Zuerst die gute Nachricht: Vom 27. Dezember an gelten in der Europäischen Union erstmals Grenzwerte für polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, kurz PAK, für alle Verbraucherprodukte. Wenn gummi- und kunststoffhaltige Alltagsprodukte künftig mehr als einen Milligramm pro Kilogramm einer der von der EU als krebserregend eingestuften PAK-Verbindungen enthalten, dürfen sie nicht mehr verkauft werden. Vorausgegangen ist dieser Entscheidung eine seit vielen Jahren vorgebrachte Kritik von Verbraucherverbänden und Umweltbehörden. Auch ÖKO-TEST macht schon seit Langem auf die Gesundheitsgefahren aufmerksam. Bei Bekleidung und Schuhen zum Beispiel können die Schadstoffe über die Haut aufgenommen werden.
Und nun die schlechten Nachrichten: Die neue EU-Verordnung gilt nicht für Erzeugnisse, die bereits vor diesem Zeitpunkt in Verkehr gebracht wurden. Auch wenn die Hersteller und Importeure nun aufgefordert sind, ihre Produktionsprozesse zu optimieren, um die Grenzwerte dauerhaft einzuhalten: Der Verbraucher muss vorläufig weiter damit rechnen, dass es noch Produkte auf dem Markt gibt, die voll mit jenen krebserregenden Verbindungen sind, die teils in Verdacht stehen, das Erbgut zu verändern, die Fruchtbarkeit zu beeinträchtigen oder das Kind im Mutterleib zu schädigen. Die EU hat zudem erst mal nur acht der vielen PAK-Verbindungen, die in Gebrauchsgütern vorkommen können, auf die schwarze Liste gesetzt. Das weit verbreitete Naphthalin etwa ist weiterhin zugelassen. Diese Verbindung ist umweltschädlich und steht im Verdacht, ebenfalls krebserzeugend zu sein.
Gummistiefel voller PAK
Ein Produkt, das immer wieder, auch schon in vielen Tests von ÖKO-TEST, durch hohe PAK-Werte auffällt, ist der Gummistiefel. Warum stecken darin eigentlich so viele PAK? Die Erklärung ist folgende: Die weichen Treter bestehen meist aus Synthetik- oder Naturkautschuk beziehungsweise einer Kunststoffmischung, oft mit PVC. Um sie wasserfest und gleichzeitig schön anschmiegsam zu machen, wird tief in die chemische Trickkiste gegriffen.
Unter anderem kommen häufiger gesundheitsschädliche Phthalat-Weichmacher zum Einsatz sowie spezielle PAK-haltige Weichmacheröle, zum Beispiel Teeröle. Sie entstehen als Neben- oder Abfallprodukt bei der Kohle- und Erdölverarbeitung. Beim Verbrennungsprozess von Ölen entstehen PAK. Je niedriger die Temperatur bei der Verbrennung, desto unvollständiger erfolgt sie und umso mehr dieser Verbindungen entstehen.
Neben Erdöl können auch alle daraus abgeleiteten Produkte, etwa Kunststoffe, PAK enthalten, sofern der Hersteller sie nicht durch - aufwendige und teure - Verarbeitungsschritte entfernt hat. Zwar gibt es längst Weichmacheröle mit reduziertem PAK-Gehalt sowie elastische Gummi und Kunststoffe ohne Weichmacheröle, doch diese sind wegen der aufwendigeren Produktion teurer. Die Hersteller wollen die Kosten jedoch möglichst gering halten.
In der Branche gibt es zudem kaum Bestrebungen, die Schadstoffbelastung zu reduzieren. Schlimmer noch, der Verbraucher wird in manchen Fällen gar irregeführt. So sind nicht wenige Stiefel als "schadstoffgeprüft" ausgelobt, stecken aber doch voller übler Substanzen. Aufgrund von Regelungslücken hatten die Produzenten auch bisher kaum Grund dazu, etwas zu verbessern. Die neue EU-Verordnung zur PAK-Beschränkung greift zwar nicht weit genug, sie ist aber immerhin ein erster Schritt. Allerdings: PAK sind nur eine Gruppe von vielen Schadstoffen in Gummistiefeln. Hinzu kommen oft noch Phthalate, Ersatzweichmacher und andere bedenkliche Inhaltsstoffe.
ÖKO-TEST hat in den vergangenen Jahren schon häufiger Gummistiefel getestet. Die Ergebnisse waren stets katastrophal. Um herauszufinden, ob sich etwas verbessert hat, haben wir nun 16 Produkte eingekauft und in Laboren analysieren lassen.
