Gummistiefel für Erwachsene im Test

Kommt aus den Puschen!

ÖKO-TEST November 2015 | Autor: Frank Schuster | Kategorie: Kosmetik und Mode | 30.10.2015

Alle Gummistiefel für Erwachsene im Test fallen durch
Foto: Okrasiuk/Shutterstock

Gummistiefel sind längst ein Modeartikel. Man sollte aber nur im Notfall hineinschlüpfen. Denn die untersuchten Modelle sind stark mit Weichmachern und anderen Schadstoffen belastet. Zwei überschreiten die neuen PAK-Grenzwerte der EU.

Zuerst die gute Nachricht: Vom 27. Dezember an gelten in der Europäischen Union erstmals Grenzwerte für polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, kurz PAK, für alle Verbraucherprodukte. Wenn gummi- und kunststoffhaltige Alltagsprodukte künftig mehr als einen Milligramm pro Kilogramm einer der von der EU als krebserregend eingestuften PAK-Verbindungen enthalten, dürfen sie nicht mehr verkauft werden. Vorausgegangen ist dieser Entscheidung eine seit vielen Jahren vorgebrachte Kritik von Verbraucherverbänden und Umweltbehörden. Auch ÖKO-TEST macht schon seit Langem auf die Gesundheitsgefahren aufmerksam. Bei Bekleidung und Schuhen zum Beispiel können die Schadstoffe über die Haut aufgenommen werden.

Und nun die schlechten Nachrichten: Die neue EU-Verordnung gilt nicht für Erzeugnisse, die bereits vor diesem Zeitpunkt in Verkehr gebracht wurden. Auch wenn die Hersteller und Importeure nun aufgefordert sind, ihre Produktionsprozesse zu optimieren, um die Grenzwerte dauerhaft einzuhalten: Der Verbraucher muss vorläufig weiter damit rechnen, dass es noch Produkte auf dem Markt gibt, die voll mit jenen krebserregenden Verbindungen sind, die teils in Verdacht stehen, das Erbgut zu verändern, die Fruchtbarkeit zu beeinträchtigen oder das Kind im Mutterleib zu schädigen. Die EU hat zudem erst mal nur acht der vielen PAK-Verbindungen, die in Gebrauchsgütern vorkommen können, auf die schwarze Liste gesetzt. Das weit verbreitete Naphthalin etwa ist weiterhin zugelassen. Diese Verbindung ist umweltschädlich und steht im Verdacht, ebenfalls krebserzeugend zu sein.

Gummistiefel voller PAK

Ein Produkt, das immer wieder, auch schon in vielen Tests von ÖKO-TEST, durch hohe PAK-Werte auffällt, ist der Gummistiefel. Warum stecken darin eigentlich so viele PAK? Die Erklärung ist folgende: Die weichen Treter bestehen meist aus Synthetik- oder Naturkautschuk beziehungsweise einer Kunststoffmischung, oft mit PVC. Um sie wasserfest und gleichzeitig schön anschmiegsam zu machen, wird tief in die chemische Trickkiste gegriffen.

Unter anderem kommen häufiger gesundheitsschädliche Phthalat-Weichmacher zum Einsatz sowie spezielle PAK-haltige Weichmacheröle, zum Beispiel Teeröle. Sie entstehen als Neben- oder Abfallprodukt bei der Kohle- und Erdölverarbeitung. Beim Verbrennungsprozess von Ölen entstehen PAK. Je niedriger die Temperatur bei der Verbrennung, desto unvollständiger erfolgt sie und umso mehr dieser Verbindungen entstehen.

Neben Erdöl können auch alle daraus abgeleiteten Produkte, etwa Kunststoffe, PAK enthalten, sofern der Hersteller sie nicht durch - aufwendige und teure - Verarbeitungsschritte entfernt hat. Zwar gibt es längst Weichmacheröle mit reduziertem PAK-Gehalt sowie elastische Gummi und Kunststoffe ohne Weichmacheröle, doch diese sind wegen der aufwendigeren Produktion teurer. Die Hersteller wollen die Kosten jedoch möglichst gering halten.

