Lebensmittel mit Zuckerkulör im Test: Coca-Cola, Haribo & Co. im Vergleich

Ratgeber Essen 12:2013 mit CD | Autor: Birgit Hinsch/Uta Gensichen | Kategorie: Essen und Trinken | 17.05.2013

Lebensmittel mit Zuckerkulör im Test: Wir haben 33 Produkte getestet.
Foto: New Africa

Gefährlich oder nicht? Während die kalifornische Gesundheitsbehörde für eine Substanz, die in Zuckerkulör enthalten sein kann und im Tierversuch Krebs erzeugte, einen strengen Warnwert festlegte, wiegelt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit ab.

Aktualisiert am 17.05.2013 | "Macht Cola Krebs?" So oder so ähnlich lauteten die Schlagzeilen, nachdem der US-Bundesstaat Kalifornien 4-MEI auf eine Liste mit krebserregenden Stoffen setzte. 4-MEI ist die Abkürzung für 4-Methylimidazol – ein Imidazol und Nebenprodukt von der Lebensmittelfarbe Zuckerkulör, die unter anderem Cola braun färbt.

Im Frühjahr 2011 war 4-MEI in einer Rattenstudie unter Krebsverdacht geraten, woraufhin die kalifornische Gesundheitsbehörde OEHHA den Stoff als krebserregend einstufte und einen strengen Warnwert festlegte. Seither müssen Produkte, die diesen Wert nicht einhalten, in Kalifornien einen Warnhinweis tragen.

EFSA wertet Zuckerkulör deutlich unkritischer

Anders als in dem US-Bundesstaat, wo Unternehmen wie Coca-Cola ihre Produkte an die gesetzliche Vorschrift angepasst haben, ist in Europa nicht viel geschehen. Warum auch? Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) beurteilt den Verzehr von Produkten, die mit Zuckerkulör gefärbt sind, als gesundheitlich unbedenklich, wenn ein Schwellenwert nicht überschritten wird.

Dabei ist die Diskrepanz zwischen dem kalifornischen Warnwert und dem von der EFSA als sicher erachteten Aufnahmewert enorm. So ziehen die Kalifornier bereits bei mehr als 29 Mikrogramm (µg) 4-MEI am Tag die Grenze, während der Wert in Europa über 1.500 Mal so hoch ist.

Den Toxikologen von der Universität Kiel, Dr. Hermann Kruse, wundert das nicht. "Die EFSA ist wesentlich unkritischer bei der Risikobewertung von Zuckerkulör vorgegangen", sagt er. Das sei typisch für den europäischen Raum. "In den USA herrscht ein ganz anderer Vorsorgegedanke vor", so Kruse.

4-MEI-Aufnahme so gering wie möglich halten

Mehr oder weniger gute Gründe für ihre Einschätzungen liefern beide Parteien: Die Kalifornier deuten die in den Tierstudien hervorgerufenen Geschwüre als Beweis für die krebserregende Wirkung von 4-MEI. Die EFSA beruft sich hingegen darauf, dass keine Veränderungen des Erbgutes beobachtet wurden, sodass ein Schwellenwert festgelegt werden könne. Unterhalb dieses Wertes bliebe eine 4-MEI-Aufnahme ohne gesundheitliche Folgen.

Unklar ist zudem, wie der Stoff genau wirkt. "Aber auch wenn es keinen Nachweis für eine krebserregende Wirkung beim Menschen gibt", sagt der Toxikologe Kruse, "so besteht doch ein Verdacht aufgrund von Tierexperimenten."

Fakt ist, bei den Imidazolen in Zuckerkulör handelt es sich um schädliche Substanzen, deren Aufnahme allein aus Vorsorgegründen so niedrig wie möglich sein sollte – egal ob sich 4-MEI am Ende als ein bisschen oder stark krebserregend erweisen sollte.

Karamellsirup als Alternative für Zuckerkulör

Warum Hersteller, die Zuckerkulör verarbeiten, dies offensichtlich nicht so sehen und sich stattdessen auf die Seite der EFSA schlagen, kann man sich vorstellen. Im Verlaufe unseres Tests zeigte sich lediglich die Lakritzbranche verantwortungsbewusster.

