Titandioxid in Lebensmitteln verboten: Welche Folgen hat das für Kosmetik?

Magazin September 2022: Abgeschmiert | Autor: Heike Baier | Kategorie: Kosmetik und Mode | 11.09.2022

Die Europäische Kommission hat das für Kosmetik zuständige EU-Gremium SCCS damit beauftragt, die wissenschaftlichen Daten zu Titandioxid in Kosmetika erneut zu prüfen.
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Titandioxid spielt in Naturkosmetik eine wichtige Rolle – ob als Farbpigment, Schleifpartikel oder UV-Filter. Jetzt ist das mineralische Pulver als Zusatzstoff in Lebensmitteln verboten. Was bedeutet das für Kosmetika?

Seit kurzem ist es rechtskräftig: Titandioxid darf mit Stichtag 7. August in Lebensmitteln EU-weit nicht mehr eingesetzt werden. Kein Kaugummi-Überzug mehr mit dem mineralischen Weißpigment, keine Tütensuppe und kein Brotaufstrich.

Denn die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kam im vergangenen Jahr zum Schluss: Sie kann nicht mehr ausschließen, das Titandioxid als Lebensmittel-Zusatzstoff E171 genotoxisch wirke. Verschlucktes Titandioxid könnte also möglicherweise unser Erbgut verändern.

Und das ist nicht der erste Fleck auf der weißen Weste des Pigments: Schon seit 2019 ist es als "vermutlich krebserregend" eingestuft, wenn es als ganz feiner Staub eingeatmet wird.

Titandioxid in Kosmetik: Risiko wird erneut geprüft

Die EU-Kosmetikverordnung verbietet deshalb bereits den Einsatz von Titandioxid in Nano-Größe für Sonnenschutzsprays. Doch welche Konsequenzen hat das für Kosmetika? Vor allem für solche die auch verschluckt werden können: Lippenstifte, Lipgloss, Lippenpflege mit UV-Schutz oder Zahnpasta etwa. Von ihnen gelangen zwar kleinere Mengen Titandioxid in den Körper als aus Lebensmitteln, möglicherweise reichern sie sich jedoch im Gewebe an.

Diese Fragen sollen nun geklärt werden: Die Europäische Kommission hat im Juni das für Kosmetik zuständige EU-Gremium SCCS damit beauftragt, die wissenschaftlichen Daten zu Titandioxid gerade in verschluckbaren Kosmetika erneut zu prüfen.

Für die Bewertung hat das SCCS Zeit bis März 2023. So lange hängen die Nutzerinnen von Kosmetika in der Luft und sind zu Recht verunsichert. Klar ist allerdings auch: Über gesunde Haut kann Titandioxid nach jetzigem Kenntnisstand nicht in den Körper gelangen, wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bekräftigt.

Inwiefern Titandioxid in verschluckbaren Kosmetikprodukten wie Lipgloss ein Risiko darstellt, prüft das EU-Gremium SCCS nun erneut.
Inwiefern Titandioxid in verschluckbaren Kosmetikprodukten wie Lipgloss ein Risiko darstellt, prüft das EU-Gremium SCCS nun erneut. (Foto: Vladimir Gjorgiev/Shutterstock)

Wie gehen Naturkosmetik-Hersteller mit Titandioxid um?

In Cremes oder Make-ups gilt der Stoff – auf Kosmetik als CI77891 oder Titanium Dioxide deklariert – also weiterhin als unbedenklich. Wir haben uns bei Herstellern von Naturkosmetik umgehört, wo sie das Weißpigment jetzt schon ersetzen und welche Alternativen es gibt. 

Titandioxid färbt Zahncremes strahlend weiß

"Ich liebe diese Zahnpasta und nutze sie seit Jahren", schreibt Gutsle im Forum zur Alterra Zahncreme Bio-Minze. Leider sei aber Titandioxid enthalten, deshalb werde sie jetzt schweren Herzens zu einer anderen Zahncreme wechseln.

"Ein bisschen weniger Weiß in der Creme fände ich nicht schlimm. Dafür dann die Gewissheit zu haben, dass mein Erbgut nicht mehr geschädigt wird. Das wäre prima!" Von solchen und ähnlichen Kommentaren wimmelt es in den einschlägigen Onlineforen.

