Wasserkreislauf: Ozeanströme auf der Kippe

Spezial Umwelt 6: 2012 | | Kategorie: Freizeit und Technik | 31.12.2012

Wasserkreislauf: Ozeanströme auf der Kippe

Wassermassen transportieren beständig die Wärme der Tropen und die Kälte der Pole selbst in entfernte Regionen der Erde. So beeinflussen sie das gesamte Klima. Doch was, wenn der globale Temperaturanstieg diesen Ausgleich bremst oder gar einzelne Ströme umleitet? Dass der Nordpol 2012 so viel Eis verloren hat wie nie zuvor, ist ebenso ein Warnsignal wie auch neue Forschungsergebnisse.

Der Härtetest für Segler: Die Umrundung von Kap Hoorn, der Südspitze Amerikas, fordert Mensch und Material alles ab. Eisige Gicht brodelt aus dem aufgewühlten Ozean, Orkane brüllen mit 160 Kilometern die Stunde: Hier ist der Abstand zwischen Südamerika und den Eismassen des Südpols gering. Wie durch eine Düse zwängt sich ein gewaltiger Wasserstrom durch diese enge Passage, getrieben von stürmischen Westwinden. Der Druck ist riesig: eine Geburtsstätte des Weltklimas. Denn von diesem gigantischen antarktischen Zirkularstrom zweigen kalte Wasserströme nach Norden ab: Besonders starke fließen östlich von Madagaskar in den Indischen Ozean, bei Neuseeland in den Pazifik und entlang der Küste Namibias in den Atlantik.

Dort zeigt sich der Einfluss dieser Ströme auf das Klima: Die Stadt Swakopmund meldet 15 Grad Celsius im Jahresmittel; das auf gleicher geografischer Höhe liegende Rio de Janeiro gut 22 Grad. Weite Teile Namibias sind sehr trocken oder gar Wüste, weil aus dem kalten Meer kaum Wolken aufsteigen. Die Wassermassen ziehen weiter gen Nordwesten in die Karibik, werden von der Tropensonne aufgeheizt und nach Nordosten Richtung Europa gelenkt - hoch hinauf Richtung Nordpol, vorbei an der Küste Norwegens. Dort in Tromsø sorgt die maritime Gratisheizung für eine Jahresdurchschnittstemperatur von immerhin plus drei Grad Celsius, während das Thermometer auf gleicher Höhe in Ilulissat im Westen Grönlands minus vier Grad anzeigt.

Wasserkreislauf

Könnte dieser für Europa so wichtige Nordatlantikstrom total versiegen? Auszuschließen ist das nicht. Unter Führung von Professor Hans Joachim Schellnhuber, Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), hat ein internationales Expertenteam ermittelt, welche Mechanismen, die das Klima ganzer Kontinente bestimmen, sich bei fortschreitender Erderwärmung abrupt ändern, ja sogar regelrecht umkippen könnten. Zu diesen Kipp-Elementen zählen im Pazifik die Verhältnisse vor der Westküste von Südamerika, deren Änderung öfter zu schweren Wetterkapriolen führen würde, die selbst in Europa und in Asien zu spüren wären - und eben der Kreislauf von Strömungen im Atlantik.

Der globale Wasserkreislauf verschiebt Wärmemassen um die Welt
Der globale Wasserkreislauf verschiebt Wärmemassen um die Welt (Foto: ÖKO-TEST)

Bei einer globalen Erwärmung um drei bis fünf Grad Celsius können sich diese Meeresströme radikal verändern, warnen die Experten. Der Nordatlantikstrom könnte im Extremfall ganz stoppen, weil das aus der Karibik zum Nordmeer strömende Wasser nicht mehr nach Süden zurückfließen würde. Dieser Rückfluss erfolgt bisher nach einem verblüffenden System: Da der warme Nordatlantikstrom an der Meeresoberfläche fließt, gibt er auf seinem Weg viel Wasserdampf an die Atmosphäre ab, das verbleibende Wasser wird dadurch noch salziger und damit schwerer; zudem kühlt es ab, was sein Gewicht weiter erhöht. Nördlich von Island ist es so weit: Das Wasser des Nordatlantikstroms ist schwerer als das darunterliegende Wasser und sinkt wie ein gewaltiger Wasserfall 3.000 Meter hinunter zum Ozeanboden. Die Fallenergie treibt es dann als kalten Tiefenstrom zurück zur Antarktis. Der Kreislauf ist geschlossen.

Wasserkreislauf: Schmelzwasser bremst Meeresströmung

Ein Teufelskreis, der unser ganzes Leben bestimmt. Doch im Jahr 2005 legten erstmals britische Forscher Messergebnisse vor, nach denen der Tiefenstrom um 30 Prozent abgenommen hätte. Diese ersten Resultate bestätigten sich zwar in der Folge nicht; wie es aber zu einer Entwicklung in diese Richtung kommen könnte, ist den Wissenschaftlern inzwischen klar: Wenn mehr Süßwasser in das Nordmeer strömt und den Salzgehalt des Nordatlantikstroms verringert - er also leichter wird -, rauscht weniger seines Wassers in die Tiefe und dort zurück zum Südpol. Diese Entwicklung kommt im Nordmeer bereits in Gang. Die sibirischen Flüsse liefern wegen des Klimawandels messbar mehr Wasser.

