Schulbeginn in Corona-Zeiten: Fragen & Antworten für Eltern

Magazin August 2020: Radler | Autor: Heike Baier | Kategorie: Kinder und Familie | 29.07.2020

Schulstart in Corona-Zeiten
Foto: FamVeld/Shutterstock

In einigen Bundesländern beginnt Anfang August wieder die Schule. Und sicher ist: Dieser Schulstart wird aufgrund von Corona anders sein als zuvor. Eltern stellen sich viele Fragen: Wie viel Schule ist möglich? Wie viel Distanz nötig? Wie hoch ist das gesundheitliche Risiko? Wir beantworten sie. 

Über viele Wochen war im Frühjahr und Sommer 2020 in Deutschland Homeschooling angesagt. Denn aufgrund der Ausbreitung des Coronaviruses waren die Schulen geschlossen und Millionen Schulkinder zu Hause. Nach den Ferien soll der Regelbetrieb wieder starten. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Schulanfang und zur Einschulung:

Ist mein Kind in der Schule gesundheitlich gefährdet?

Nach allem, was die Medizin bisher weiß, ist das gesundheitliche Risiko für Kinder selbst sehr gering. Erstens: Kinder erkranken sehr viel seltener an Covid-19 als Erwachsene. Laut aktueller Daten des Robert-Koch-Instituts machen Kinder unter zehn Jahren an der gesamten Gruppe der Infizierten nur 2,6 Prozent aus.

Zweitens: Wenn Kinder krank werden, werden sie sehr viel seltener schwer krank als Erwachsene. "Wir haben in ganz Deutschland nur wenige Kinder gehabt, die aufgrund von Covid-19 intensivmedizinisch behandelt werden mussten", sagt Dr. Tobias Ankermann, Kinderpneumologe am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. "Selbst bei Kindern mit einem schweren Asthma sehen wir im Vergleich zu gesunden Kindern – wenn das gut eingestellt ist – überhaupt kein höheres Risiko, schwer krank zu werden." Das gelte auch für Kinder mit Diabetes oder Krebserkrankungen außerhalb der intensiven Chemotherapie.

Es gibt allerdings Kinder, bei denen Mediziner eine erhöhte Anfälligkeit für das Virus vermuten, erklärt Ankermann – etwa, wenn bestimmte Defekte des Immunsystems vorliegen. In solchen Fällen sollten die Eltern gemeinsam mit dem behandelnden Arzt die Argumente für oder gegen einen Schulbesuch abwägen.

Kann mein Kind gefährdete Menschen im Haushalt anstecken?

Um diesen Punkt wird viel gestritten in der Wissenschaft. Die Wahrheit ist: Niemand kann die Frage derzeit abschließend beantworten. Es gibt Studien, die zum Schluss kommen, dass Kinder das Virus ebenso häufig weitergeben wie Erwachsene. Und es gibt Erhebungen, die nahelegen, dass Kinder als Überträger sehr viel weniger relevant sind.

Dr. Matthias Keller, Chefarzt der Kinderklinik Passau, verweist auf eine aktuelle Analyse aus Norwegen, die zeigt, dass kein einziger Ausbruch dort von Kindern und Jugendlichen ausgegangen ist. "Es gibt natürlich in Schulen immer mal einen Corona-Fall. Aber wir haben keine Berichte, dass insbesondere in Kindertagesstätten oder Grundschulen irgendwelche Cluster aufgetreten sind. Superspreading-Events sind von dort nicht zu erwarten."

Ob man sein Kind also zur Schule schickt, wenn ein Erwachsener der Hochrisiko-Gruppe im Haushalt lebt, bleibt in den Augen des Mediziners "eine ganz individuelle Abwägung". In Ländern wie Baden-Württemberg haben Eltern aber die Möglichkeit, ihr Kind in einem solchen Fall formlos vom Schulbesuch zu befreien.

Schule in Corona-Zeiten: Wir beantworten Fragen zum Schulbeginn nach den Sommerferien.
Schule in Corona-Zeiten: Wir beantworten Fragen zum Schulbeginn nach den Sommerferien. (Foto: ZouZou/Shutterstock)

Sind genügend Lehrerinnen und Lehrer da?

Wahrscheinlich nicht. Hier liegt das eigentliche Nadelöhr für Unterricht nach Plan. Schon vor Corona fehlten im Grundschulbereich bundesweit 25.000 Lehrkräfte. Ilka Hoffmann von der Lehrergewerkschaft GEW schätzt, dass sich nach den Sommerferien ungefähr 10 Prozent der Grundschullehrer aus gesundheitlichen Gründen freistellen lassen werden. Maresi Lassek, Vorsitzende des Grundschulverbandes, geht sogar von 20 Prozent aus, die der Risiko-Gruppe angehören. 

Grundschüler müssten sich aus diesem Grund wohl weiterhin auf eine Mischung von Präsenz- und Fernunterrichteinstellen, glaubt sie – und folgt damit den Empfehlungen, die eine 22-köpfige Kommission um den Direktor des Leibnitz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Kai Maaz, jetzt für die Friedrich-Ebert-Stiftung erarbeitet hat. Auch um dann auf eine partielle Quarantäne-Maßnahme oder eine zweite Welle vorbereitet zu sein. "Wir werden im ganzen nächsten Schuljahr noch mit Einschränkungen leben müssen", glaubt Lassek.

Wie sieht der Schultag aus?

