Kinesiologische Tapes im Test: Sind sie empfehlenswert?

Spezial Fit und Gesund | Autor: Jürgen Steinert | Kategorie: Gesundheit und Medikamente | 02.05.2014

Kinesiologische Tapes im Test: Wir haben 14 Produkte getestet.
Foto: Yana Perelotova/Shutterstock

Ob blau oder pink: Farbige Tapes erfreuen sich großer Beliebtheit bei der Behandlung einer Vielzahl von Problemen. Für einen Nutzen sprechen aber allenfalls gute Erfahrungen – die Datenlage ist bescheiden. Kein kinesiologisches Tape im Test ist besser als "ausreichend".

Aktualisiert am 2.5.2014 | Als sich Mario Balotelli nach dem 2 zu 0 gegen Deutschland im Halbfinale der Europameisterschaft 2012 das Trikot vom Leib riss, müssen die Marketingabteilungen der Hersteller von elastischen Klebebändern gejubelt haben: Drei parallel verlaufende, hellblaue Klebestreifen zierten das breite Kreuz des Fußballers der italienischen Nationalmannschaft und sprangen Millionen von Fernsehzuschauern unübersehbar ins Auge.

Entwickelt hat die bunten Pflaster in den 70er-Jahren der Japaner Kenzo Kase, von Haus aus Chiropraktiker und Akupunkteur. Sein Ziel: Ein Tape, das in Textur und Dicke der menschlichen Haut nahekommt. Es soll körpereigene Heilungsvorgänge begünstigen, dabei Muskeln und Gelenke stützen, ohne aber die körperliche Beweglichkeit einzuschränken.

Wie sollen kinesiologische Tapes wirken?

Aufgebaut sind die kinesiologischen Tapes aus einem elastischen Baumwollgewebe mit einem wellenförmig aufgebrachten Acrylatkleber auf der Unterseite. Sie sind luft- und feuchtigkeitsdurchlässig, können auch beim Duschen getragen werden und bleiben je nach Anlage drei bis fünf Tage auf der Haut, bevor sie gegebenenfalls erneuert werden. Die Tapes sind längselastisch, das heißt, sie können in Längsrichtung gedehnt werden, häufig auf das 1,3- bis 1,4-Fache ihrer ursprünglichen Länge.

Ziel der Anwendung: Aufgeklebt sollen sie die oberste Hautschicht ein wenig anheben, sodass Blut und Lymphe besser fließen können. So wird einerseits das verletzte Gewebe besser mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, andererseits der Abtransport von Stoffwechselprodukten, die während der Heilung entstehen, erleichtert. Gleichzeitig wird die Reizung von Schmerzrezeptoren in der Haut gemindert, sodass der Schmerz nachlässt.

Wie werden kinesiologische Tapes angewendet?

Das Anlegen der Tapes ist allerdings eine Wissenschaft für sich. Mal werden die Klebestreifen zunächst von Hand gedehnt und dann auf den entspannten Muskel geklebt. Es geht aber auch umgekehrt: Man nimmt das Tape, wie es ist, und klebt es auf den gedehnten Muskel. Mal werden mehrere Streifen parallel geklebt, mal y-förmig, mal fächerförmig.

Der Fachmann unterscheidet unter anderem Muskel-, Bänder-, Korrektur-, Bindegewebs-, Neural- und Lymphtechniken. Denn die beanspruchten Anwendungsgebiete sind breit gestreut: Sie reichen von der Behandlung von Gelenkarthrose, Rücken- und Nackenbeschwerden über Schlaganfall, Migräne, Kopfschmerzen und Tinnitus bis hin zu Schwangerschaft und Regelbeschwerden.

"Richtig angebracht wirken die elastischen Tapes durchblutungsfördernd und schmerzlindernd, da sie eine stimulierende Wirkung auf Muskeln, Gelenke, Lymph- und Nervensysteme haben", erklärt Ute Repschläger, Vorsitzende im Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten (IFK). In der Physiotherapie komme Taping aber selten allein zum Einsatz, betont Repschläger. Mit gezielter Krankengymnastik kombiniert, könne Taping jedoch den Therapieerfolg optimieren.

