolg uriger Craft-Beer-Brauereien, kleiner Kaffeeröstereien und charmanter Cupcake-Cafés gründet.
Das Prinzip gilt auch für die Kesselchips: Sozusagen als unumstößlichen Beweis ihrer Unverfälschtheit dürfen die Kartoffelscheiben sogar ihre Schale behalten. Handfest und rustikal wirken sie auch deshalb, weil sie bis zu dreimal dicker sind als die herkömmlichen Kartoffelchips, die in endlos langen Durchlauffritteusen mit bis zu 20.000 Litern Öl produziert werden.
Die traditionelle Herstellung der Kesselchips läuft langsamer und schonender ab: In die Behälter, in denen sie frittiert werden, passen nur etwa 2.000 Liter Öl und rund 50 Kilo Kartoffelscheiben auf einmal. Eingebaute Rührfinger bewegen die Chips, ein Mitarbeiter hat ständig ein Auge darauf und rührt regelmäßig per Hand nach.
Einen weiteren Unterschied machen die Temperaturen – während die auf Masse und Effizienz ausgelegten Durchlauffritteusen mit circa 180 Grad Celsius befeuert werden, hat das Sonnenblumenöl laut Herstellerangaben bei der Zubereitung im Kessel weit weniger als 150 Grad.
Lisa's Kartoffelchips, Funny Frisch & Co.: Kesselchips im Test
Wir wollten wissen, ob die Kesselchips tatsächlich besser sind als herkömmliche Chips. Wie stark sind sie mit Schadstoffen belastet? Setzen die Hersteller auf zusätzliche Aromastoffe? Und wie hoch sind der Salz- und der Fettgehalt wirklich? Wir haben 19 Kartoffelchips-Sorten in die Labore geschickt.
Ein Novum bei ÖKO-TEST: Zwei Sorten Kesselchips schneiden im Test sogar mit der Note "gut" ab. Totalausfälle gibt es insgesamt sieben. So haben fünf Produkte so viele Mängel, dass sie ein "ungenügend" kassieren, zwei Kesselchips-Sorten sind "mangelhaft". Auch aufgrund von Salz und Fett lautet das Fazit: In Maßen spricht wenig gegen den Genuss der meisten Kesselchips im Test.
Angegebene Portionen sind unrealistisch
Einige der Chipshersteller legen 25 bis 30 Gramm als Portion für die Berechnung von Kalorien und Nährstoffaufnahme zugrunde. Das ist eine kleine Müslischale voll. Aber mal ehrlich – wer legt die Chipstüte schon nach zwei beherzten Griffen zur Seite? Eben. Wir halten die Hälfte der größten Tüte im Test für realistischer und haben deshalb 75 Gramm als Portion angenommen.
Zu viel Acrylamid in den meisten Kesselchips im Test
In allen Kesselchips hat das Labor Acrylamid nachgewiesen. Acrylamid ist eine toxische Substanz, die als unerwünschtes Nebenprodukt beim Backen, Braten, Rösten und Frittieren stärkehaltiger Lebensmittel entsteht. Es löst im Tierversuch Krebs aus und schädigt das Erbgut. Bereits kleine Mengen stellen ein Risiko dar.
Immerhin überschreitet kein getestetes Produkt den EU-Richtwert von 1.000 Mikrogramm pro Kilogramm. Dieser steht jedoch in der Kritik: Dänemark hat erst kürzlich einen niedrigeren Wert von 750 Mikrogramm für Kartoffelchips eingeführt. Den knackt zumindest eine Packung Kesselchips im Test locker. Wir meinen: Um die Aufnahme zu begrenzen und weil viele Lebensmittel Acrylamid enthalten, sollte ein einzelnes Nahrungsmittel nicht mehr als zehn Mikrogramm zur Tagesportion beitragen.
Auf 75 Gramm gerechnet übersteigen 17 der 19 Kesselchips im Test diese Grenze, ein Produkt sogar deutlich. Nur zwei Kesselchips-Sorten liegen darunter, was ihnen die Gesamtnote "gut" einbringt.
Kritik an Fettschadstoff-Gehalten
Und wie steht es um Fettschadstoffe? Bei zwei Kesselchips im Test ist hier die tolerierbare Tagesdosis bereits mit einer Portion ausgeschöpft. Und in jeweils einer Portion Chips von zwei weiteren Produkten stecken noch mehr als 50 Prozent der tolerierbarer Tagesdosis.
Erst im März hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die tolerierbare tägliche Aufnahme für die Gruppe der Fettschadstoffe stark abgesenkt. Die Fettschadstoffe 3-MCPD- und Glycidylester können im Körper in freies 3-MCPD und Glycidol umgewandelt werden. Ersteres führt in höheren Dosen zu Nierenschäden und Letzteres ist eindeutig erbgutschädigend und krebserregend.
Im Chipstest vor acht Jahren wiesen noch mehr als die Hälfte der Produkte zu hohe Werte auf. Eine Erklärung für die Verbesserung könnte sein, dass alle getesteten Kesselchips in Sonnenblumenöl frittiert wurden und nicht im billigeren Palmöl, wie die meisten der hoch belasteten Produkte in früheren Tests.
Kesselchips mit zu hohen Chlorprophamrückständen
Landwirte verhindern die Keimbildung von Kartoffeln im Lager auf zwei Arten: Bio-Bauern nutzen temperaturgesteuerte Lagerung, bei der keine Chemie zum Einsatz kommt. Konventionelle Landwirte greifen meist zu chemischen Keimhemmern wie Chlorpropham, das das Labor in zwölf der 19 Kesselchipssorten nachgewiesen hat. Es ist laut Rückstandshöchstmengenverordnung in der Kartoffel bis zu einem Gehalt von 10 Milligramm pro Kilogramm erlaubt.
Für verarbeitete Produkte aus ungeschälten Kartoffeln kann nach Auskunft des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) ein Verarbeitungsfaktor von 0,15 angenommen werden. Da dieser jedoch aufgrund einer geringen Datenbasis einen großen Spielraum offenlässt, bewerten wir die nachgewiesenen Chlorprophamrückstände in den meisten Chips als Spuren – nur eine Kesselchips-Sorte im Test übersteigt die so berechnete Höchstgrenze deutlich und wird abgewertet.
Von wegen "natürliches Aroma"
In der Zutatenliste von 14 Kesselchips-Sorten ist "natürliches Aroma" aufgeführt. Das soll Verbraucherinnen und Verbrauchern das Gefühl geben, dass natürliche Inhaltsstoffe verwendet werden. Stimmt aber nicht: "Natürlich" heißt keineswegs, dass die Zusammensetzung eines Aromas dem der Chilischote, Paprika oder Tomate entspricht.
Es bedeutet bloß, dass die Ausgangsstoffe für die industrielle Herstellung aus der Natur stammen. Das Aroma ist trotzdem beliebig zusammengesetzt. In vier der aromatisierten Produkte steckt zudem Hefeextrakt, das geschmacksverstärkend wirkt und meist Glutamat enthält. Ein weiteres Produkt hat "Aroma" deklariert.
Diesen Test haben wir zuletzt im ÖKO-TEST-Magazin 6/2016 veröffentlicht. Aktualisierung der Testergebnisse/Angaben für das Jahrbuch für 2017 sofern die Anbieter Produktänderungen mitgeteilt haben oder sich aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse die Bewertung von Mängeln geändert oder wir neue/zusätzliche Untersuchungen durchgeführt haben.
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