Im Fall von Zahnpasta verständlich: Sie wird zum Teil verschluckt, gerade von Kindern. Tatsächlich hat Titandioxid bei Zahncremes in erster Linie die Funktion, sie strahlend weiß zu färben, übernimmt daneben aber auch einen Teil der Putzleistung und beeinflusst die Konsistenz.

In unserem Zahncreme-Test im April 2021 enthielten von 14 Naturkosmetik-Zahncremes noch neun Titandioxid. Das war noch vor der Neueinstufung durch die EFSA.

Viele Zahnpasten sind schon frei von Titandioxid

Unsere Umfrage bei einigen Naturkosmetik-Herstellern zeigt, dass inzwischen viele unter Hochdruck daran arbeiten, Zahncremes ohne Titandioxid auf den Markt zu bringen. Die Drogeriemarkt-Kette Dm hat bereits umgestellt und bietet unter der Eigenmarke Alverde keine Zahncreme mit Titandioxid mehr an.

Laverana schreibt uns, dass im aktuellen Zahncreme-Sortiment der Marke Lavera bereits 70 Prozent der Produkte frei von Titandioxid sind, in Produkten für Kinder verzichte man komplett darauf. "Wir arbeiten an diesem Thema und sind gerade dabei, den Inhaltsstoff Titandioxid aus den restlichen Zahnpflegeprodukten sowie allen weiteren Rezepturen herauszuentwickeln, soweit dies möglich ist", so Firmensprecherin Sabine Kästner.

Andere sind noch in der Umstellung: Bei Cosnature beinhaltet derzeit sowohl die Erwachsenen-Zahncreme als auch das Kinder-Zahngel noch Titandioxid – das Unternehmen berichtet jedoch, dass neue Rezepturen für die Mundpflege bereits in der Mache sind.

Siegel wird den Stoff in Zahnpasta bald verbieten

Treiber dieser Entwicklung dürfte auch der jüngste Beschluss des Naturkosmetik-Siegels Cosmos sein: Die ab Frühjahr 2023 geltende Version des Standards wird Titandioxid in Zahnpasta verbieten.

Das ebenfalls weit verbreitete Naturkosmetik-Siegel Natrue hält bislang an Titandioxid fest und will die SCCS-Bewertung abwarten. Dass sich bei Zahnpasta ganz gut auf das Weißpigment verzichten lässt, zeigen Marken, die seit jeher ohne auskommen: Weleda setzt Calciumcarbonat als mineralischen Putzkörper in Zahnpasta ein, in Gelen Kieselsäure.  

In den Regalen sind bereits einige Naturkosmetik-Zahncremes ohne Titandioxid zu finden.
In den Regalen sind bereits einige Naturkosmetik-Zahncremes ohne Titandioxid zu finden. (Foto: megaflopp/Shutterstock)

Ist Titandioxid in losen Gesichtspudern bedenklich?

In losen Gesichtspudern ist Titandioxid nützlich – denn das mineralische Pulver gilt als gut hautverträglich, adsorbiert überschüssiges Fett und reduziert Glanzeffekte. Die EU-Kommission hat das Beratergremium SCCS jedoch ausdrücklich aufgefordert, das Risiko von Titandioxid auch in diesen theoretisch inhalierbaren Produkten erneut zu prüfen.

Viele Naturkosmetik-Marken orientieren sich offenbar schon jetzt um: Alterra hat derzeit noch zwei lose Mineralpuder mit Titandioxid im Sortiment, wird diese beiden Artikel zum Sortimentswechsel 2022 jedoch auslisten.

Auch Lavera nutzt die Pigmente noch in seinen talkumfreien losen Pudern. Die Alternativen stehen aber in den Startlöchern – ab Herbst bietet die Naturkosmetikmarke lose Puder ohne Titandioxid an.