Kinesiologische Tapes im Test: Kein Produkt ist empfehlenswert

Handelt es sich bei den bunten Klebestreifen in erster Linie um eine Modeerscheinung oder doch um eine Therapieform, die bei bestimmten Indikationen unterstützend hilfreich sein kann? ÖKO-TEST hat 14 farbige, elastische Klebebänder unterschiedlicher Anbieter eingekauft, zur Schadstoffuntersuchung ins Labor geschickt und in der Literatur nach Nutzenbelegen in Form aussagekräftiger klinischer Studien gesucht.

Der weitverbreiteten Anwendung der kinesiologischen Tapes zum Trotz: Handfeste wissenschaftliche Belege für einen Nutzen der Klebestreifen fehlen. So kann keines der Produkte besser als mit "ausreichend" abschneiden. Deklarationsmängel und problematische Inhaltsstoffe sorgen für zusätzliche Abwertungen.

Nur auf der Hälfte der kinesiologischen Tapes im Test findet sich die Empfehlung, die bunten Tapes von einem Arzt oder Physiotherapeuten kleben zu lassen, oder es wird, wie in der Gebrauchsinformation des Physiotapes, dunkelgrün, explizit darauf hingewiesen, dass die Information "keinesfalls die Untersuchung oder Behandlung durch einen Arzt ersetzt". Insgesamt verfahren die Anbieter sparsam mit Gebrauchsanweisungen: Nur 5 der 14 getesteten Produkte lag eine bei.

Labor stößt auf unerwünschte Stoffe

Immerhin: Erfreulicherweise konnte die chemische Analyse in keinem getesteten kinesiologischen Tape verbotene aromatische Amine nachweisen. Lediglich in einem Fall fand das Labor den krebsverdächtigen Farbstoffbaustein Anilin. Allerdings stecken in mehr als der Hälfte der Produkte umstrittene halogenorganische Verbindungen.

Ärgerlich, weil überflüssig und eine Umweltbelastung, sind außerdem die verwendeten optischen Aufheller. In vier kinesiologischen Tapes im Test wies das von uns beauftragte Labor zudem Nonylphenolethoxylate nach. Gelangen diese Tenside bei der Herstellung der Produkte ins Abwasser, kann daraus Nonylphenol entstehen, das Wasserorganismen schädigt und hormonell wirksam ist.

Kinesiologische Tapes: Wie ist die Studienlage? 

Als vergleichsweise junge Methode bringt es das kinesiologische Tapen in medizinischen Datenbanken bislang auf eine noch überschaubare Anzahl von Studien. Viele von ihnen haben Pilotcharakter, das heißt, die Anwendung wird erstmalig an einer kleinen Gruppe von Patienten ausprobiert. Beispielsweise beschreibt eine taiwanesische Arbeitsgruppe, inwieweit die Tapes die Kraft des Oberschenkelmuskels bei 14 gesunden, jungen Athleten beeinflusst: Gar nicht, lautet das Fazit.

Nicht verallgemeinerbar ist auch das Ergebnis einer Arbeit aus Südkorea: Die Autoren beschreiben den Fall eines (!) 22-jährigen Badmintonspielers mit chronischen Achillessehnenbeschwerden. Der immerhin konnte nach fünfwöchiger Tapebehandlung wieder schmerzfrei spielen.

Es mangelt an qualitativ hochwertigen Studien

Deutlich aussagekräftiger sind da schon Studien wie die, die Adelaida Castro-Sánchez und Kollegen an der Universität Almería in Spanien an 60 Patienten mit chronischen Rückenschmerzen durchführten. Sie verglichen kinesiologisches Tapen mit Scheintapen. Zwar erwies sich das kinesiologische Tapen im Hinblick auf die Schmerzlinderung als überlegen, allerdings schätzen die Autoren die Effekte als klinisch eher unbedeutend ein.