So merkte ein Hersteller an, schon bei der Produktentwicklung auf die Vermeidung der schädlichen Substanzen zu achten. Eine andere Firma, die unter anderem Salmiakpastillen produziert, arbeitet an einer Optimierung der Herstellungsweise – mit dem Ziel, ohne problematische Imidazole auszukommen. Ein anderer Hersteller will ganz auf Zuckerkulör verzichten.

"Die Verbraucher sind sensibilisiert, die wollen kein Zuckerkulör mehr", sagt Dr. Oliver Maier aus der Qualitätssicherung. Viele Produkte seien schon umgestellt – wenn möglich auf Karamellsirup. "Der färbt zwar nicht ganz so braun, ist aber frei von 4-MEI."

Ein Erfrischungsgetränkeanbieter wird unterdessen nicht müde, gebetsmühlenartig auf die gesundheitliche Unbedenklichkeit seiner Produkte hinzuweisen. Man hätte zwar Schritte eingeleitet, die 4-MEI-Gehalte weltweit zu reduzieren, aber letztlich nur, um den "aus unserer Sicht ungerechtfertigten Warnhinweis" in Kalifornien zu verhindern, hieß es in einer Stellungnahme.

Coca-Cola, Haribo & Co.: Lebensmittel mit Zuckerkulör im Test

Für unseren Test ließen wir 33 Lebensmittel und Getränke auf 4-MEI und THI, ein weiteres schädliches Nebenprodukt der Zuckerkulörherstellung, untersuchen. Mit dabei sind sechs Lakritzprodukte, die entweder mit Zuckerkulör gefärbt sind – oder Salmiaksalz bzw. Ammoniumchlorid enthalten. Auch diese Substanzen können die Bildung von 4-MEI in der Lakritze fördern.

Das Ergebnis: Der kalifornische Warnwert wurde insgesamt zwölfmal überschritten. Insbesondere Getränke liefern reichlich 4-MEI. Etliche müssten nach kalifornischem Recht sogar mit der Krebswarnung gekennzeichnet sein – darunter namhafte Markenprodukte. Aus EFSA-Sicht wären – wie zu erwarten – alle Gehalte unbedenklich.

Getränk überschreitet US-Wert um das Sechsfache

Ein Getränk im Test überschreitet den US-Wert um das Sechsfache – und das mit jedem Liter, den man trinkt. Was viel klingt, ist nach EFSA-Rechnung extrem wenig. So müsste man über 252 Liter des betroffenen Getränkes in sich hineingießen, um die in Europa akzeptierte Grenze zu erreichen. Von zwei höher belasteten Getränken wären "nur" gut 70 Liter vonnöten.

Überrascht haben uns auch die 4-MEI-Gehalte in einigen anderen Produkten, etwa mit Zuckerkulör gefärbtem Aceto Balsamico. Hier reicht schon ein Esslöffel, um den Vorsorgewert aus Kalifornien zu toppen. Auch ein Getränk, das gern von Kindern konsumiert wird, weist eine relativ hohe Belastung auf – und selbst ein Lakritz-Produkt einer bekannten Marke reißt die kalifornische Leitlinie.

Außerdem auffällig: In fast allen Produkten mit Ammoniak-Zuckerkulör (E 150c) fand sich obendrein THI bzw. 2-Acetyl-tetrahydroxy-butylimidazol, wie der Stoff vollständig heißt. THI hat in Tierversuchen das Immunsystem geschädigt. Ob dies auch für den Menschen gilt, ist noch unklar.

Diesen Test haben wir zuletzt im ÖKO-TEST-Magazin 5/2013 veröffentlicht. Aktualisierung der Testergebnisse/Angaben für den Ratgeber Essen 12:2013 mit CD, sofern die Anbieter Produktänderungen mitgeteilt haben oder sich aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse die Bewertung von Mängeln geändert oder wir neue/zusätzliche Untersuchungen durchgeführt haben.

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Testverfahren

Der Einkauf: Im Fokus unseres Einkaufs standen zuallererst Produkte, die mit den Zuckerkulören E150c (Ammoniak-Zuckerkulör) oder E 150d (Ammoniumsulfit-Zuckerkulör) gefärbt sind, etwa Colagetränke, Energydrinks, Würzsaucen, Balsamessige und Saucenbinder. Gekauft wurden auch sechs Lakritzprodukte, da bei deren Herstellung die gleichen schädlichen Stoffe wie bei Zuckerkulör entstehen können. Weil das theoretisch auch für andere braune Zuckerprodukte gelten könnte, landeten noch ein Zuckerrübensirup und ein Getreidekaffee aus Gerstenmalz im Einkaufskorb.