In der Branche gibt es zudem kaum Bestrebungen, die Schadstoffbelastung zu reduzieren. Schlimmer noch, der Verbraucher wird in manchen Fällen gar irregeführt. So sind nicht wenige Stiefel als "schadstoffgeprüft" ausgelobt, stecken aber doch voller übler Substanzen. Aufgrund von Regelungslücken hatten die Produzenten auch bisher kaum Grund dazu, etwas zu verbessern. Die neue EU-Verordnung zur PAK-Beschränkung greift zwar nicht weit genug, sie ist aber immerhin ein erster Schritt. Allerdings: PAK sind nur eine Gruppe von vielen Schadstoffen in Gummistiefeln. Hinzu kommen oft noch Phthalate, Ersatzweichmacher und andere bedenkliche Inhaltsstoffe.

ÖKO-TEST hat in den vergangenen Jahren schon häufiger Gummistiefel getestet. Die Ergebnisse waren stets katastrophal. Um herauszufinden, ob sich etwas verbessert hat, haben wir nun 16 Produkte eingekauft und in Laboren analysieren lassen.

Kein Modell ohne PAK und bedenkliche Weichmacher

Alle Stiefel fallen durch. Kein einziges Produkt erreicht eine bessere Note als "mangelhaft", die meisten Stiefel sind sogar "ungenügend". Wie schon die vergangenen Gummistiefel-Tests zeigt auch dieser: Die aus verschiedenen Kunststoffen fabrizierten Produkte stecken voll problematischer Inhaltsstoffe, leider auch die Stiefel aus Naturkautschuk.

Zwei Gummistiefel enthalten jeweils mehr als einen Milligramm pro Kilogramm einer der von der EU als krebserregend eingestuften PAK-Verbindungen. Diese Stiefel dürften nach der neuen EU-Regelung ab dem 27. Dezember dieses Jahres so nicht mehr in Verkehr gebracht werden. Auch alle anderen getesteten Stiefel enthalten PAK. Einige der Verbindungen sind krebserzeugend, einige stehen im Verdacht, es zu sein. Viele haben erbgutverändernde und/oder fortpflanzungsgefährdende Eigenschaften. Sie reichern sich in der Umwelt an und haben eine giftige Wirkung etwa auf Wasserorganismen.

Ein Modell weist stark erhöhte Werte an Phthalaten auf. Diese Gruppe von Weichmachern steht im Verdacht, Leber, Nieren und Fortpflanzungsorgane zu schädigen und außerdem wie ein Hormon zu wirken. In der Umwelt werden Phthalate kaum abgebaut. Die in dem Dunlop-Stiefel stark erhöhten Phthalate DINP und DIDP sind in Babyartikeln und Spielzeug, die von Kindern in den Mund genommen werden können, verboten. In vier weiteren Modellen analysierte ein Labor hohe Gehalte des Ersatzweichmachers DEHT. Die Langzeitfolgen für Mensch und Umwelt durch dessen Verwendung sind noch nicht ausreichend erforscht.

Giftige Farben, Zinn und Phosphor im Schuh

Die Baumwollbestandteile von zwei Modellen weisen hohe Werte an Anilin auf. Dabei handelt es sich um einen Farbstoffbaustein aus der Gruppe der aromatischen Amine. Im Tierexperiment hat sich Anilin als krebserzeugend erwiesen. Ein Modell weist einen stark erhöhten Gehalt an zinnorganischen Verbindungen auf, ein anderer Gummistiefel einen erhöhten. In einem Gummistiefelpaar fand das Labor eine hohe Menge des halogen- und phosphororganischen Flammschutzmittels TDCPP, das im Verdacht steht, Krebs zu erzeugen.

In einem weiteren Modell fand das von uns beauftragte Labor erhöhte Werte an Nitrosaminen und nitrosierbaren Vorstufen, die beim Vulkanisieren von Kautschukprodukten entstehen können. Nitrosamine können schon in kleinsten Mengen krebsauslösend sein; nitrosierbare Amine können in Nitrosamine umgewandelt werden.

So reagierten die Hersteller

Mehrere Anbieter wiesen darauf hin, dass ihre Produkte die gesetzlichen PAK-Grenzwerte einhielten. Aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes legt ÖKO-TEST jedoch strengere Maßstäbe an.