Inzwischen haben sich erste Arbeitsgruppen aufgemacht, die Literatur systematisch auszuwerten. Es zeigt sich: Nur die wenigsten Studien erfüllten die wichtigsten Kriterien. Die neuseeländischen Wissenschaftler um Sean Williams fanden 97 Artikel, aber nur zehn davon waren geeignet, daraus Aussagen über die Effektivität des kinesiologischen Tapens in der Behandlung und Vorbeugung von Sportverletzungen abzuleiten.

Eine thematisch breiter gefasste Untersuchung zum kinesiologischen Tapen bei Verletzungen des Bewegungsapparats erbrachte noch mehr Ausschuss: Lediglich 6 von 797 Artikeln konnten Forscher der Ohio-State-Universität im amerikanischen Columbus in ihre Analyse einbeziehen.

Der Tenor beider Arbeiten ist eindeutig: Es mangelt an qualitativ hochwertigen Studien. Die vorhandenen reichen nicht aus, um die Anwendung kinesiologischer Tapes evidenzbasiert zu rechtfertigen. Allerdings könne ein subjektiv von den Behandelten empfundener Nutzen nicht wegdiskutiert werden.

Diesen Test haben wir zuletzt im ÖKO-TEST Jahrbuch für 2014 veröffentlicht. Aktualisierung der Testergebnisse/Angaben für das Spezial Fit und Gesund sofern die Anbieter Produktänderungen mitgeteilt haben oder sich aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse die Bewertung von Mängeln geändert oder wir neue/zusätzliche Untersuchungen durchgeführt haben.

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Wir haben diese Produkte für Sie getestet

Testverfahren

Der Einkauf: Wir haben von möglichst vielen verschiedenen Anbietern je ein elastisches Klebeband eingekauft. Um keiner Farbe den Vorzug zu geben, entstand ein buntes Testfeld aus pink- und orangefarbenen, roten, grünen, gelben, blauen und schwarzen Tapes.

Die Inhaltsstoffe: Farbige Textilien können sich immer wieder als Quell unerwünschter Schadstoffe entpuppen. Daher ließen wir unter anderem auf giftige Schwermetalle, umstrittene halogenorganische Verbindungen und Azo-Farbstoffe, die aus verbotenen aromatischen Aminen aufgebaut sind, untersuchen. Aufgrund des Acrylatklebers in den Pflastern schloss sich ein umfangreiches Schadstoffscreening an.

Die Funktionalität: Zum einen baten wir die Hersteller um die Zusendung produktspezifischer Studien, aus denen sie die Wirksamkeit ihrer Produkte für die beanspruchten Anwendungsgebiete ableiten. Zum anderen haben wir selbst in medizinischen Datenbanken nach solchen Studien gesucht und Experten um ihre Einschätzung gebeten. Wichtig waren uns auch die Gebrauchsinformationen, da nicht nur Fachleute die Tapes einsetzen, sondern der Laie sie inzwischen in Eigenregie auch selbst klebt.

Die Bewertung: Ein seinen Ansprüchen gerecht werdendes kinesiologisches Tape hat seine Wirksamkeit in guten Studien bewiesen und ist schadstofffrei. Gute Erfahrungen sind nach unseren strengen Kriterien eigentlich zu wenig. Da die Tapes allerdings die Mobilität der Patienten nicht einschränken, sie ohne Wirkstoffe auskommen, zeigt unser Daumen nicht ganz senkrecht nach unten. Unter dem Aspekt Nutzen versus Risiken fließt das Testergebnis Funktionalität zu 70 Prozent in das Gesamturteil ein, das der Inhaltsstoffe zu 30 Prozent. Dass keine Schadstoffe enthalten sind, kann das Fehlen belastbarer Studien zur Wirksamkeit allerdings nicht ausbügeln.

