Aktualisiert am 2.5.2014 | Als sich Mario Balotelli nach dem 2 zu 0 gegen Deutschland im Halbfinale der Europameisterschaft 2012 das Trikot vom Leib riss, müssen die Marketingabteilungen der Hersteller von elastischen Klebebändern gejubelt haben: Drei parallel verlaufende, hellblaue Klebestreifen zierten das breite Kreuz des Fußballers der italienischen Nationalmannschaft und sprangen Millionen von Fernsehzuschauern unübersehbar ins Auge.
Entwickelt hat die bunten Pflaster in den 70er-Jahren der Japaner Kenzo Kase, von Haus aus Chiropraktiker und Akupunkteur. Sein Ziel: Ein Tape, das in Textur und Dicke der menschlichen Haut nahekommt. Es soll körpereigene Heilungsvorgänge begünstigen, dabei Muskeln und Gelenke stützen, ohne aber die körperliche Beweglichkeit einzuschränken.
Wie sollen kinesiologische Tapes wirken?
Aufgebaut sind die kinesiologischen Tapes aus einem elastischen Baumwollgewebe mit einem wellenförmig aufgebrachten Acrylatkleber auf der Unterseite. Sie sind luft- und feuchtigkeitsdurchlässig, können auch beim Duschen getragen werden und bleiben je nach Anlage drei bis fünf Tage auf der Haut, bevor sie gegebenenfalls erneuert werden. Die Tapes sind längselastisch, das heißt, sie können in Längsrichtung gedehnt werden, häufig auf das 1,3- bis 1,4-Fache ihrer ursprünglichen Länge.
Ziel der Anwendung: Aufgeklebt sollen sie die oberste Hautschicht ein wenig anheben, sodass Blut und Lymphe besser fließen können. So wird einerseits das verletzte Gewebe besser mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, andererseits der Abtransport von Stoffwechselprodukten, die während der Heilung entstehen, erleichtert. Gleichzeitig wird die Reizung von Schmerzrezeptoren in der Haut gemindert, sodass der Schmerz nachlässt.
Wie werden kinesiologische Tapes angewendet?
Das Anlegen der Tapes ist allerdings eine Wissenschaft für sich. Mal werden die Klebestreifen zunächst von Hand gedehnt und dann auf den entspannten Muskel geklebt. Es geht aber auch umgekehrt: Man nimmt das Tape, wie es ist, und klebt es auf den gedehnten Muskel. Mal werden mehrere Streifen parallel geklebt, mal y-förmig, mal fächerförmig.
Der Fachmann unterscheidet unter anderem Muskel-, Bänder-, Korrektur-, Bindegewebs-, Neural- und Lymphtechniken. Denn die beanspruchten Anwendungsgebiete sind breit gestreut: Sie reichen von der Behandlung von Gelenkarthrose, Rücken- und Nackenbeschwerden über Schlaganfall, Migräne, Kopfschmerzen und Tinnitus bis hin zu Schwangerschaft und Regelbeschwerden.
"Richtig angebracht wirken die elastischen Tapes durchblutungsfördernd und schmerzlindernd, da sie eine stimulierende Wirkung auf Muskeln, Gelenke, Lymph- und Nervensysteme haben", erklärt Ute Repschläger, Vorsitzende im Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten (IFK). In der Physiotherapie komme Taping aber selten allein zum Einsatz, betont Repschläger. Mit gezielter Krankengymnastik kombiniert, könne Taping jedoch den Therapieerfolg optimieren.
Kinesiologische Tapes im Test: Kein Produkt ist empfehlenswert
Handelt es sich bei den bunten Klebestreifen in erster Linie um eine Modeerscheinung oder doch um eine Therapieform, die bei bestimmten Indikationen unterstützend hilfreich sein kann? ÖKO-TEST hat 14 farbige, elastische Klebebänder unterschiedlicher Anbieter eingekauft, zur Schadstoffuntersuchung ins Labor geschickt und in der Literatur nach Nutzenbelegen in Form aussagekräftiger klinischer Studien gesucht.
Der weitverbreiteten Anwendung der kinesiologischen Tapes zum Trotz: Handfeste wissenschaftliche Belege für einen Nutzen der Klebestreifen fehlen. So kann keines der Produkte besser als mit "ausreichend" abschneiden. Deklarationsmängel und problematische Inhaltsstoffe sorgen für zusätzliche Abwertungen.