Die Inhaltsstoffe: Die Substanzen, um die es geht, gehören chemisch gesehen zu den Imidazolen einer großen Gruppe an Verbindungen, von denen viele in der Natur vorkommen. Bedenklich sind ausgerechnet zwei Vertreter, die als Nebenprodukte bei der Herstellung bestimmter Zuckerkulöre entstehen und damit Lebensmittel und Getränke belasten können: 4-Methylimidazol, kurz 4-MEI, und 2-Acetyl-tetrahydroxy-butylimidazol, kurz THI. Nach beiden Substanzen ließen wir in einem Speziallabor fahnden.

Das Fazit: Bislang existieren keinerlei Regelungen, wie hoch Lebensmittel oder Getränke mit den schädlichen Stoffen belastet sein dürfen. Der Gesetzgeber hat lediglich Höchstgehalte für Imidazole in Zuckerkulör selbst festgelegt. Doch dabei wollten wir es nicht bewenden lassen. Wir berechneten die Gehalte an 4-MEI, die man mit einer Portion der untersuchten Produkte aufnimmt, und stellten sie den kalifornischen Warnwerten gegenüber. Danach überschreiten immerhin zwölf Produkte den Wert und hätten in Kalifornien mit dem Warnhinweis auf eine krebserzeugende Wirkung gekennzeichnet werden müssen. Die europäischen Behörden würden hingegen alle Gehalte als unbedenklich einstufen.

Bewertungslegende

Die Einstufung bezog sich auf folgende Aspekte: 1. THI (2-Acety-tetrahydroxy-butylimidazol) nachgewiesen. 2. 4-MEI (4-Methylimidazol) nachgewiesen. 3. Gehalt an 4-MEI pro Portion überschreitet den kalifornischen Warnwert von 29 µg/Tag. 4. Gehalt an 4-MEI pro Portion überschreitet den EFSA-Wert, ausgehend von einem NOAEL (No-Observed-Adverse-Eff ectLevel) für 4-MEI von 80 mg/kg Körpergewicht und Tag, woraus eine akzeptable Tagesaufnahme (ADI) von 0,8 mg/kg Körpergewicht und Tag abgeleitet werden kann. Danach beträgt die akzeptable Tagesaufnahme für einen 60 kg schweren Erwachsenen 48 mg 4-MEI und für ein 30 kg schweres Kind 24 mg 4-MEI.

Als Portionsmengen für eine Tagesaufnahme wurden berechnet: Colagetränke, fertig sowie in aufbereiteter Form (Sodastream), Limonade: 1 Liter; Energy drinks, Biermixgetränk, Malzbier: 500 ml; Malzkaffee: 4 Tassen à 4,5 g Pulver; Cerealien: 50 g; Soßenbinder, Fertigprodukte für Bratensauce: 125 ml zubereitete Sauce; Barbecuesauce: 4 EL; Creme-Balsamico: 10 g; Sojasauce, Aceto Balsamico-Essig: 1 EL; Worcestersauce: 5 ml; gebrannte Erdnüsse: 50 g; Lakritz: 50 g; Lakritzbonbons: 30 g, Hustenbonbons: 20 g bzw. 5 Stück; Pastillen: 10 g; Zuckerkulör als Lebensmittelfarbe: 1 ml.

Testmethoden

Analyse von 4-Methylimidazol, 2-Methylimidazol, THI: Flüssigextraktion, LC-MS/MS.

Einkauf der Testprodukte: Dezember 2012.

Diesen Test haben wir zuletzt im ÖKO-TEST-Magazin 5/2013 veröffentlicht. Aktualisierung der Testergebnisse/Angaben für den Ratgeber Essen 12:2013 mit CD, sofern die Anbieter Produktänderungen mitgeteilt haben oder sich aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse die Bewertung von Mängeln geändert oder wir neue/zusätzliche Untersuchungen durchgeführt haben.

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