Kosmetik: Das Problem mit den flüssigen Kunststoffen

Ratgeber Kinder und Familie 2020 | Autor: Heike Beier | Kategorie: Kosmetik und Mode | 16.09.2020

Kunststoffe in Kosmetik
Foto: Dmitry Fisher/getty images

Festes Mikroplastik ist in Duschgels oder Peelings kaum noch ein Thema, seit die Industrie freiwillig darauf verzichtet. Und doch steckt Kosmetik nach wie vor voller Kunststoffe. Wo sind die drin?

  • Kosmetikhersteller haben sich nur für Produkte, die wie Duschgele oder Peelings wieder von der Haut abgespült werden, von festen "Microbeads" getrennt. In dekorativer Kosmetik kommt Mikroplastik immer noch vor. 
  • Pro Jahr gelangen 922 Tonnen festes Mikroplastik über Kosmetikprodukte ins Abwasser – und 23.700 Tonnen flüssige Kunststoffe. Das zeigt eine Studie des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) von 2018.
  • Die Risiken von flüssigem Plastik sind bislang wenig erforscht. Forscher und Umweltschützer plädieren für das Vorsorgeprinzip. 

Wie viele der winzig kleinen Plastikteilchen noch immer in Kosmetik stecken, weiß derzeit keiner so genau. Dass es aber erheblich weniger geworden sind, darin sind sich alle einig. Weniger jedenfalls als noch 2013: Damals verpflichteten sich die im Industrieverband Kosmetik und Waschmittel (IKW) organisierten Hersteller freiwillig, auf Mikroplastik in ihren Produkten zu verzichten.

"Diese Selbstverpflichtung hat auf jeden Fall gewirkt", sagt Nadja Ziebarth vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). "Mikroplastik ist gerade bei Duschgel und Peelings definitiv zurückgegangen."

Kunststoffe in 900 Kosmetik-Artikeln 

Der Umweltverband hatte mit seinem Einkaufsratgeber "Mikroplastik und andere Kunststoffe in Kosmetika" seinerzeit kräftig zum Druck auf die Kosmetikindustrie beigetragen. Ziebarth schränkt jedoch ein: "Das bedeutet nicht, dass es nun überhaupt keine Produkte mehr mit Mikroplastik gibt." Immerhin listet der im April aktualisierte BUND-Ratgeber noch immer knapp 900 Kosmetik-Artikel auf, die Kunststoffe enthalten.

Die Liste unterscheidet jedoch nicht zwischen flüssigem und festem Plastik. Polyethylen – häufig als fester Schleifpartikel eingesetzt – ist aber noch immer in 21 der 82 dort aufgeführten Peelings enthalten. Dabei könnte es sich also um jene Teilchen handeln, die laut offizieller Definition als Mikroplastik gelten: "feste, unlösliche Kunststoffpartikel, die fünf Millimeter und kleiner sind".

Mikroplastik ist eine enorme Umweltbelastung. Es ist in Meeren, Flüssen, in Böden und in der Luft zu finden.
Mikroplastik ist eine enorme Umweltbelastung. Es ist in Meeren, Flüssen, in Böden und in der Luft zu finden. (Foto: Dirk Wahn/Shutterstock)

In dekorativer Kosmetik steckt weiterhin Mikroplastik 

Auch ÖKO-TEST hat im Februar 2020 50 Körperpeelings getestet und nach Mikroplastik gesucht. Gefunden haben wir es in keinem einzigen Produkt. Allerdings – und das ist mehr als ein Wermutstropfen: Flüssige Polymere waren nach wie vor bei etlichen Peelings im Einsatz. Hinzu kommt: Die Kosmetikhersteller haben sich nur für Produkte, die wie Duschgel oder Peeling wieder von der Haut abgespült werden, von festen "Microbeads" getrennt.

Gerade in dekorativer Kosmetik kommt Mikroplastik aber weiterhin vor. Und soll es offenbar auch in Zukunft, wenn es nach dem Willen der Kosmetikindustrie geht. Einen vollständigen Austausch dieser Kunststoffe in Produkten, die auf der Haut bleiben, hält Birgit Huber vom Kosmetik- Verband IKW jedenfalls für "wenig sinnvoll".

