- Im Test: 19 Melatonin-Sprays – alles Nahrungsergänzungsmittel –, die wir in Drogeriemärkten, Supermärkten, (Online-)Apotheken, bei Discountern und im Reformhaus eingekauft haben.
- Um Nutzen und Risiken der Präparate einzuschätzen, erstellten Professor Manfred Schubert-Zsilavecz und Dr. Mario Wurglics vom Institut für Pharmazeutische Chemie der Goethe-Universität Frankfurt in unserem Auftrag ein wissenschaftliches Gutachten. Sie analysierten die aktuelle veröffentlichte Studienlage und beurteilten, welcher Nutzen und welche Risiken mit den Inhaltsstoffen der Sprays für gesunde Verbraucher bei Schlafstörungen einhergehen.
- Die meisten Melatonin-Sprays in unserem Test schneiden mit "mangelhaft" oder "ungenügend" ab.
- Auffällig: Angaben zu den Melatoningehalten sind bei vielen Nahrungsergänzungsmitteln wenig verlässlich. Oft steckt mehr oder weniger Melatonin in den Sprays als angegeben.
- Wichtiger Hinweis: Vorsicht im Straßenverkehr nach einer Melatonin-Einnahme. Die Wirkung kann bis in den nächsten Morgen hinein anhalten.
Unübersehbar stehen sie vor der Kasse in der Apotheke und in den Regalen von Super- oder Drogeriemärkten: Präparate mit dem Schlafhormon Melatonin in Form von Sprays, Drops, Tabletten und sogar Gummibärchen. Es braucht kein Rezept für sie – die Produkte bieten sich als niedrigschwellige Mittel gegen Schlafprobleme an.
Ihr Absatz explodiert seit einigen Jahren und jedes zweite rezeptfreie Schlafmittel, das in Apotheken über den Tresen geht, ist inzwischen ein Melatoninpräparat. Aber helfen diese Mittel Verbraucherinnen und Verbrauchern wirklich bei Schlafschwierigkeiten, oder schaffen sie am Ende nur neue Probleme?
In unserem Test von 19 Melatonin-Sprays kommen wir zu dem Schluss: Der Nutzen der Produkte ist begrenzt und steht in unseren Augen für die allermeisten Personen in einem Missverhältnis zu den Risiken, die Melatonin ebenfalls mit sich bringen kann. Die meisten Sprays fallen durch. Doch wie wirkt Melatonin überhaupt?
Was ist Melatonin?
Melatonin ist ein natürlicherweise im Gehirn produziertes Hormon, das unseren Schlaf-Wach-Rhythmus mitsteuert: Wenn es abends dunkler wird, beginnt die Zirbeldrüse mit dessen Ausschüttung; mit zunehmendem Tageslicht in den frühen Morgenstunden sinkt der Melatoninspiegel im Blut wieder. Dass Melatonin eine gewisse schlaffördernde Wirkung hat, liegt also nahe.
Seit 2007 erfolgte eine schrittweise Zulassung als Arzneistoff: zunächst für eine Behandlung von Menschen über 55 Jahren mit Schlafstörungen, später auch für Kinder und Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störung oder Smith-Magenis-Syndrom. Doch bei diesen verschreibungspflichtigen Arzneimitteln erfolgt die Einnahme zeitlich begrenzt, unter ärztlicher Kontrolle und erst dann, wenn andere Maßnahmen ausgeschöpft sind.

Wann ein Melatoninpräparat ein Nahrungsergänzungsmittel ist
Bevor wir auf unsere Testergebnisse zu sprechen kommen, klären wir noch die Frage, bei welchem Melatoningehalt ein Melatoninpräparat eigentlich noch als Nahrungsergänzungsmittel durchgehen kann – und wann es als Funktionsarzneimittel eingestuft werden muss. Offiziell haben über diese Frage die Kontrollbehörden der einzelnen Bundesländer zu entscheiden.
Deren Auffassungen dazu gehen allerdings erstaunlich weit auseinander: Während die Ämter in Sachsen bereits ab 0,3 Milligramm pro Tagesdosis die Grenze zum Arzneimittel gegeben sehen, liegt sie in Rheinland-Pfalz bei 5 Milligramm pro Tag. Die Mehrheit der Untersuchungsämter setzt die Grenze allerdings bei 1 Milligramm oder darunter fest.