Nur auf der Hälfte der kinesiologischen Tapes im Test findet sich die Empfehlung, die bunten Tapes von einem Arzt oder Physiotherapeuten kleben zu lassen, oder es wird, wie in der Gebrauchsinformation des Physiotapes, dunkelgrün, explizit darauf hingewiesen, dass die Information "keinesfalls die Untersuchung oder Behandlung durch einen Arzt ersetzt". Insgesamt verfahren die Anbieter sparsam mit Gebrauchsanweisungen: Nur 5 der 14 getesteten Produkte lag eine bei.
Labor stößt auf unerwünschte Stoffe
Immerhin: Erfreulicherweise konnte die chemische Analyse in keinem getesteten kinesiologischen Tape verbotene aromatische Amine nachweisen. Lediglich in einem Fall fand das Labor den krebsverdächtigen Farbstoffbaustein Anilin. Allerdings stecken in mehr als der Hälfte der Produkte umstrittene halogenorganische Verbindungen.
Ärgerlich, weil überflüssig und eine Umweltbelastung, sind außerdem die verwendeten optischen Aufheller. In vier kinesiologischen Tapes im Test wies das von uns beauftragte Labor zudem Nonylphenolethoxylate nach. Gelangen diese Tenside bei der Herstellung der Produkte ins Abwasser, kann daraus Nonylphenol entstehen, das Wasserorganismen schädigt und hormonell wirksam ist.
Kinesiologische Tapes: Wie ist die Studienlage?
Als vergleichsweise junge Methode bringt es das kinesiologische Tapen in medizinischen Datenbanken bislang auf eine noch überschaubare Anzahl von Studien. Viele von ihnen haben Pilotcharakter, das heißt, die Anwendung wird erstmalig an einer kleinen Gruppe von Patienten ausprobiert. Beispielsweise beschreibt eine taiwanesische Arbeitsgruppe, inwieweit die Tapes die Kraft des Oberschenkelmuskels bei 14 gesunden, jungen Athleten beeinflusst: Gar nicht, lautet das Fazit.
Nicht verallgemeinerbar ist auch das Ergebnis einer Arbeit aus Südkorea: Die Autoren beschreiben den Fall eines (!) 22-jährigen Badmintonspielers mit chronischen Achillessehnenbeschwerden. Der immerhin konnte nach fünfwöchiger Tapebehandlung wieder schmerzfrei spielen.
Es mangelt an qualitativ hochwertigen Studien
Deutlich aussagekräftiger sind da schon Studien wie die, die Adelaida Castro-Sánchez und Kollegen an der Universität Almería in Spanien an 60 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen durchführten. Sie verglichen kinesiologisches Tapen mit Scheintapen. Zwar erwies sich das kinesiologische Tapen im Hinblick auf die Schmerzlinderung als überlegen, allerdings schätzen die Autoren die Effekte als klinisch eher unbedeutend ein.
Inzwischen haben sich erste Arbeitsgruppen aufgemacht, die Literatur systematisch auszuwerten. Es zeigt sich: Nur die wenigsten Studien erfüllten die wichtigsten Kriterien. Die neuseeländischen Wissenschaftler um Sean Williams fanden 97 Artikel, aber nur zehn davon waren geeignet, daraus Aussagen über die Effektivität des kinesiologischen Tapens in der Behandlung und Vorbeugung von Sportverletzungen abzuleiten.
Eine thematisch breiter gefasste Untersuchung zum kinesiologischen Tapen bei Verletzungen des Bewegungsapparats erbrachte noch mehr Ausschuss: Lediglich 6 von 797 Artikeln konnten Forscher der Ohio-State-Universität im amerikanischen Columbus in ihre Analyse einbeziehen.
Der Tenor beider Arbeiten ist eindeutig: Es mangelt an qualitativ hochwertigen Studien. Die vorhandenen reichen nicht aus, um die Anwendung kinesiologischer Tapes evidenzbasiert zu rechtfertigen. Allerdings könne ein subjektiv von den Behandelten empfundener Nutzen nicht wegdiskutiert werden.
Diesen Test haben wir zuletzt im ÖKO-TEST Jahrbuch für 2014 veröffentlicht. Aktualisierung der Testergebnisse/Angaben für das Spezial Fit und Gesund sofern die Anbieter Produktänderungen mitgeteilt haben oder sich aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse die Bewertung von Mängeln geändert oder wir neue/zusätzliche Untersuchungen durchgeführt haben.
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