Desinfektion im Haushalt: Warum sie schaden kann

Magazin September 2025: Marmelade | Autor: Michelle Sensel | Kategorie: Bauen und Wohnen | 10.09.2025

Desinfektion im Haushalt kann schädlich sein.
Foto: j.chizhe/Shutterstock

Desinfektion im Haushalt ist nicht nur meistens unnötig, sondern kann uns kurz- und langfristig schaden. Wie sich unser Drang, alle Keime abtöten zu wollen, auf unsere Gesundheit auswirkt und warum sich die Therapie von Krankheiten auch deshalb verändern muss.

Beseitigt 99,9% der Bakterien, heißt es auf einer Flasche WC-Reiniger in unserem Test. Ein anderer Hersteller legt noch einen obendrauf und bescheinigt diese Wirkung sogar zusätzlich für "spezielle Viren". Klingt doch erst mal super – wer will schon Bakterien und Viren zuhause haben, vor allem im Klo. Oder?

Desinfektion hilft nicht gegen Keime in der Luft

So einfach ist es nicht. "Die Toilette beim Reinigen zu desinfizieren, hilft ja nicht gegen den Vernebelungseffekt, und der ist bei jedem Toilettengang immer da", sagt Professor Dr. Dr. Andreas Podbielski, Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie.

Sprich: Jedes Mal, wenn man eine Toilette spült, vernebelt man die Keime, und man selbst und jeder, der danach ins Bad geht, atmet sie mit ein. Gegen diese Keime in der Luft kann auch der Reiniger mit Desinfektionsmitteln, den wir beim letzten Putztag in die Toilette gekippt haben, nichts tun.

Was dagegen eher hilft, ist es, den Klodeckel beim Spülen zu schließen. Und sich darüber bewusst zu werden, dass die Keime aus der eigenen Toilette nicht automatisch krank machen "Bei diesem Desinfektionsgedanken kommt oft ein Ekelaspekt ins Spiel, vor allem, wenn andere Menschen die Toilette mitbenutzen", sagt Podbielski. "Aber Ekel ist ja nicht infektiös."

Gerade im eigenen Haushalt komme man schließlich ständig mit Keimen anderer Familienangehöriger in Kontakt, auch mit Darmkeimen. "Da ist die Toilette nur ein Weg, insofern würde so eine selektive Toilettendesinfektion wenig bewirken", sagt der Hygieniker.

Gleiches gelte grundsätzlich für Flächendesinfektion im Haushalt: "Das ist Chemie, der man sich aussetzt, für die es einfach keinen guten Grund gibt."

Desinfektionsmittel im Haushalt: Mehr Risiken als Nutzen

Mit dieser Ansicht ist der Hygieniker längst nicht allein. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), das Robert Koch-Institut, das Umweltbundesamt (UBA) und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin haben sich schon vor einigen Jahren die Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt von antimikrobiellen Produkten im Haushalt genauer angesehen.

"Der Nutzen von Desinfektionsmitteln für den Haushalt ist gegenwärtig nicht belegbar", heißt es in der gemeinsamen Betrachtung. "Nicht auszuschließen sind dagegen Risiken für den Anwender, für unbeteiligte Personen, für die Umwelt und bezüglich einer möglichen Resistenzbildung bei unsachgemäßer Anwendung."

Die übereinstimmende Einschätzung der Institute: "In Privathaushalten wird der Einsatz von Desinfektionsmitteln als in der Regel nicht erforderlich gesehen."

Risiken: Verätzung, Allergien und Resistenzen

Das BfR weist zum Beispiel darauf hin, dass während der Corona-Pandemie deutlich mehr Giftnotrufe abgesetzt wurden, weil Kinder unter 6 Jahren mit Desinfektionsmitteln in Kontakt gekommen waren. Je nach Inhaltsstoffen können die Produkte zu Verätzungen führen – meist an Augen und Haut. Trinkt man sie, dann auch im Magen-Darm-Trakt. Darüber hinaus könnten die Produkte Allergien fördern.

