Hilft der Nutri-Score? Was die Lebensmittelampel bringt - und was nicht

Autor: Valentin Frimmer von dpa | Kategorie: Essen und Trinken | 01.12.2022

Was der Nutri-Score bringt - und was nicht
Foto: Shutterstock/ Photo_Pix

Zugreifen oder im Regal lassen? Der Nutri-Score auf Lebensmitteln soll die Entscheidung erleichtern und bietet Hilfe auf den ersten Blick. Doch der simple Aufbau des Ampelsystems ist auch ein Problem.

Essiggurken mit dunkelgrünem A, Müsli mit gelbem C und Schlagsahne mit orangenem D: Seit zwei Jahren begegnen Kundinnen und Kunden im Supermarkt immer öfter Produkten, auf die der sogenannte Nutri-Score gedruckt ist. Das Ampelsystem gibt auf den ersten Blick Auskunft über den Nährwert eines Lebensmittels. Das kann eine sinnvolle Hilfe beim Einkauf sein. Noch fehlt der Score aber auf vielen Produkten. Zudem zweifeln Experten daran, ob alle Verbraucher mit dem System umgehen können.

Der Nutri-Score von dunkelgrünem A bis rotem E ist eine fünfstufige Ampel. Nach einer festen Formel wird errechnet, in welche Kategorie ein Produkt fällt. Sie ist für die allermeisten Lebensmittel gleich. Zucker, Salz, gesättigte Fettsäuren und viele Kalorien wirken sich dabei ungünstig aus. Ein hoher Anteil unter anderem an Obst, Gemüse, Nüssen, Ballaststoffen und Eiweißen bringt Pluspunkte. Seit November 2020 kann der Score hierzulande rechtssicher – aber auf freiwilliger Basis – auf verpackte Lebensmittel gedruckt werden.

Gut, um in einer Produktgruppe zu vergleichen

Der Nutri-Score soll Verbrauchern die Auswahl innerhalb einer Produktgruppe – also zum Beispiel innerhalb der Kategorie Brot oder der Kategorie Milchgetränke – erleichtern, erläutert Benedikt Merz vom Max Rubner-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel. Also: Heute möchte ich Pizza essen, für welche soll ich mich entscheiden? Oder: Für mein Dinner möchte ich noch einen Nachtisch kaufen, welcher ist im Vergleich die ernährungsphysiologisch etwas günstigere Wahl. Soweit die Theorie.

"Die Realität ist, dass Verbraucher die Farben oft intuitiv bewerten. Grün gekennzeichnete Produkte werden als grundsätzlich unbedenklich wahrgenommen, ein rotes E hingegen als Stop-Signal", sagt Merz, der auch im Wissenschaftlichen Gremium des Nutri-Scores sitzt, das die Regeln für das Ampelsystem weiterentwickelt. "Die größte Schwäche des Nutri-Scores ist, dass das System aufgrund seines einfachen Aufbaus falsch gelesen werden kann." Merz zufolge wäre eine riesige Informationskampagne, wie der Nutri-Score richtig anzuwenden ist, "äußerst sinnvoll".

Nicht identisch mit guter Ernährung

Auch Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg hält den Score für erklärungsbedürftig. "Wer ausschließlich Produkte mit grünem Nutri-Score-Label kauft, tut seiner Gesundheit noch lange nichts Gutes." Denn zum einen spiele bei gesunder Ernährung sowohl Vielfalt als auch Menge eine Rolle – beides bilde der Nutri-Score aber nicht ab. Zum anderen sei das Ampelsystem nur auf abgepackten Lebensmitteln zu finden, nicht aber beispielsweise auf frischem Obst und Gemüse, die ein Grundpfeiler ausgewogener Ernährung sind.

Grundsätzlich befürwortet Valet aber das System, dessen Einführung ihm sogar zu langsam vorangeht. Von 1.451 untersuchten Lebensmitteln sind rund 40 Prozent mit der Lebensmittelampel ausgezeichnet gewesen, wie eine bundesweite Analyse der Verbraucherzentralen zeigt. Das seien sieben Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. "Wir fordern in Sachen Nutri-Score mehr Tempo von der Lebensmittelindustrie", sagt Valet.

Der Nutri-Score funktioniert umso besser, auf je mehr Produkten er zu finden ist. Laut Verbraucherzentralen sind Pizzen mit 70 Prozent der untersuchten Produkte besonders häufig gekennzeichnet, Cerealien und Milchprodukte mit jeweils 28 Prozent eher selten. "Bei Eigenmarken des Handels stellen wir einen stetigen Zuwachs fest. Der Nutri-Score entfaltet sein volles Potenzial aber erst, wenn alle Produkte miteinander vergleichbar sind", sagt Valet.

Nutzen des Scores noch nicht erforscht

Noch ist unklar, wie groß dieses Potenzial überhaupt wäre. Laut Nutri-Score-Experte Merz gibt es keine begleitende Studie, die den Einfluss des Nutri-Scores auf das Einkaufsverhalten in Deutschland untersucht. Auch ob Hersteller durch das Ampelsystem motiviert werden, ihre Rezepturen zu überarbeiten, ist wenig bekannt.

Die Regeln, nach denen verpackte Lebensmittel in die Kategorien A bis E eingruppiert werden, werden bald aktualisiert. Das dürfte auch einige Produkte betreffen, die derzeit noch sehr gut wegkommen: So kann man im Supermarkt unter anderem Frühstückscerealien mit Schoko, Weizenspaghetti, Tiefkühl-Spinatpizza und Tortilla-Chips mit dunkelgrünem A finden. "Das sind Stolpersteine, die wir im Rahmen überarbeiteter Regeln zumindest größtenteils aus dem Weg räumen konnten", sagt Merz. Insbesondere die strengeren Regeln bei Zucker gehen aber Verbraucherschützern noch nicht weit genug.

Unter den Herstellern, die beim Nutri-Score mitmachen, sind einige Schwergewichte, darunter Danone, Nestlé und Dr. Oetker. Doch nicht alle machen mit, wie Peter Loosen, Geschäftsführer und Leiter des Brüsseler Büros des Lebensmittelverbands Deutschland, sagt. Die Einführung der Lebensmittelampel bei einer Marke sei aufgrund zahlreicher Regularien vergleichsweise aufwendig und teuer. Zudem ständen Firmen, deren Produkte tendenziell schlechtere Bewertungen bekämen, dem Score skeptischer gegenüber.

Einige Unternehmen dürften auch abwarten, bis die überarbeitete Berechnungsgrundlage in Kraft ist, um Doppelarbeit zu vermeiden.

Nutri-Score wird vermutlich nicht verpflichtend

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Noch ist mehr als unklar, ob der Nutri-Score über kurz oder lang eine verpflichtende Angabe wird. Verbraucherschützer sind dafür, doch entschieden wird in Brüssel. Die EU-Kommission will im kommenden Jahr einen Vorschlag für eine sogenannte erweiterte Nährwertkennzeichnung präsentieren. Doch die Zeichen stehen nicht besonders günstig für den Nutri-Score, auch weil sich einige EU-Staaten vehement gegen das System wehren. "Die EU-Kommission wird nicht den Nutri-Score vorschlagen", sagte kürzlich die für Ernährung zuständige stellvertretende Generaldirektorin der EU-Kommission, Claire Bury. Eine Kommissionssprecherin verwies auf Anfrage darauf, dass der Vorschlag noch in Arbeit sei.

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