Kompakt

  • Patent für Gummischutzkleidung: Die Geburtsstunde des modernen Gummistiefels schlug 1840, als Charles Goodyear das Vulkanisierungsverfahren entwickelte. Dadurch gelang es ihm, Gummi dauerhaft elastisch und somit auch tragbar zu machen. Der Amerikaner Hiram Hutchinson kaufte Goodyear das Patent ab. 1853 gründete er im französischen Montargis ein Werk zur industriellen Verarbeitung von Kautschuk. Im damals ländlich geprägten Europa sah Hutchinson einen guten Absatzmarkt für Schutzkleidung aus Gummi. Fischer und Bauern tauschten ihre Holzschuhe gern gegen wasserdichte Stiefel.
  • Kautschukschuhe vor Kolumbus: Bereits die Ureinwohner Südamerikas kannten eine Vorform des heutigen Gummistiefels: Um ihre Füße vor Nässe zu schützen, tränkten sie ihre Stoffschuhe im Saft der Kautschukpflanze. Die Latexschicht, die sich darüber zog, machte die Schuhe auch länger haltbar.
  • Stiefel fliegt 68,03 Meter weit: Seit 1975 wird die Disziplin des Gummistiefelweitwurfs in Finnland als offizieller Mannschaftssport ausgetragen. 1992 fand die erste Weltmeisterschaft statt. Seit der Jahrtausendwende gibt es auch in Deutschland Vereine, die Namen tragen wie Gib Gummi 03 (Berlin) oder TWG Schlabbeschubser (Taunusstein). Den Weltrekord der Männer hält seit 2012 der Finne Antti Ruusuvirta mit 68,03 Metern, den der Frauen die Finnin Elina Uustalo seit 2008 mit 49,35 Metern.

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Wir haben diese Produkte für Sie getestet

Testverfahren

Der Einkauf: Ausgefallene Farben, wohlgeformter Schaft: Gummistiefel bleiben im Trend. Für unseren Test haben wir neben hochwertigen Funktionsschuhen auch Stiefel ausgesucht, die als Modeartikel angeboten werden. Wir kauften 16 Gummistiefel für Erwachsene. Mit dabei sind Modelle für Frauen und Männer. Die Hälfte der Stiefel ist aus Kautschuk beziehungsweise Gummi, der Rest aus unterschiedlichen Kunststoffmischungen. Das günstigste Stiefelpaar kostete 11,19 Euro, das teuerste 120 Euro.

Die Inhaltsstoffe: Bei der Produktion von Gummistiefeln kommen viele Materialien zusammen: PVC, Natur- oder Synthetikkautschuk, weitere Kunststoffe, textiles Innenfutter und Kleber, der alles zusammenhält. Ist der Kunststoff PVC im Einsatz, stecken meist problematische Phthalate und Weichmacheröle im Stiefel, um das Material elastisch und geschmeidig zu machen. Weichmacheröle enthalten oft polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), manche von ihnen sind krebserregend. In Schuhen aus Kautschuk können krebserregende Nitrosamine stecken, die beim Vulkanisierungsprozess entstehen. Problematische Farbbausteine können im bunten Innenfutter und in gefärbten Garnen lauern.

Die Bewertung: Gummistiefel sind keine Alltagsschuhe, bei denen die Passform oder eine stabile Sohle wichtig ist. Hauptproblem sind die Inhaltsstoffe. Das zeigen unsere Tests immer wieder. Auch in unserem aktuellen Test stecken in den Produkten wieder viel zu viele schädliche Substanzen. Auf einen Gummistiefel, der von ÖKO-TEST ein "gut" oder "sehr gut" bekommt, müssen wir weiter warten.