Ein weiteres Problem: Mikroorganismen können resistent gegen desinfizierende Wirkstoffe werden, wenn sie regelmäßig geringen, nicht tödlichen Konzentrationen ausgesetzt sind. "Einige Wirkstoffe in Desinfektionsmitteln können zudem die Resistenzentwicklung von Mikroorganismen gegen Antibiotika fördern – auch wenn die Mikroorganismen gegen das Desinfektionsmittel selbst nicht resistent sind", so das BfR.

Desinfektionsmittel bergen Risiken für die Umwelt

In der gemeinsamen Betrachtung zu den Auswirkungen von antimikrobiellen Produkten im Haushalt weisen die Institute auch auf Risiken für die Umwelt hin. Denn Desinfektionsmittel können sowohl in Gewässer als auch in den Boden und in die Luft gelangen.

Häufig in Krankenhäusern und Arztpraxen verwendete Desinfektionsmittel wie Triclosan wurden beispielsweise in zahlreichen Abwässer- und Oberflächengewässerproben, im Klärschlamm, in Wasserpflanzen und Fischproben nachgewiesen. Der Wirkstoff Clorofen wurde ebenfalls in Fischproben nachgewiesen. Als weitere umweltrelevante Desinfektionsmittel nennen die Institute quartäre Ammoniumverbindungen. Diese waren auch in einigen WC-Reinigern in unserem Test enthalten.

So schreibt ein Hersteller auf seiner Flasche, dass er Benzalkoniumchlorid als Desinfektionsmittel einsetzt. Der Stoff kann nicht nur die Haut reizen und Allergien auslösen, sondern ist auch als sehr giftig für Wasserorganismen mit langfristiger Wirkung eingestuft und sollte deshalb nicht in Gewässer gelangen.

Produkte, die das EG-Umweltzeichen für "Allzweckreiniger und Reinigungsmittel für sanitäre
Einrichtungen" tragen, dürfen solche quartären Ammoniumverbindungen übrigens nicht enthalten. Das gilt auch für andere giftige und sehr giftige Inhaltsstoffe mit längerfristig schädlicher Wirkung für die Umwelt. Solche Produkte erkennt man am EU-Ecolabel mit der Euroblume.

Wir können mit Keimen leben

Abgesehen davon, dass sich Desinfektionsmittel ganz unmittelbar negativ auf Gesundheit und Umwelt auswirken können, können sie uns auch längerfristig beeinflussen. Als Mikrobiologe beschäftigt Prof. Podbielski ein Thema besonders: Wie wir unser Mikrobiom mit unserem Reinheitsdrang verändern, und was das für unsere Gesundheit bedeutet.

"Wir sind ja von Kopf bis Fuß mit Mikroorganismen besiedelt und nehmen aus unserer Umgebung ständig Mikroorganismen auf", sagt er. Diese Mikroorganismen gibt es schon deutlich länger als uns Menschen, wir mussten also von Beginn an lernen, mit ihnen zu leben.

"Mit unserem Hygieneverhalten in unserer Umgebung schießen wir selektiv Keime weg, mit denen wir in der Evolution ein Gleichgewicht gefunden haben." Wenn wir also Desinfektionsmittel verwenden, die bestimmte Keime töten und andere nicht, dann bringen wir dieses Gleichgewicht durcheinander, es entstehen Dysbiosen.

Die müssen nicht immer schlecht sein, aber der Mikrobiologe sieht eine Tendenz: "Mit mehr Keimen können wir leben, aber selektiv weniger Keime, das haben wir noch nicht erlebt. Wir merken immer mehr, dass viele Erkrankungen auch jenseits der Infektionen im Zusammenhang mit Dysbiosen stehen."

Gesundes Mikrobiom immer wichtiger

Ein gutes Beispiel seien chronisch entzündliche Darmerkrankungen. Diese hätten zwar eine genetische Grundlage. Dass die Symptome ausbrechen oder wiederausbrechen sei aber auf eine Dysbiose zurückzuführen. "Deswegen kann man auch durch Diäten und Einnahme bestimmter Probiotika ein Wiederausbrechen verhindern", sagt Podbielski. "Weil man mit den Diäten und Probiotika ein vernünftiges, halbwegs gesundes Mikrobiom wiederherstellen kann."