In Lippenschminke ist der Stoff schwer zu ersetzen

Schwieriger dürfte die Umstellung bei Schminke werden: In diesem Segment ist Titandioxid nur sehr schwer entbehrlich. Das gilt nicht nur für Naturkosmetik. Als Pigment sorgt der Stoff in Schminke für Deckkraft, leuchtende Farben und mit entsprechenden Beschichtungen auch für Glimmer.

Eigentlich kein Problem, denn über gesunde Haut dringt er ja nicht in den Körper. Ein Sonderfall sind allerdings Lippenstifte und Lipgloss: Sie werden zum Teil abgeleckt und verschluckt. Bis zu 57 Milligramm können da im Laufe eines Tages zusammenkommen, hat das EU-Gremium SCCS einmal errechnet.

Titandioxid beeinflusst Deckkraft und Konsistenz

Auch hier suchen Hersteller derzeit nach Alternativen. "Das ist schwerer als erhofft", gesteht Sabine Kästner von Laverana in Bezug auf Lippenstifte. Titandioxid dort eins zu eins gegen einen anderen Rohstoff zu ersetzen, ist derzeit noch nicht möglich, bestätigen fast alle Hersteller. Denn neben Farbton und Deckkraft beeinflusst er auch dessen Konsistenz und Sensorik.

Mit einer Erfolgsmeldung für Lipgloss kann immerhin Rossmann aufwarten: Gegenwärtig enthielten zwar noch alle vier farbigen Lipglosse der Eigenmarke Alterra Titandioxid, so Produktmanagerin Dörte Griep. "Nach einigen Entwicklungsläufen ist es uns gelungen, zum Sortimentswechsel 2022 zwei Alterra-Lipglosse ohne Titandioxid einzulisten."

Wer einen Naturkosmetik-Lipgloss ohne Titandioxid oder sonstige bedenkliche Inhaltsstoffe sucht, wird auch in unserem jüngsten Lippglos-Test fündig: Allerdings waren hier nur drei Produkte "sehr gut". 

Wertvoller UV-Filter in Sonnencremes

Es wäre falsch, Titandioxid nur als Gefahrstoff zu betrachten, denn das mineralische Pulver bringt auch viele Vorteile mit. Es gilt als inert – reagiert also nicht leicht mit anderen Inhaltsstoffen – und deshalb als gut verträglich auch bei sensibler Haut.

Es ist auch nach wie vor ein wertvoller UV-Filter in Sonnencremes. Denn im Gegensatz zu chemischen UV-Filtern, die tiefer in die Haut eindringen und teilweise hormonell wirksam sein können, bleiben Titandioxid-Partikel auf der Hautoberfläche liegen und streuen von dort die UV-Strahlung.

Als unbedenklich gilt Titandioxid selbst dann, wenn es in Nano-Form, also in allerkleinsten Partikeln, vorliegt, wie das für Kosmetik zuständige EU-Gremium SCCS betont. In dieser allerkleinsten Form weißelt das Titandioxid weniger und bietet auch einen besseren Sonnenschutz.

Nachdem die Nano-Form von Titandioxid im Sonnenschutz des Naturkosmetik-Siegels Natrue schon länger zugelassen war, soll es auch in der neuen Version des Cosmos-Standards erlaubt sein.

Gute Lösung für Lippenpflege mit UV-Schutz fehlt

Eng wird es allerdings bei Lippenpflegestiften mit UV-Schutz: Neun von 21 Produkten in unserem letzten Test enthielten Titandioxid. Wir haben dafür erstmals zwei Noten abgezogen, denn es gilt dasselbe wie bei Lippenschminke: Die Pflegestifte werden zum Teil abgeleckt und verschluckt.

Im Grunde fehlt es derzeit an einer guten Lösung für Naturkosmetik-Lippenpflege mit hohem Lichtschutzfaktor. Mit Zinkoxid steht zwar noch ein zweiter mineralischer UV-Filter zur Verfügung. Viele Hersteller finden Zinkoxid für die Lippen nur beschränkt geeignet, da es in hohen Konzentrationen einen austrocknenden Effekt habe.

Bis mehr Klarheit zu Titandioxid herrscht, raten wir zu den immerhin sechs "sehr guten" und "guten" Produkten unseres letzten UV-Pflegestift-Tests.

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