Guter Unterricht in der Grundschule sieht heute eigentlich so aus: Die Kinder laufen herum, holen sich selbst Material zur Freiarbeit, sitzen im Stuhlkreis oder lernen in Gruppen. Sie machen Ausflüge und Theaterbesuche, die den Klassenverbund stärken. Das alles ist vor allem für Erstklässler wichtig – und in Corona-Zeiten nicht in gewohnter Form möglich.

Pädagogin Maresi Lassek hat in den Wochen nach dem Lockdown schon eine Rückkehr zu "antiquierten Unterrichtsformen" mit Stillsitzen und Frontalunterricht festgestellt: "Die Kinder saßen auf Abstand in der Reihe und arbeiteten an Arbeitsblättern." 

Nach den Sommerferien werde es ihrer Meinung nach eine Herausforderung sein, unter den neuen Hygiene-Bedingungen wieder flexiblere Unterrichtsformen aufleben zu lassen. "Wir wissen, dass die sehr viel effektiver sind für das Lernverhalten der Kinder." Und gerade für die Erstklässler findet sie einen Regelbetrieb mit allen Lernangeboten wichtig: "Schule ist so viel mehr als Unterricht, da gehören auch die Pause dazu oder die informellen Phasen. Mathe und Deutsch sind grundlegend, aber das macht nicht das Schulleben aus."

Gibt es Nachmittagsbetreuung?

Das ist noch offen – und kommt darauf an, ob es sich bei der Nachmittagsbetreuung um einen Hort, eine offene oder eine gebundene Ganztagsschule handelt. Bei Ganztagsschulen wird es wohl eine Frage der Lehrer-Ausstattung sein und könnte vorerst auf eine erweiterte Notbetreuung hinauslaufen, vermutet Maresi Lassek.

Die Pädagogin geht davon aus, dass die Horte, die meist in kommunaler Trägerschaft sind, wieder öffnen werden, sobald die Schulen in Normalbetrieb gehen. "Mit dem Risiko, dass von Kontaktminimierung nicht mehr die Rede sein kann, wenn die Kinder sich in ihren Hort-Gruppen klassenübergreifend mischen und darüber eine Infektion in ihre Klassen zurücktragen."

Einschulung in Corona-Zeiten: Was wird anders sein?
Einschulung in Corona-Zeiten: Was wird anders sein? (Foto: Kzenon/Shutterstock)

Einschulung: Was sich Eltern von Erstklässlern fragen

Für viele Kinder beginnt 2020 der Start ins Schulleben. Hier drei Fragen, die sich an die Eltern von Abc-Schützen richten.

  1. Gibt es eine Einschulungsfeier?
  2. Ist es schlimm, dass es kaum Schulvorbereitung gab? 
  3. Gibt es für Erstklässler "normalen" Unterricht? 

Gibt es eine Einschulungsfeier?

Nicht wie bisher. Manche Grundschulen haben schon vor den Sommerferien kommuniziert, dass die Einschulungsfeiern der Erstklässler (ab 3. August 2020) nicht mehr so stattfinden können wir in der Vergangenheit.

Große Feiern in gut gefüllten Turnhallen mit Oma und Opa dürften ebenso flachfallen wie das traditionelle Rahmenprogramm mit Aufführungen anderer Klassenstufen. Denkbar sind dagegen kleinere Feiern im Klassenverbund. Ein Trost ist: Die Kinder kennen es nicht anders. Und mit einem schönen Fest im Kreis der Familie lässt sich hier einiges auffangen.

Ist es schlimm, dass es kaum Schulvorbereitung gab?

Kennenlern-Nachmittage, Schulvorbereitung, Schnupper-Tage – die Angebote von Schule und Kitas, den Kindern der Übergang in eine neue Institution zu erleichtern, sind vielfältig. Und sie dürften in den allermeisten Fällen ausgefallen sein. "Das ist aus meiner Sicht aber unkritisch", findet Raphaela Porsch, Professorin im Fachbereich Erziehungswissenschaft der Uni Magdeburg. "All diese Maßnahmen erleichtern den Übergang für die Kinder sicherlich. Aber ob sie als Lernvorbereitung auf die Schule notwendig sind, das ist ohnehin umstritten."

Es wird der Fantasie jedes einzelnen Lehrers überlassen bleiben, inwieweit er die ausgefallenen Rituale und fehlenden Gruppenerfahrungen der Kinder auffängt und ihnen das Ankommen erleichtert. Was das für künftige Klassengemeinschaften heißt, wird sich wohl erst im Rückblick sagen lassen. Porschs Rat an alle Eltern: "Abwarten und ruhig Blut bewahren."

Gibt es für Erstklässler "normalen" Unterricht?

Das könnte durchaus sein – vorausgesetzt, es gibt bis dahin keine zweite Welle. Derzeit streben zumindest alle Bundesländer einen Regelbetrieb nach den Sommerferien an. Also: volle Klassenstärke, volles Stunden-Pensum.

"Aus vielen Bundesländern bekommen wir den Hinweis, dass es keine Abstandsregeln und keinen Mundschutz innerhalb der Klassenverbände geben wird", berichtet Maresi Lassek vom Grundschulverband. Stattdessen liefe es allgemein auf Regeln hinaus, Kontakte zu minimieren.

Das heißt, dass es innerhalb der Klassen keine Abstandsregeln gibt, in den Gängen oder auf den Toiletten aber schon. Und dass man durch zeitliche Staffelungen von Pausen oder Schulbeginn die Zahl der Begegnungen weiter einschränken. Eine weitere Maßnahme sei es, dass die Klassen mit möglichst wenig Lehrkräften in Kontakt kommen, um bei erneuten Corona-Ausbrüchen die Kontakte gut verfolgen zu können. 

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