Zudem schmilzt das arktische Meereseis zumindest teilweise. Im September 2012, am Ende des Sommers, war die Eisfläche der Arktis so klein wie noch nie seit Beginn der Satellitenmessung 1974 - und in den Jahren zuvor war die Fläche auch schon arg geschrumpft. In den Wintern bildete sich nur eine dünne neue Eisschicht, die im nächsten Sommer leicht wieder tauen konnte. Die Folge: Während früher die helle Eisdecke die Sonnenstrahlen reflektiert hat, heizen diese nun die eisfrei bleibenden Meeresbereiche auf - und die Tauprozesse am Pol beschleunigen sich. "Nicht nur die Eisfläche schrumpft, sondern ebenso die Eisdicke", berichtet Lars Kaleschke von der Universität Hamburg: "Das Eisvolumen rund um den Nordpol hat sich um etwa drei Viertel verringert."

Wasserkreislauf

Die Erwärmung der Polgebiete beschleunigt das Abschmelzen der Gletscher in Grönland. Sie rutschen immer schneller ins Meer. Einige der gefährdetsten hat Gordon Hamilton von der US-Universität Maine vermessen: "Gletscher bewegen sich im Schnitt mit 50 Metern pro Jahr in Richtung Meer. Jetzt schafft einer hier 25 Meter pro Tag, ein anderer gar 38 Meter." Der europäische Satellit ERS-2 bestätigte diese Angaben. Ein Erklärungsansatz: Seit etlichen Jahren bilden sich im Sommer auf Gletscheroberseite gewaltige Seen aus Tauwasser, das durch Spalten zum Gletschergrund sickert und dort wie ein Schmiermittel wirkt. Fiamma Straneo vom Ozeanografischen Institut in Woods Hole im US-Bundesstaat Massachusetts hat eine weitere Ursache entdeckt: In grönländischen Fjorden umspült bis zu sechs Grad Celsius warmes Wasser die Gletscherfronten, die sich unter Wasser oft 100 Meter in die Tiefe fortsetzen. Früher wies das Fjordwasser - ermöglicht durch den Salzgehalt - Minusgrade auf. Doch der Nordatlantikstrom bringt heute wärmeres Wasser nach Grönland als jemals in den vergangenen 60 Jahren, und geänderte Windverhältnisse lassen es tief in die Fjorde eindringen. Statt nur an ihrer Front zu schmelzen, brechen jetzt immer häufiger große Eisberge von den Gletschern ab.

Bei einer globalen Erderwärmung im Bereich von 1,9 bis 5,1 Grad Celsius über dem Niveau vor der Industrialisierung würde Grönland eisfrei, erwarteten die Experten bisher. Als wahrscheinlichster Wert, bei dem die finale Schmelze beginnt, galt ein Plus von rund drei Grad. "Die Eismassen sind viel verletzlicher, als wir bisher dachten", erklärt Andrey Ganopolski vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Nach einer neuen Studie, die unter seiner Leitung entstand, werden die Gletscher Grönlands wohl bereits bei einer Erderwärmung im Bereich von 0,8 bis 3,2 Grad Celsius endgültig tauen; der wahrscheinlichste Wert liegt bei plus 1,6 Grad. Pech, wenn die Totalschmelze schon bei plus 0,8 Grad beginnt, denn den Wert haben wir praktisch schon erreicht.

Wasserkreislauf: Anstieg der Ozeane wird unterschätzt

Hart träfe der mit der finalen Schmelze auf Grönland verbundene Anstieg des Meeresspiegels die Küstenbewohner weltweit. Er zieht sich allerdings über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende hin. Wie lange es dauert, bis sich das Meerwasser bis in die tiefsten Tiefen erwärmt und dadurch ausdehnt, ist ebenfalls schwer abzuschätzen. Und falls, wie es Ganapolskis Studie nahelegt, das Grönlandeis zum Beispiel bei einer Erderwärmung um zwei Grad Celsius beginnt, endgültig zu schmelzen, wäre die Rieseninsel wohl erst 50.000 Jahre später eisfrei. Schließlich ist der Eispanzer in weiten Teilen mehr als 3.000 Meter dick. Sogar wenn wir die Erde mit einem Weiter-so-wie-bisher-Verhalten um acht Grad aufheizen, dauert dieser Schmelzprozess noch 2.000 Jahre, berechnete Ganopolskis Team. Geschmolzen lässt das Grönlandeis den Meeresspiegel um sieben Meter steigen.