Bewertungslegende

Bewertung Testergebnis Inhaltsstoffe: Unter dem Testergebnis Inhaltsstoffe führt zur Abwertung um vier Noten: Anilin. Zur Abwertung um eine Note führen: halogenorganische Verbindungen. Unter dem Testergebnis Funktionalität führt zur Abwertung um drei Noten: ein in klinischen Studien nur wenig überzeugend belegter Nutzen. Zur Abwertung um jeweils eine Note führen: a) ein fehlender oder nicht auf Deutsch aufgebrachter Hinweis auf die empfohlene Anbringung durch einen Therapeuten oder auf eine vorhergehende ärztliche Untersuchung; b) eine fehlende Gebrauchsinformation, wenn keine Anbringung durch Therapeuten oder eine vorausgehende ärztliche Untersuchung empfohlen wird.

Bewertung Testergebnis Weitere Mängel: Unter dem Testergebnis Weitere Mängel führt zur Abwertung um zwei Noten: mehr als 50 mg/kg Nonylphenolethoxylate. Zur Abwertung um jeweils eine Note führen: a) optische Aufheller ohne Hautkontakt; b) PVC/PVDC/chlorierte Verbindungen in der Verpackung. Die Testergebnisse Funktionalität, Inhaltsstoffe und Weitere Mängel werden zunächst getrennt bewertet.

Das Gesamturteil beruht auf dem Testergebnis Inhaltsstoffe und dem Testergebnis Funktionalität. In das Gesamturteil gehen das Testergebnis Funktionalität zu 70 Prozent und das Testergebnis Inhaltsstoffe zu 30 Prozent ein. Ein Testergebnis Weitere Mängel, das "befriedigend" oder "ausreichend" ist, verschlechtert das Testergebnis Inhaltsstoffe um eine Note. Ein Testergebnis Weitere Mängel, das "mangelhaft" oder "ungenügend" ist, verschlechtert das Testergebnis Inhaltsstoffe um zwei Noten. Das Gesamturteil kann nicht besser sein als das Testergebnis Funktionalität.

Testmethoden

Schwermetalle: Totalaufschluss in der Mikrowelle; Elementbestimmung mittels ICP-MS. Halogenorganische Verbindungen: Elution mit Reinstwasser in der Soxhlet-Apparatur, Binden der organischen Halogene an Aktivkohle, Verbrennung der Aktivkohle im Sauerstoffstrom, microcoulometrische Bestimmung des Halogengehalts. Nonylphenolethoxylate: LC-MS/MS nach Extraktion. Weichmacher, phosphororganische Verbindungen, Phenole: GC/MS nach Extraktion und Derivatisierung. Azo-Farbstoffe: Prüfung auf Amine nach reduktiver Spaltung, Analytik entsprechend § 64 LFGB 82.02-2, Prüfung ohne vorherige Extraktion DIN EN 14362-1 (April 2012); Analytik entsprechend § 64 LFGB 82.02-4, Prüfung nach vorhergehender Extraktion DIN EN 14362-2 (Juni 2004); bei Hinweisen auf 4-Aminoazobenzol zusätzliche Prüfung entsprechend § 64 LFGB 82.02-9 (September 2006); Bestimmungsgrenze: 5 mg/kg; GC/MS, TLC, zusätzliche Prüfung auf Anilin und Xylidine. Optische Aufheller: qualitativer Nachweis (UV-Licht). PVC/PVDC/chloriert

Einkauf der Testprodukte: Januar 2013.

Diesen Test haben wir zuletzt im ÖKO-TEST Jahrbuch für 2014 veröffentlicht. Aktualisierung der Testergebnisse/Angaben für das Spezial Fit und Gesund sofern die Anbieter Produktänderungen mitgeteilt haben oder sich aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse die Bewertung von Mängeln geändert oder wir neue/zusätzliche Untersuchungen durchgeführt haben.

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