Kein Modell ohne PAK und bedenkliche Weichmacher
Alle Stiefel fallen durch. Kein einziges Produkt erreicht eine bessere Note als "mangelhaft", die meisten Stiefel sind sogar "ungenügend". Wie schon die vergangenen Gummistiefel-Tests zeigt auch dieser: Die aus verschiedenen Kunststoffen fabrizierten Produkte stecken voll problematischer Inhaltsstoffe, leider auch die Stiefel aus Naturkautschuk.
Zwei Gummistiefel enthalten jeweils mehr als einen Milligramm pro Kilogramm einer der von der EU als krebserregend eingestuften PAK-Verbindungen. Diese Stiefel dürften nach der neuen EU-Regelung ab dem 27. Dezember dieses Jahres so nicht mehr in Verkehr gebracht werden. Auch alle anderen getesteten Stiefel enthalten PAK. Einige der Verbindungen sind krebserzeugend, einige stehen im Verdacht, es zu sein. Viele haben erbgutverändernde und/oder fortpflanzungsgefährdende Eigenschaften. Sie reichern sich in der Umwelt an und haben eine giftige Wirkung etwa auf Wasserorganismen.
Ein Modell weist stark erhöhte Werte an Phthalaten auf. Diese Gruppe von Weichmachern steht im Verdacht, Leber, Nieren und Fortpflanzungsorgane zu schädigen und außerdem wie ein Hormon zu wirken. In der Umwelt werden Phthalate kaum abgebaut. Die in dem Dunlop-Stiefel stark erhöhten Phthalate DINP und DIDP sind in Babyartikeln und Spielzeug, die von Kindern in den Mund genommen werden können, verboten. In vier weiteren Modellen analysierte ein Labor hohe Gehalte des Ersatzweichmachers DEHT. Die Langzeitfolgen für Mensch und Umwelt durch dessen Verwendung sind noch nicht ausreichend erforscht.
Giftige Farben, Zinn und Phosphor im Schuh
Die Baumwollbestandteile von zwei Modellen weisen hohe Werte an Anilin auf. Dabei handelt es sich um einen Farbstoffbaustein aus der Gruppe der aromatischen Amine. Im Tierexperiment hat sich Anilin als krebserzeugend erwiesen. Ein Modell weist einen stark erhöhten Gehalt an zinnorganischen Verbindungen auf, ein anderer Gummistiefel einen erhöhten. In einem Gummistiefelpaar fand das Labor eine hohe Menge des halogen- und phosphororganischen Flammschutzmittels TDCPP, das im Verdacht steht, Krebs zu erzeugen.
In einem weiteren Modell fand das von uns beauftragte Labor erhöhte Werte an Nitrosaminen und nitrosierbaren Vorstufen, die beim Vulkanisieren von Kautschukprodukten entstehen können. Nitrosamine können schon in kleinsten Mengen krebsauslösend sein; nitrosierbare Amine können in Nitrosamine umgewandelt werden.
So reagierten die Hersteller
Mehrere Anbieter wiesen darauf hin, dass ihre Produkte die gesetzlichen PAK-Grenzwerte einhielten. Aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes legt ÖKO-TEST jedoch strengere Maßstäbe an.
Kompakt
- Patent für Gummischutzkleidung: Die Geburtsstunde des modernen Gummistiefels schlug 1840, als Charles Goodyear das Vulkanisierungsverfahren entwickelte. Dadurch gelang es ihm, Gummi dauerhaft elastisch und somit auch tragbar zu machen. Der Amerikaner Hiram Hutchinson kaufte Goodyear das Patent ab. 1853 gründete er im französischen Montargis ein Werk zur industriellen Verarbeitung von Kautschuk. Im damals ländlich geprägten Europa sah Hutchinson einen guten Absatzmarkt für Schutzkleidung aus Gummi. Fischer und Bauern tauschten ihre Holzschuhe gern gegen wasserdichte Stiefel.
- Kautschukschuhe vor Kolumbus: Bereits die Ureinwohner Südamerikas kannten eine Vorform des heutigen Gummistiefels: Um ihre Füße vor Nässe zu schützen, tränkten sie ihre Stoffschuhe im Saft der Kautschukpflanze. Die Latexschicht, die sich darüber zog, machte die Schuhe auch länger haltbar.
- Stiefel fliegt 68,03 Meter weit: Seit 1975 wird die Disziplin des Gummistiefelweitwurfs in Finnland als offizieller Mannschaftssport ausgetragen. 1992 fand die erste Weltmeisterschaft statt. Seit der Jahrtausendwende gibt es auch in Deutschland Vereine, die Namen tragen wie Gib Gummi 03 (Berlin) oder TWG Schlabbeschubser (Taunusstein). Den Weltrekord der Männer hält seit 2012 der Finne Antti Ruusuvirta mit 68,03 Metern, den der Frauen die Finnin Elina Uustalo seit 2008 mit 49,35 Metern.
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