Schon bis zum Jahr 2300 wird das Meer wohl höher steigen als bislang geschätzt, so eine andere neue Studie unter Leitung von Michiel Schaeffer von der niederländischen Universität Wageningen, an der Professor Stefan Rahmstorf vom PIK beteiligt war. Schaeffer: "Anhand der tatsächlichen Meeresspiegelentwicklung im vergangenen Jahrtausend können wir zeigen, dass das Meer bei einer Erderwärmung von zwei Grad bis zum Jahr 2300 um 1,5 bis 4,0 Meter steigt, wahrscheinlichster Wert also 2,7 Meter." Bei einem Temperaturplus von drei Grad wären es wahrscheinlich 3,5 Meter. Selbst wenn es gelänge, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, stiege das Meer wohl immer noch um 1,5 Meter. "Das 1,5-Grad-Szenario führt zu einer Stabilisierung des Meeresspiegels um das Jahr 2300 - es sei denn, es wird eine nicht mehr zu stoppende Schmelze auf Grönland ausgelöst, wie es die Studie von Andrey Ganopolski für möglich hält. Dann wäre die von meinem Team vorgelegte Schätzung des Meeresanstiegs zu optimistisch", erklärt Studienleiter Schaeffer.

Wasserkreislauf: Mildes Christkind, kaltes Mädchen

"Das Süßwasser aus den schmelzenden Grönlandgletschern könnte irgendwann den Rückfluss des Nordatlantikstroms spürbar verringern", sagt Michiel Schaeffer. Sogar wenn der warme Meeresstrom stoppt, würde es wohl in Nordeuropa trotzdem nicht kälter als heute - wegen des Treibhauseffekts. Vermutlich würde sich die Plankton-Bio-Masse im bislang sehr fruchtbaren Atlantik halbieren, und mit ihr die Fischbestände. Eine weitere Folge: Durch den Stopp steigt der Meeresspiegel an den Küsten des Nordatlantiks ohne lange Vorwarnzeit zusätzlich um bis zu einen Meter, während er im Südatlantik sinkt. Denn die Meeresoberfläche ist nicht glatt, vielmehr entstehen durch die Ozeanzirkulation Hügel und Täler. Weil mit dem Abbremsen oder gar dem Stopp des Nordatlantikstroms weniger Wärme in den hohen Norden abfließen würde, verlagerte sich der Tropengürtel nach Süden - auch dort käme die Natur in Unordnung. Mehr noch: Wenn aus dem Atlantik nicht länger der mächtige Tiefenstrom ins Südpolarmeer fließt, verändert das den dortigen Zirkularstrom - und die von ihm abgehenden Ströme in die übrigen Ozeane, die sich in ähnlichen Kreisbewegungen wie der Atlantikstrom in den Tropen erwärmen, später absinken und in der Tiefe wieder zur Antarktis zurückkehren.

Sogar ohne Rückwirkung aus dem Atlantik könnte der Einfluss des Humboldtstroms vor der Westküste Südamerikas schwinden, wenn sich die Erde um drei Grad Celsius erwärmt. Gewöhnlich bringen diese kalten Wassermassen aus der Antarktis reichlich Nährstoffe in die oberen Wasserschichten vor Südamerikas Westküste. Dort tummeln sich deshalb gewaltige Fischströme, die Peru zur zweitgrößten Fangnation nach China machen. Doch in manchen Jahren ändert sich die Zirkulation: Das Wasser an der Oberfläche bleibt für etwa drei Monate ungewöhnlich warm, das Plankton stirbt und die nahrungsuchenden Fische wandern ab - ein großer Verlust für die Fischer. Weil die Erwärmung typischer weise zur Weihnachtszeit eintritt, heißt sie im Volksmund El Niño - das Christkind. Etwas seltener sind Perioden mit ungewöhnlich kaltem Oberflächenwasser, die La Niña, das Mädchen, genannt werden.

Wasserkreislauf

Doch der Humboldtstrom - Wissenschaftler sprechen nüchtern von der südlichen Oszillation - beeinflusst nicht nur den peruanischen Fischfang, sondern das Wetter weltweit. Mit La Niña steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es entlang des Äquators in Südamerika und Ostafrika trockener bleibt als normal; in Indonesien, Malaysia, Südostafrika sowie im Norden Australiens und Brasiliens regnet es dagegen viel. In Japan, Südostbrasilien sowie an der nördlichen US-Pazifikküste wird es besonders kalt, im Südosten der USA dagegen wärmer und trockener als normal.

Für Dezember 2012 rechnen zahlreiche nationale Wetterämter rund um den Pazifik damit, dass El Niño naht. Schon sorgt sich die Welternährungsorganisation FAO, dass es wegen dieses Christkinds in Nordaustralien, Indonesien, auf den Philipinen, in Südostafrika und Nordbrasilien zu Dürren kommt. Dafür wird er im Süden der USA, am Golf von Mexiko und in Äquatornähe von Südamerika und Ostafrika viel regnen. Umstritten ist, ob El Niño auch für besonders kalte Winter in Europa verantwortlich ist.

Alle diese weiträumigen Effekte der südlichen Oszillation könnten sich bei einem weiter fortgesetzten Klimawandel verschärfen. Ob es dazu kommt, liegt wesentlich an der Umweltpolitik des nächsten Jahrzehnts. Noch können wir die Erderwärmung abmildern.

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