Plastikmüll, Überfischung und Co.: Sind unsere Meere noch zu retten?

Interview mit Greenpeace-Aktivistin Franziska Saalmann

Magazin Juni 2025: Sonnencreme | Autor: Sven Heitkamp | Kategorie: Freizeit und Technik | 12.06.2025

Die Meere sind voll mit Plastikmüll.
Foto: Tunatura/Greenpeace

Der Sehnsuchtsort Meer ist in einem traurigen Zustand: Plastikmüll, Überfischung, Raubbau und Klimakrise bedrohen das begehrte Urlaubsziel. Trotz mancher Bemühungen wird der Zustand der Ozeane nicht besser, sondern schlimmer – sagt Greenpeace-Aktivistin und Meeresbiologin Franziska Saalmann. Ein Interview. 

Franziska Saalmann ist Meeresbiologin und arbeitet seit 2022 im Meeresschutz-Team von Greenpeace. Sie hat unter anderem in der Arktis gegen den drohenden Start des Tiefseebergbaus demonstriert. Zudem ist sie Kampagnensprecherin für Meeresschutzgebiete, Wale und Fischerei.

Im Interview erklärt sie, warum die Ozeane für das Ökosystem so wichtig sind, was sich in den vergangenen Jahren zum Schutz der Meere getan hat und welche Probleme es weiterhin gibt. 

Wie die Klimakrise die Ozeane zerstört

ÖKO-TEST: Die Bedrohung der Weltmeere zählt zu den größten Gefahren für die Menschheit. Warum sind die Ozeane für unseren Planeten so wichtig?

Franziska Saalmann: Sie sind essenziell für das globale Ökosystem – denn das Meer ist das Herz-Kreislauf-System der Erde: Es produziert die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen. Und es hat mehr als 90 Prozent der menschengemachten zusätzlichen Wärme aufgenommen.

Die Meeresströmungen sorgen dafür, dass sich diese Wärme weltweit verteilt, sie stabilisieren das Klima und puffern Klimawirkungen ab. Aber all das geht nur in begrenztem Ausmaß. Und in den vergangenen Jahren hat der Temperaturanstieg selbst die pessimistischen Erwartungen der Wissenschaft übertroffen. Irgendwann ist das Maß voll.

Was bedeutet diese Entwicklung für das Leben im Meer?

Saalmann: Ozeane sind ein gigantischer Lebensraum für unzählige Arten – vom Plankton bis zum Blauwal. Auf sie alle hat der Temperaturanstieg große Auswirkungen. Sie müssen zum Beispiel weiter polwärts wandern, Richtung Arktis oder Antarktis, um weiterhin geeignete Lebensbedingungen zu finden.

Doch nicht alle können sich schnell genug anpassen oder überhaupt wandern. Für festsitzende Tiere wie Korallen und Schwämme ist es viel schwieriger. So wirkt sich die Erhitzung der Meere dramatisch auf die Artenvielfalt aus. Die Ökosysteme geraten aus dem Gleichgewicht.

Franziska Saalmann ist Meeresbiologin und Greenpeace-Aktivistin.
Franziska Saalmann ist Meeresbiologin und Greenpeace-Aktivistin. (Foto: Christoph Soeder/Greenpeace)

Warum sich die Situation der Meere weiter verschlechtert

Hat sich durch die Bemühungen um den Meeresschutz etwas verbessert?

Saalmann: Die Lage ist leider schlimmer als je zuvor. Was wir Menschen den Meeren antun, summiert sich nicht nur auf, sondern verstärkt sich gegenseitig. Die Ozeane sind wärmer geworden, saurer, voller Müll und immer lauter, etwa durch den wachsenden Schiffsverkehr. Wir haben bereits ganze Lebensräume wie Korallenriffe oder Mangrovenwälder beschädigt oder komplett verloren.

Wenn es mit der Erwärmung so weitergeht, drohen wir bis Ende des Jahrhunderts alle Korallenriffe zu verlieren. Doch ohne sie fehlt den Menschen unter anderem der Küstenschutz, den diese Ökosysteme leisten. Gleichzeitig schmelzen die Polkappen, die Arktis erwärmt sich Schätzungen zufolge mindestens doppelt so schnell wie der Rest der Welt.

Auch Fischer fangen weniger, weil die Meere überfischt oder die Lebensräume zerstört sind. Gleichzeitig beobachten wir, dass der wirtschaftliche Druck auf die Ozeane weiter steigt, wie durch den Rohstoffabbau, die Öl- und Gasförderung oder durch den drohenden Tiefseebergbau.

Welche neuen Eingriffe stehen da bevor?

Saalmann: Der kommerzielle Tiefseebergbau ist eine neue Industrie, die die Zerstörung und Ausbeutung der Meere immens verschärfen könnte. Die Unternehmen haben vor, in Tausenden Metern Tiefe Metalle abzubauen. Ihnen geht es etwa um faustgroße Manganknollen, die neben Mangan auch Nickel, Kupfer, Kobalt und seltene Erden enthalten.