Das bedeutet: Ab diesem Gehalt gibt die Lebensmittelkontrolle das Melatoninpräparat an die zuständige Arzneimittelprüfstelle weiter. Am Ende landen diese Fälle häufig vor Gericht – und selbst dort ist die Rechtsprechung bisher höchst uneinheitlich. Nicht selten wurden Einstufungen als Funktionsarzneimittel vom Richter wieder einkassiert.
Manfred Schubert-Zsilavecz, pharmazeutischer Chemiker der Uni Frankfurt, findet: "Das Nebeneinander frei verkäuflicher Melatonin-Nahrungsergänzungsmittel und verschreibungspflichtiger Melatonin-Arzneimittel ist aus regulatorischer Sicht unhaltbar und macht die Verschreibungspflicht zu einer Farce."
Melatonin-Spray im Test: Melatoninangaben sind nicht verlässlich
In unserem Test haben wir es mit Nahrungsergänzungsmitteln zu tun, die als vermeintlich unbedenkliche Einschlafhilfen mit hohem Werbeaufwand vermarktet werden: Sie dürfen bei einer Tagesdosis von einem Milligramm (mg) eine "verkürzte Einschlafzeit" versprechen und ab 0,5 mg "eine Linderung der subjektiven Jetlag-Empfindung", das sind zugelassene Health-Claims.
Die deklarierten Melatoningehalte in unserem Test liegen teilweise jedoch über 1 mg pro Tagesdosis: In Anlehnung an die mehrheitliche Auffassung der Kontrollbehörden sehen wir hier die Grenze zum Arzneimittel überschritten und ziehen Punkte ab.
Hinzu kommt: Die Angaben zu den Melatoningehalten sind bei vielen Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) wenig verlässlich. Im Gegensatz zu Arzneimitteln, bei denen strenge Vorschriften für eine maximale Abweichung von fünf Prozent gelten, existieren für Melatonin in NEM keine speziellen Vorgaben. Wir haben die Melatoningehalte im Labor nachmessen lassen und uns bei ihrer Bewertung an den Regeln für Vitamine und Mineralstoffe in NEM orientiert.
Der Laborbericht zeigt: Bei mehr als der Hälfte der Sprays kommt es zu Abweichungen des Melatonins im zweistelligen Prozentbereich, einige davon stoßen hart an unsere Toleranzgrenzen. Ein Spray überschreitet sie.
Melatonin-Spray: Wie lange schläft man?
Aber hilft supplementiertes Melatonin gesunden Menschen mit Schlafproblemen nun eigentlich? Eine Metaanalyse von 19 Studien ergab 2013, dass das Hormon die Einschlafzeit bei Probanden mit primären Schlafstörungen um durchschnittlich sieben Minuten verkürzte und die Gesamtschlafzeit um acht Minuten verlängerte. Eine Wirkung scheint also gegeben, ist aber überschaubar.
Welche Nebenwirkungen hat Melatonin-Spray?
Dem gegenüber steht eine Reihe von Nebenwirkungen, die melatoninhaltige NEM bereits ab niedrigen Dosierungen unter 1 mg auch bei nur einmaliger Einnahme oder kurzer Anwendungsdauer mit sich bringen können, wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in einer Stellungnahme von 2024 klarmacht.
So könne die Wirkung des Schlafhormons noch bis in den Folgetag hinein anhalten und dann zur Verminderung von Aufmerksamkeit, morgendlicher Benommenheit, schwerer Tagesmüdigkeit, Kraftlosigkeit oder Gangunsicherheit führen.
Datenlücken zur Langzeiteinnahme von Melatonin
Welche Personengruppen mit einem länger andauernden überhöhten Melatoninspiegel zu kämpfen haben, ist indes schwer vorherzusagen: Denn die Fähigkeit, oral aufgenommenes Melatonin wieder abzubauen, ist individuell verschieden und unter anderem abhängig vom Alter und genetischen Faktoren.
Und die BfR-Stellungnahme wirft weitere Fragen auf: So sei bislang ungewiss, ob bei langfristiger Melatonin- Einnahme das Risiko für Typ-2-Diabetes bei Erwachsenen steige und das Längenwachstum bei Kindern und Jugendlichen beeinflusst werde. Insgesamt hält das BfR die gesundheitlichen Risiken von melatoninhaltigen NEM, insbesondere bei Langzeitanwendung, für so unzureichend untersucht, dass es derzeit keinen Richtwert für eine gesundheitlich unbedenkliche Melatonin-Tagesdosis ableiten kann.