Diese Erkenntnis könnte vieles verändern, sagt Podbielski: "Mein Berufsfeld wird in den Grundfesten erschüttert." Denn in der Mikrobiologie habe man sich traditionell darauf konzentriert, pathogene, also krankheitserregende, Mikroorganismen nachzuweisen, da sie als größte Ursache für Erkrankungen gesehen wurden.

"Da müssen wir umlernen. Man kann jahrelang mit pathogenen Keimen auf sich und um sich herum rumlaufen und es macht einem gar nichts, weil das Mikrobiom gesund ist", sagt er. "Wenn es da zu einem Ungleichgewicht kommt, dann ist auf einmal der Keim, mit dem wir ewig rumgelaufen sind, zum Infektionserreger geworden." Er ist sich deshalb auch sicher, dass wir in der Behandlung von Krankheiten in Zukunft mehr auf Probiotika-Cocktails alternativ oder zusätzlich zu Antibiotika setzen werden.

Wann doch mal desinfizieren?

Entsprechend wichtig findet der Mikrobiologe es mit dem Desinfizieren und der Reinlichkeit nicht zu übertreiben. "Wenn jemand mit kontaktübertragenden Infektionserregern im Haushalt unterwegs ist, dann kann Desinfektionsmittel helfen", sagt er. Dann aber lieber die Hände desinfizieren und nicht die Flächen: "Sogar im Krankenhaus ist Flächendesinfektion nur ein Add-on. Die größte Sicherheit bringt die Händedesinfektion, denn über die Hände, mit denen wir uns ständig im Gesicht berühren, stecken wir uns an." Im Alltag reicht regelmäßiges Händewaschen mit Wasser und Seife aus.

Auch BfR und Umweltbundesamt raten, Desinfektionsmittel im Haushalt nur in speziellen Fällen und nach ärztlichem Rat zu nutzen. Das Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit nennt als solche Fälle zum Beispiel, wenn ein Familienmitglied an einer hochansteckenden Infektion leidet oder jemand mit geschwächter Immunabwehr, ausgelöst durch Krankheit oder
Medikamente, im Haushalt lebt.

Wie erkennt man gute Desinfektionsmittel?

"Wenn tatsächlich notwendig, verwenden Sie am besten zertifizierte Desinfektionsmittel", heißt es vom Institut. Erkennen könne man diese am Hinweis "VAH-zertifiziert" oder "VAH-gelistet".

Auch Podbielski rät, wenn überhaupt, dann lieber reine Desinfektionsmittel zu verwenden und keine Reiniger, die Desinfektionsmittel enthalten. "Für die meisten Kombinationen ist nicht sichergestellt, ob sie wirken oder ob sich die Komponenten nicht gegenseitig inaktivieren."

Tipps: Nachhaltig und hygienisch das Klo putzen

Dos: 

  • Frischen Schmutz sofort entfernen, damit er nicht eintrocknet
  • Wenn WC-Reiniger, dann auf Zitronen- oder Milchsäurebasis
  • WC-Reiniger einmal in der Woche anwenden
  • An Dosierungsangaben halten, um Umwelt zu schonen, bzw. Mittel grundsätzlich sparsam einsetzen
  • Reiniger mit "Blauem Engel" oder "EU-Umweltblume" wählen
  • Putzlappen gut auswaschen, trocknen und regelmäßig bei 60°C waschen
  • Hände gut waschen


Don´ts:

  • Auf aggressive Reinigungs- und Desinfektionsmittel verzichten
  • Reiniger mit Gefahrenpiktogrammen zum Gewässerschutz im Regal lassen
  • Umweltschädigende Stoffe wie quartäre Ammoniumverbindungen meiden
  • Keine Einmal-Putztücher verwenden


DIY-WC-Reiniger:
Je zwei Teelöffel Zitronensäurepulver und Natron gegen Urinstein und Kalkablagerung in die Kloschüssel geben und je nach Stärke der Verunreinigung einwirken
lassen. Danach gut abspülen.

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