Bewertungslegende

Zur Abwertung um jeweils vier Noten führen: a) mehr als 10.000 mg/kg der in Babyartikeln und Kinderspielzeugen, die in den Mund genommen werden können, ab mehr als 0,1 Masseprozent verbotenen Phthalat-Verbindungen Diisononylphthalat (DINP) und Diisodecylphthalat (DIDP); b) ein stark erhöhter Gehalt von in der Summe mehr als 1.000 µg/kg polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstoffe (PAK); c) Anilin; d) ein stark erhöhter Gehalt von mehr als 1.000 µg/kg der zinnorganischen Verbindung Dioktylzinn (DOT); e) mehr als 50 µg/kg Nitrosamine. Zur Abwertung um jeweils zwei Noten führen: a) ein erhöhter Gehalt von mehr als 100 bis 1.000 µg/kg einer oder mehrerer PAK-Einzelverbindungen, soweit sie sich nicht auf mehr als 1.000 µg/kg addieren; b) ein stark erhöhter Gehalt von mehr als 1.000 mg/kg Nonylphenol; c) mehr als 200 µg/kg nitrosierbare Vorstufen, wenn nicht bereits wegen mehr als 50 µg/kg Nitrosaminen abgewertet worden ist; d) mehr als 1.000 mg/kg Blei; e) ein erhöhter Gehalt von mehr als 100 µg/kg der zinnorganischen Verbindung Dibutylzinn (DBT). Zur Abwertung um jeweils eine Note führen: a) mehr als 10 bis 1.000 mg/kg phosphororganische Verbindungen; b) mehr als 1.000 mg/kg der Ersatzweichmacher DEHT und/oder Diethylenglycoldibenzoat und Dipropylenglycoldibenzoat; c) PVC/PVDC/chlorierte Verbindungen; d) optische Aufheller (in Produktteilen mit Hautkontakt); e) ein erhöhter Gehalt von mehr als 100 bis 1.000 mg/kg Nonylphenol. Unter dem Testergebnis Weitere Mängel führt zur Abwertung um eine Note: optische Aufheller (in Produktteilen ohne Hautkontakt). Steht bei konkret benannten Analyseergebnissen "nein", bedeutet das "unterhalb der Bestimmungsgrenze" der jeweiligen Testmethode. Das Gesamturteil beruht auf dem Testergebnis Inhaltsstoffe. Ein Testergebnis Weitere Mängel, das "befriedigend" ist, verschlechtert das Gesamturteil um eine Note. 

Testmethoden

Nitrosamine, nitrosierbare Verbindungen (Kautschuk-/Gummimaterialien): DIN EN 12868. Abweichung: kein Auskochen in Wasser. Untersucht wurde eine repräsentative Probe des Stiefelschaftmaterials.
PVC/PVDC/chlorierte Verbindungen, Schwermetalle, Elemente: Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA), Totalaufschluss in der Mikrowelle, ICP-MS.
Zinnorganische Verbindungen: NaDDTC, EtOH, Hexan, NaBEt4, GC-AED.
Phthalate, sonstige Weichmacher, phenolische Verbindungen, Flammschutzmittel, phosphororganische Verbindungen, kurzkettige Chlorparaffine: Methode GC/MS nach Extraktion und Derivatisierung; untersucht wurde eine repräsentative Mischprobe des Stiefelmaterials.
Azo-Farbstoffe (textile Materialien): Prüfung auf Amine nach reduktiver Spaltung; Analytik entsprechend § 64 LFGB 82.02-2 Prüfung ohne vorherige Extraktion, DIN EN 14362-1 (Januar 2013); Analytik entsprechend § 64 LFGB 82.02-3 Prüfung nach DIN ISO/TS 17234 für Leder; bei Hinweisen auf 4-Aminoazobenzol zusätzliche Prüfung entsprechend § 64 LFGB 82.02-15 DIN EN 14362-3 (September 2012), Bestimmungsgrenze 5 mg/kg; Methoden: GC/MS, Dünnschichtchromatografie; zusätzliche Prüfung auf Anilin und Xylidine.
Allergisierende Dispersionsfarbstoffe (textile Materialien): Analytik entsprechend § 64 LFGB 82.02-10 Norm DIN 54231 (November 2005); Dünnschichtchromatografie, HPLC mit DAD (UV/Vis-Detector).
Optische Aufheller: qualitativer Nachweis (UV-Licht).
Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK): GC-MSD, 25 PAK nach EU/EPA/JECFA.

Einkauf der Testprodukte: Juli/August 2015.

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