Auch kobaltreiche Krusten an Seebergen hat die Industrie ins Visier genommen. Nun sollen sie geschröpft werden. Riesige Maschinen sollen den Meeresboden aufreißen, umpflügen und Strukturen abfräsen, obwohl sie essenziell wichtige Lebensräume für unzählige Arten darstellen. Viele davon haben wir noch gar nicht entdeckt.

Was wären die Folgen?

Saalmann: Manganknollen wachsen extrem langsam: in einer Million Jahre nur um wenige Millimeter. Kaum vorstellbar, wie lange es gedauert haben muss, bis so eine faustgroße Knolle entstanden ist. Zudem wachsen auf solchen Knollen Schwämme, auf denen wiederum Oktopusse brüten – vermutlich jahrelang am Stück.

Wenn dort eine Maschine durchfährt und den Meeresboden aufreißt, dauert es wohl Tausende Jahre, bis sich das Ökosystem erholt. Die Leidtragenden wären auch die Menschen der pazifischen Inselstaaten, die die Meere als ihr kulturelles Erbe ansehen – während sich wenige westliche Unternehmen daran bereichern wollen.

Das kleinstes Greenpeace-Segelschiff die "Witness" ist immer wieder im Einsatz.
Das kleinstes Greenpeace-Segelschiff die "Witness" ist immer wieder im Einsatz. (Foto: Christian Åslund/Greenpeace)

So steht es um den Tiefseebergbau

Warum will die Industrie den Aufwand betreiben – wer steckt dahinter? 

Saalmann: Einer der Treiber ist das kanadische Unternehmen "The Metals Company". Es behauptet, dass die Metalle aus der Tiefsee für Smartphones, E-Autobatterien und die Energiewende benötigt würden. Die Industrie will uns sogar weismachen, dass damit die Ausbeutung von Kobaltminen im Kongo – wo Umweltzerstörungen und Menschenrechtsverletzungen leider oft an der Tagesordnung sind – beendet würden.

Aber niemand glaubt, dass eine dieser Minen an Land durch den Vorstoß in die Tiefsee geschlossen würde. Wir brauchen keinen Tiefseebergbau für die Energiewende, sondern besseres Recycling und eine funktionierende Kreislaufwirtschaft.

Wie greifbar sind die Pläne?

Saalmann: Die Unternehmen wollen mit dem Tiefseebergbau in nationalen Gewässern sowie auf hoher See beginnen, also außerhalb nationaler Gerichtsbarkeiten. Dort kümmert sich die Internationale Meeresbodenbehörde ISA, ein Gremium der Vereinten Nationen.

Die UN-Behörde verhandelt seit Jahren darüber, wie ein Regelwerk für "nachhaltigen" Tiefseebergbau aussehen könnte. Bislang ohne Einigung, weil ein ökologisch vertretbarer Tiefseebergbau nicht möglich ist und sich viele Länder für eine Pause oder ein Moratorium aussprechen. Im Juli steht ein erneutes Treffen der ISA-Staaten an.

"The Metals Company" will sich nun aber dem internationalen Entscheidungsprozess entziehen. Stattdessen verspricht sich das Unternehmen einen Deal mit der Trump-Regierung. So hat der US-Präsident jüngst ein Dekret zur Freigabe des Tiefseebergbaus erlassen.

Direkt im Anschluss hat TMC seinen Abbauantrag eingereicht. Das ist ein Angriff auf die internationale Zusammenarbeit und verstößt gegen das Völkerrecht. Diese Dynamik erhöht die Gefahr, dass der Tiefseebergbau bald erlaubt werden könnte.

(Foto: ÖKO-TEST)

UN-Hochseeabkommen ist ein "Hoffnungsschimmer" 

Gibt es denn noch weitere Bestrebungen?

Saalmann: Auch Länder wie Norwegen, die USA und Papua-Neuguinea wollen als Erste weltweit den Tiefseebergbau in ihren Gewässern erlauben. Greenpeace hat allerdings voriges Jahr in Norwegen einen Kampagnenerfolg erzielt: Die Regierung hat angekündigt, dieses Jahr noch keine Lizenzen zu vergeben.

Aber die Gefahr ist nicht gebannt, denn nach der Wahl im September könnte der Startschuss für 2026 trotzdem fallen. Es geht dabei um große Gebiete im Nordatlantik zwischen Ostgrönland und Spitzbergen. Wir fordern, dass Norwegen seine Pläne stoppt und sich einem Moratorium gegen den Tiefseebergbau anschließt. Sogar die neue Regierung hat sich für eine vorsorgliche Pause vom Tiefseebergbau ausgesprochen. Wir hoffen, dass sich die neue Koalition auch für ein Moratorium auf internationaler Ebene einsetzt.

Hilft das UN-Hochseeabkommen, das 30 Prozent der Meere bis 2030 unter Schutz stellen will?

