Gerald Hüther: "Glückliche Kinder brauchen keine materiellen Geschenke"

Hirnforscher im Interview

Magazin Dezember 2019: Faires Fest | Autor: Kerstin Scheidecker | Kategorie: Kinder und Familie | 09.12.2019

Weihnachtsgeschenke für Kinder: Im Interview erklärt Hirnforscher Gerald Hüther, was Kinder wirklich brauchen.
Foto: MNStudio/Shutterstock

Zu Weihnachten werden viele Kinder mit Geschenken überschüttet. Doch ist das wirklich richtig? Der bekannte Hirnforscher Gerald Hüther ist sich sicher: "Glückliche Kinder brauchen keine materiellen Geschenke." Im Interview spricht er darüber, was Kinder brauchen und welche Bedeutung Schenken in unserer Gesellschaft hat.   

Mit ihrem Buch "Was schenken wir unseren Kindern?" wollen Gerald Hüther und André Stern Eltern eine Entscheidungshilfe geben. Wir haben mit Neurobiologe Gerald Hüther über Weihnachtsgeschenke für Kinder gesprochen. Ein Interview. 

ÖKO-TEST: Wie machen Eltern ihre Kinder glücklich? 

Gerald Hüther: Kinder haben zwei seelische Grundbedürfnisse. Zum einen nach Verbundenheit und Geborgenheit, zum anderen nach Freiheit und Autonomie. Wenn es gelingt, diese Bedürfnisse zu erfüllen, dann haben Sie glückliche Kinder und glückliche Kinder brauchen keine materiellen Geschenke. Es geht vor allem darum, diese Grundbedürfnisse nicht zu verletzen. Das tun Sie immer dann, wenn Sie Ihre Kinder zu Objekten der eigenen Wünsche, Ziele oder Anordnungen machen.

Wenn Kinder solche Erfahrungen machen müssen, dann werden beide Grundbedürfnisse verletzt. Die Verbindung zur Mutter ist nicht mehr gegeben. Wenn die Kinder es so machen müssen, wie die Mama es möchte, dann wird auch ihr Bedürfnis nach Gestaltung und Freiheit eingeschränkt. Das ist das Schlimmste, was man einem Kind antun kann, es zum Objekt zu machen.

Und was hat das mit Geschenken für Kinder zu tun?  

Wenn Kinder ihre Grundbedürfnisse nach Verbundenheit und Freiheit nicht stillen können, mögen sie sich selbst nicht, und sie mögen andere nicht. Als Ersatz brauchen sie Geschenke. Konsum ist ein Ersatz für ungestillte Bedürfnisse. Unser Buch ist kein Geschenkeratgeber, sonders es will Erwachsenen helfen, zur Besinnung zu kommen. Warum schenke ich das meinem Kind? Weil es quengelt? Weil dann seine Augen leuchten? Damit beschenke ich doch eher mich selbst.

Nehmen Sie zum Beispiel pädagogisch wertvolles Spielzeug – das schenken Erwachsene, damit das Kind etwas lernt, und wieder wird das Kind zum Objekt der eigenen Vorstellungen. Wir sollten Kindern schenken, was sie sich wirklich wünschen und was sie wirklich brauchen.

Was wünschen sich Kinder? Welche Geschenke brauchen sie wirklich? 

Erinnern Sie sich an Ihre Kindheit, was in der Erinnerung geblieben ist. Das sind wahrscheinlich keine großen materiellen Dinge. In meinem Buch beschreibe ich zwei große Geschenke, die ich erhalten habe: Wie ich jeden Morgen auf dem Schoß meines Großvaters sitzen durfte und mit ihm Brotsuppe aus süßem Malzkaffee und Brotwürfeln gelöffelt habe. Und: wie mein Onkel mir beigebracht hat, Feuer zu machen.

Draußen auf einer Wiese. Mit Papier, trockenem Gras als Zunder, dann kleinen, trockenen Zweigen, die wir drumherum stellten, haben wir eine kleine Pyramide aufgebaut. Ich durfte das Feuer mit einem Streichholz anzünden und auch noch größere Äste drauflegen. Es war wunderbar. Weil er mir gezeigt hat, wie man verantwortungsvoll und umsichtig damit umgeht, hatte ich vor Feuer seither keine Angst mehr.

Gerald Hüther über die Bedeutung von Schenken 

Zeit, Zuwendung, Kenntnisse – das sind große Geschenke. Aber materielle Geschenke haben ja auch eine gesellschaftliche Funktion. Zumindest war das in früheren Zeiten so: Gabe – Gegengabe, Befriedung. Welche Bedeutung hat Schenken in unserer Gesellschaft?

Im Grunde gibt es das noch immer: schenken, damit die anderen einem wohlgesonnen sind. Schenken als soziale Beschwichtigung. Das gilt auch für das Beschenken von Kindern. Man will keinen Ärger mit dem Kind, also schenkt man ihm "World of Warcraft".

Auch Schenken als abwägender Tauschhandel existiert: Geschenke werden taxiert, ihr Wert bemessen und in diesen Rahmen folgt das Gegengeschenk. Die Frage ist aber: Welche Erfahrungen machen Kinder, die erleben, dass man sich mit Geschenken das Wohlwollen anderer erkaufen kann?

Viele Kinder werden an Weihnachten mit materiellen Geschenken überschüttet.
Viele Kinder werden an Weihnachten mit materiellen Geschenken überschüttet. (Foto: TerriC/Pixabay )

Apropos Wohlwollen: Wie damit umgehen, wenn – etwa an Weihnachten – verschiedene Konsum- und Schenkhaltungen aufeinanderprallen? Wenn die Verwandtschaft mit Bergen von Geschenken anrückt, man selbst aber das Ganze gerne begrenzen möchte?

Es geht nicht darum, die Schwiegereltern zu ändern, sondern in der eigenen Familie eine andere Einstellung zu erzeugen. Dann werden die Kinder es irgendwann selber sagen – und die Kinder sind tatsächlich die einzigen, die das dürfen. "Oma, wir wollen das Gerümpel nicht, das landet eh nur im Müll." Kinder so stark zu machen, dass sie eine solche Ansage machen, das wäre ein schöner Erfolg.

Über welches Geschenk haben Sie sich in jüngster Zeit besonders gefreut?

Wir haben eine kleine Enkeltochter, die macht uns ständig Geschenke: Fantasie und Freude, das ist das Wichtigste. Kürzlich hat sie ihre Gummikuh mit Servietten gesattelt, damit sie besser darauf sitzen kann. Dann hat sie mich eingeladen, auch auf der Kuh zu reiten. Was für ein Geschenk. Die Gummikuh stammt übrigens vom Sperrmüll.

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