Das Bundesinstitut rät von einer "unkontrollierten Einnahme melatoninhaltiger NEM" ab – vor allem dann, wenn sie regelmäßig über einen längeren Zeitraum erfolge. Auch unser wissenschaftlicher Gutachter, der pharmazeutische Chemiker Professor Schubert-Zsilavecz von der Goethe-Uni Frankfurt, kritisiert bei NEM mit Melatonin grundsätzlich ein "ungünstiges Verhältnis von Risiken und Nutzen".
Daher haben wir bei den Herstellern nach Wirksamkeitsstudien gefragt und auch, inwieweit die BfR-Stellungnahme bei der Entwicklung ihrer Produkte Berücksichtigung fand. Ob sie insbesondere zu den aufgezeigten möglichen Risiken andere Erkenntnisse haben?
Nutzen ist überschaubar – Risiko nicht
Die meisten verwiesen in ihrer Antwort lediglich darauf, dass sich ihre Produkte im vorgegebenen rechtlichen Rahmen für Nahrungsergänzungsmittel bewegen und dass sie die vom BfR benannten Risiken durch die Hinweise auf ihren Verpackungen ausreichend adressierten. Das sehen wir anders.
Ein paar Warnhinweise ändern schließlich nichts am ungünstigen Nutzen-Risiko-Verhältnis der Produkte. Die oben dargelegten Bedenken hinsichtlich des Missverhältnisses von Nutzen und Risiko der Präparate konnte keiner der Hersteller für uns überzeugend ausräumen, daher werten wir ab.

Kann man Melatonin bedenkenlos nehmen?
Bestimmte Risikogruppen sollten von Melatonin-Sprays komplett die Finger lassen: Dazu gehören Kinder, Jugendliche, Schwangere sowie Menschen mit Nieren-, Leber- und Autoimmunerkrankungen.
Außerdem sollten Verbraucherinnen und Verbraucher in einer, wie vorliegend, wissenschaftlich noch ungeklärten Situation zumindest umfassend über die Melatoninpräparate informiert werden. Denn offensiv beworbene Nahrungsergänzungsmittel mit Melatonin laden Menschen mit Schlafproblemen geradezu ein, sie auf eigene Faust auszuprobieren – oft ohne jede vorherige Beratung.
Es fehlen wichtige Informationen zu den Melatonin-Sprays
Doch tatsächlich druckt kein Anbieter im Test alle in unseren Augen notwendigen Hinweise auf die Verpackung: So warnt zum Beispiel weniger als die Hälfte davor, dass Melatoninpräparate nicht langfristig eingenommen werden sollten oder das Steuern eines Autos noch am Folgetag beeinträchtigen könnten.
Nur zwei schaffen es, die in der BfR-Stellungnahme genannten besonderen Risikogruppen für eine Melatonin-Einnahme – von Kindern über Schwangere bis zu Menschen mit bestimmten Erkrankungen – vollständig aufzuzählen. Hier sehen wir noch erheblichen Handlungsbedarf.
Vereinzelte Anbieter rechtfertigen ihre lückenhaften Warnhinweise damit, dass ihre Produkte vor der BfR-Stellungnahme entwickelt worden seien und sie diese deshalb nicht hatten berücksichtigen können. Das finden wir etwas dünn als Entschuldigung, denn seither sollte ausreichend Zeit für neue Layoutpläne gewesen sein. Immerhin: Es gibt auch wenige Anbieter, die sich einsichtig zeigen und ankündigen, ihre Warnhinweise auf unseren Test hin zu ergänzen.
Zusätze in Melatonin-Sprays: von überflüssig bis bedenklich
Übrigens: Dass mehr als die Hälfte der Produkte noch Pflanzenextrakte aus Melissenblättern, Passionsblumen, Goldmohn oder Hopfen zusetzt, macht sie nicht wirkungsvoller: Die aktuelle medizinische Leitlinie zu Schlafstörungen bei Erwachsenen der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) kommt zu dem Schluss, dass die wissenschaftliche Datenlage aktuell keine Empfehlung für Phytotherapeutika zur Behandlung von Schlaflosigkeit hergibt, denn die Nachweise für deren Wirkung sind mehr als dürftig.
Die EU prüft derzeit, ob Hersteller mit Gesundheitsversprechen zu Pflanzenstoffen (Botanical-Claims) wie Hopfen und Co. werben dürfen: Solange sie hier noch zu keiner abschließenden Bewertung gelangt ist, sollten Anbieter diese Werbeclaims auch nicht verwenden, finden wir und verteilen Minuspunkte, wenn das doch der Fall ist.
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