Der Grund: fehlende Alternativen. Außerdem würden diese Produkte mit Abschmink-Pads im Müll landen und nicht im Abwasser. Im Übrigen verweist Huber auf den vergleichsweise geringen Beitrag der Kosmetikindustrie am Mikroplastik- Aufkommen.

Flüssige Kunststoffe als Problem 

Tatsächlich trägt Kosmetik nur zu etwa einem Prozent am gesamten Mikroplastikeintrag bei. Das räumt auch Nadja Ziebarth vom BUND ein. Gerade deshalb ist man bei dem Umweltverband nicht glücklich darüber, dass sich die Diskussion auf den Begriff "Mikroplastik" verengt.

Denn das Volumen flüssiger Kunststoffe, die nach wie vor in Kosmetik stecken und die die Industrie wesentlich zögerlicher austauscht, ist mehr als 25 Mal so groß: Laut einer Studie des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) von 2018 gelangen pro Jahr 922 Tonnen festes Mikroplastik über Kosmetikprodukte ins Abwasser – und 23.700 Tonnen flüssige Kunststoffe.

In Spülungen und Cremes sind häufig flüssige Kunststoffe verarbeitet.
In Spülungen und Cremes sind häufig flüssige Kunststoffe verarbeitet. (Foto: plprod/Shutterstock)

Auch Analysen von ÖKO-Test bestätigen: Lösliche Kunststoffe bleiben ein Thema. Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres fanden wir in unseren Kosmetiktests Silikone und andere synthetische Polymere in zehn von 20 Shampoos, in sieben von 20 Fußbalsamen, in 19 von 50 Hairstylingprodukten, in 16 von 30 Haarspülungen sowie in 13 von 51 Gesichtsmasken. Bei den Kinder-Sonnencremes war das sogar bei allen zwölf konventionellen Produkten der Fall.

Umweltschützer sehen sich deshalb noch lange nicht am Ziel. Denn ihnen ist es ebenso wichtig, dass auch flüssige Kunststoffe aus Kosmetikprodukten verbannt werden – möglichst durch gesetzliche Regelungen auf europäischer Ebene.  

Risiken sind bislang kaum erforscht 

Doch was ist eigentlich so problematisch an flüssigen Kunststoffen? Im Gegensatz zu den Risiken von festem Mikroplastik sind die Gefahren löslicher Polymere sehr viel weniger untersucht. Bei festem Mikroplastik weiß man: Die Partikel schlüpfen durch die Filter der Kläranlagen, gelangen massenweise in Flüsse und Meere, werden dort von Fischen, Krebsen und Muscheln gefressen – und landen so wieder auf unseren Tellern. Noch dazu angereichert mit Schadstoffen, die sie wie Magnete an sich binden.

Bei flüssigen Kunststoffen "wissen wir tatsächlich bislang noch nicht so genau, was die Folgen sind", räumt BUND-Fachfrau Nadja Ziebarth ein. Es wird vermutet, dass sie verklumpen oder sich an andere Partikel wie Phytoplankton anbinden – und sich in dieser Form dann wie festes Mikroplastik verhalten.

(Foto: ÖKO-TEST)

Jürgen Bertling forscht beim Fraunhofer-Institut UMSICHT seit Langem zum Thema und warnt: "Ich würde die Polymere nicht alle über einen Kamm scheren." Es gebe bei festen wie auch gelösten Kunststoffen Verbindungen, die sich innerhalb weniger Monate abbauen, und solche, die dazu Hunderte von Jahren brauchen. Außerdem, so Bertling, verhielten sich flüssige Polymere in der Umwelt reaktionsfreudiger als feste – was prinzipiell ein Zeichen für Gefährlichkeit sein könnte. "Aber das alles müssen wir noch besser verstehen lernen."

Bis dahin plädiert der Forscher für das Vorsorgeprinzip: "Denn wenn wir eines Tages feststellen, dass ein bestimmtes Polymer schädlich für Umwelt und Gesundheit ist, sich aber erst nach 1.000 Jahren abbaut, dann können wir es nicht mehr zurückholen."  

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