Saalmann: Das Abkommen ist ein Hoffnungsschimmer, um effektive Schutzgebiete auf hoher See einzurichten und industrielle Fischerei und Rohstoffförderung einzuschränken. Aber seine Wirkung hängt davon ab, wann und wie es umgesetzt wird. Es muss von mindestens 60 der UN-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden, bevor es in Kraft tritt. Das kann dauern. Außerdem existieren die meisten Schutzgebiete bisher leider nur auf dem Papier, weil Regeln, Kontrollen und Sanktionen fehlen – auch in Deutschland.

Mehr als 40 Prozent von Nord- und Ostsee sind zwar theoretisch unter Schutz gestellt, aber Sand und Kies werden dort weiter abgebaut und im Nationalpark Wattenmeer besteht mit der Förderinsel Mittelplate sogar eine Ölplattform fort. Auch zerstörerische industrielle Fischerei wird fortgeführt.

Überfischung und Plastikmüll bleiben ein Problem 

Haben Fangquoten und nachhaltige Fischzucht nicht für eine Erholung der Bestände gesorgt?

Saalmann: Es gibt internationale Abkommen, außerdem Siegel für die Verbraucher … Das Bewusstsein wächst tatsächlich – aber es reicht nicht. Viele Siegel im Supermarkt sind nicht mehr als Greenwashing. Ein Großteil aller Produkte trägt das MSC-Siegel. Aber es ist illusorisch, dass all diese Produkte nachhaltig sind. Ohnehin liegen viele Fangquoten oberhalb der wissenschaftlichen Empfehlungen und müssten niedriger angesetzt werden.

Denn Verschmutzungen und Klimakrise reduzieren die Bestände zusätzlich. Derzeit gilt ein Drittel der weltweiten kommerziellen Fischbestände als überfischt, der überwiegende Rest ist bis zur maximalen Auslastung befischt. Besonders betroffen sind Urlaubsregionen wie das Mittelmeer. Da muss man sich als Tourist fragen, ob man gerade dort Fisch essen sollte.

Auch Aquakulturen sind keine Alternative. Für die Lachs-Zucht in Norwegen werden in sensiblen Regionen vor Westafrika massenhaft Sardinen und andere Wildfische gefangen, zu Fischmehl oder Fischöl verarbeitet und in Norwegen verfüttert. Aber die Bevölkerung in Westafrika steht vor leeren Meeren. 

Auch beim Plastikmüll hat man den Eindruck, es passiert viel …

Saalmann: Das Bewusstsein für Plastikmüll ist stark gewachsen, und wir sehen Initiativen, die Plastikmüll im Meer sammeln. Aber wir haben die Produktion und unseren Konsum nicht zurückgeschraubt – beides wächst rasant. In den Ozeanen wuchern riesige Müllstrudel wie der Great Pacific Garbage Patch im Nordpazifik zwischen Hawaii und Kalifornien, wo sich der Plastikmüll ansammelt. Dieser größte Müllhaufen der Welt ist nach Schätzungen mindestens dreimal so groß wie Frankreich!

Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, weil das Plastik unter die Wasseroberfläche sinkt. Es reichert sich zudem mit Schwermetallen und anderen Giften an und zerfällt nur in immer kleinere Teile statt sich abzubauen. Das Mikroplastik wird dann von Meeresorganismen wie Muscheln und Fischen aufgenommen und landet am Ende der Kette auf unseren Tellern.

Wir brauchen daher endlich ein globales, starkes UN-Plastikabkommen, das zurzeit verhandelt wird. Es soll den ganzen Lebenszyklus der Kunststoffe von der Rohstoffgewinnung und Vermeidung bis zur Wiederverwertung und Entsorgung festlegen. Freiwillige Ziele der Unternehmen genügen eben nicht.

Greenpeace sorgt seit den 1970er-Jahren mit der legendären "Rainbow Warrior" und anderen Schiffen für Furore auf den Weltmeeren. Was macht die Flotte heute?

Saalmann: Sie ist weiter unterwegs, um friedlich für den Schutz der Weltmeere zu protestieren – etwa gegen den Tiefseebergbau. Im Pazifik hat unser Flaggschiff, die "Rainbow Warrior III", tagelang vor und auf einem Schiff protestiert, das Vorbereitungen für den Tiefseebergbau treffen wollte. Unser Team hat sich am Schiffskran befestigt und die Arbeiten behindert.

Unser Eisbrecher "Arctic Sunrise" ist vor allem in den polaren Gebieten unterwegs, und auch unser kleinstes Segelschiff "Witness" ist immer wieder im Einsatz. Beide Schiffe waren erst kürzlich für unsere Tiefseebergbau-Kampagne in der Arktis.

Die "Beluga II" wird gerade mit Elektromotor und Methanol-Brennstoffzellen ausgerüstet, um Vorbild für nachhaltigere Schifffahrt zu sein. Insgesamt ist die Flotte breit aufgestellt, um an den verschiedensten Ecken der Welt Forschungsarbeit zu leisten oder als Zeuge vor Ort zu sein, wenn Umweltverbrechen geschehen und dagegen zu protestieren.

Der Einsatz erfordert viel Mut und Aufopferung von unseren Aktivistinnen und Aktivisten. Aber er ist nötig.

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