Freiland, viel Platz, saftiges Gras auf der Weide und ein gesundes Federkleid: Das Leben einer Gans kann ganz schön schön sein. Wenn sie Glück hat. Und beispielsweise in Deutschland aufwächst. Dieses Glück hat aber nicht einmal jede fünfte Gans, die in Deutschland im Backofen landet. 80 Prozent der hier verkauften Gänse stammen aus Polen und Ungarn. Und besonders Ungarn beweist: Das Leben einer Gans kann auch ganz schön fies sein.
Ersetze "Freiland" durch Stall, "viel Platz" durch hohe Besatzdichten, "saftiges Gras" durch brutale Zwangsernährung und das "gesunde Federkleid" durch Lebendrupf. Weil in Polen zumindest die Stopfmast verboten ist, konzentrieren wir uns auf Ungarn. Und zeichnen hier das kurze Leben zweier Gänse nach, einer deutschen und einer ungarischen. Fiktiv? Ja. Selten? Nein. Jährlich leiden laut der Tierschutzorganisation Vier Pfoten in Ungarn allein rund zwei Millionen Tiere in der brutalen Zwangsmast. Zartbesaitete Menschen sollten jetzt weiterblättern, zum Test Wohlfühltees zum Beispiel.
Das Licht der Welt erblickt das deutsche Küken in einer Brüterei. Es pickt von innen gegen die Schale und drückt sie auf, sein Leben beginnt. Oft geht es schon in den ersten Tagen auf den Masthof, wo das Küken, weil es am Anfang noch sehr kälteempfindlich ist, in einem beheizten Stall heranwächst.
Auch das Leben der ungarischen Graugans beginnt in einer Brüterei. Unser Küken hat Glück - wenn man es denn so nennen will, angesichts dessen, was vor ihm liegt. Es ist ein Männchen. Und landet deswegen nicht gleich im Schredder. Auf dem Fließband wird sortiert, die Weibchen werden zerhäckselt, weil ihre Leber nicht so verfettet wie die ihrer Brüder. So spielt die Natur: Für die Stopfmast eignen sich weibliche Küken nicht, als Legehennen sind männliche unbrauchbar. Die Antwort der industrialisierten Massentierhaltung, in beiden Fällen: Tod an Tag eins.
Nach etwa sechs Wochen, wenn sein Gefieder ausgebildet ist, darf der deutsche Gössel auf die Weide. Im Stall ist er nur nachts, tagsüber lebt er draußen. Er frisst dort Gras und andere Pflanzen, die er findet. Abends, im Stall, gibt es zusätzlich Kraftfutter mit Sojaschrot, weil er sonst nicht schnell genug wächst. Schließlich soll der Gössel sein Schlachtgewicht von fünf, sechs Kilo bis Weihnachten erreichen. Oft ist das Importsoja gentechnisch verändert. Nur in der ökologischen Haltung ist Gen-Futter verboten.
Das ungarische Küken kommt in eine riesige Industriehalle und wird dort mit Tausenden anderen männlichen Küken in enge Käfige gesperrt. Jetzt heißt es zunehmen. Dafür gibt es energiereiches Kraftfutter, auch in Ungarn meist mit gentechnisch verändertem Soja. Tageslicht gibt es im Stall keins; stattdessen werden die Tage mit Licht künstlich verlängert. Damit das Küken frisst, statt schläft.
Zurück auf die deutsche Weide: Unser Gössel ist zu einer Gans herangewachsen und lebt weiter tagsüber auf der Weide, nachts im Stall. ...