Keine Mehrheit: EU-Kommission erneuert Glyphosat-Zulassung zunächst nicht

Autor: dpa/Redaktion (lw, lr) | Kategorie: Essen und Trinken | 13.10.2023

Kein zehn weitere Jahre für Glyphosat? Was es mit dem Mittel auf sich hat
Foto: Axel Seidemann/dpa

Die EU-Kommission hat zunächst keine ausreichende Zustimmung der EU-Länder für eine erneute Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat für weitere zehn Jahre bekommen. Ein Überblick, was es mit dem umstrittenen Pestizid und der heutigen Entscheidung auf sich hat.

Glyphosat wird in der Landwirtschaft in hohen Mengen gegen unerwünschtes Unkraut eingesetzt. Doch Ende des Jahres läuft die Zulassung des Pestizids aus, die EU muss deshalb über eine Verlängerung entscheiden. Bei einer Abstimmung von Vertretern der EU-Staaten gab es am heutigen Freitag keine qualifizierte Mehrheit dafür, dass das umstrittene Mittel bis Ende 2033 eingesetzt werden darf. Für eine qualifizierte Mehrheit wird die Zustimmung von mindestens 55 Prozent der EU-Staaten gebraucht, die gleichzeitig mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

Glyphosat-Zulassung: Was bedeutet die heutige Entscheidung?

Mit dieser Entscheidung im EU-Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel gibt es damit zunächst keine erneute Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat für weitere zehn Jahre. 

Im November wird über die Erneuerung der Zulassung in einem Berufungsausschuss weiter diskutiert. Änderungen an dem Vorschlag der Kommission sind möglich. Wenn sich im Berufungsausschuss weder eine qualifizierte Mehrheit für noch gegen den Vorschlag findet, kann die EU-Kommission eigenständig entscheiden.

Zum Hintergrund: Ende Juli hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) eine Untersuchung veröffentlicht, in der sie keine inakzeptablen Gefahren von Glyphosat, aber Datenlücken in mehreren Bereichen gesehen hatte. Daraufhin hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, die Zulassung zu erneuern.

Was sagen Glyphosat-Gegner und -Befürworter?

Glyphosat-Gegner: Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe wertete es als "großen Erfolg für die Umweltbewegung", dass es heute keine Erneuerung der Glyphosat-Genehmigung gab. Resch weiter: "Wie kaum ein anderes Pestizid ist Glyphosat dafür verantwortlich, dass Wildbienen, Schmetterlinge und andere Großinsekten sowie Feldvögel mehr und mehr verschwinden. Auch die EU-Kommission muss dieses Abstimmungsergebnis respektieren."

Bereits im Vorfeld der EU-Entscheidung äußerten sich Umweltverbände. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sprach von einer "Katastrophe für Mensch und Artenvielfalt". Für den WWF ist die Empfehlung der EU-Kommission Zeichen eines Systems, in dem kurzfristiger Profit dem nachhaltigen Wandel der Landwirtschaft im Weg steht.

Auch für Greenpeace war der Fall klar: Die europäischen Regierungen sollten den Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Umwelt über die privaten Geschäftsinteressen von Unternehmen wie Bayer stellen, meint die Organisation. Die Aurelia Stiftung, eine Imker-Initiative, hatte eine Klage beim EU-Gerichtshof gegen eine mögliche Glyphosat-Verlängerung eingereicht.

Glyphosat – hier unter den Handelsnamen "Roundup" – ist in der EU relativ problemlos auch von privaten Anwendern zu bekommen.
Glyphosat – hier unter den Handelsnamen "Roundup" – ist in der EU relativ problemlos auch von privaten Anwendern zu bekommen. (Foto: Shutterstock/Pixavril)

Ökotoxikologe Carsten Brühl sagte gegenüber der Ippen-Gruppe: "Ich finde, es gibt genug Forschung, um zu sagen: Wir sollten in der EU nach dem Vorsorgeprinzip handeln. Das heißt, ab dem Moment, bei dem es Zweifel an der Sicherheit einer Substanz gibt, kann die EU allein als Vorsorgemaßnahme entscheiden, die Bevölkerung nicht mehr diesem Stoff auszusetzen."

Foodwatch hatte am Donnerstag gegen eine weitere Zulassung des Ackergifts protestiert. Annemarie Botzki, Campaignerin bei foodwatch Deutschland, sagte: "Um Verbraucher:innen zu schützen und unsere Ernährung zu sichern, brauchen wir dringend einen kompletten Ausstieg aus der Pestizid-Landwirtschaft – ein Glyphosat-Verbot wäre ein bedeutsamer Schritt. Glyphosat ist nur die Spitze des Eisbergs einer fatalen Pestizid-Abhängigkeit der EU-Landwirtschaft." 

Auch ÖKO-TEST hält ein EU-weites Glyphosat-Verbot für sinnvoll.

Glyphosat-Befürworter: Hersteller Bayer sieht kein Problem für Mensch oder Umwelt in einer Erneuerung der Zulassung. Glyphosat sei nicht krebserregend und auch andere Methoden – wie das Pflügen der Böden oder das Abflämmen von Unkraut – schadeten der Biodiversität. Und: Wenn Glyphosat verboten würde, würden Landwirte zur Bekämpfung von Unkraut schlicht auf andere Herbizide umsteigen, die umweltschädlicher seien.

Wie wirkt Glyphosat?

US-Hersteller Monsanto, inzwischen Teil des Bayer-Konzerns, führte das Mittel 1974 unter dem Handelsnamen "Roundup" ein. In der Natur kommt die Substanz nicht vor. Das Unkrautbekämpfungsmittel hat ein so breites Spektrum wie kaum ein anderer Pflanzenvernichter. Glyphosat wirkt auf fast alle Grünpflanzen.

Glyphosat wird über die grünen Bestandteile wie die Blätter aufgenommen: Der Stoff verteilt sich und bewirkt, dass eine Pflanze vollständig verwelkt und abstirbt. Wo Glyphosat versprüht wird, wächst kein Gras mehr: Das Mittel blockiert in den Gewächsen ein Enzym, das diese zur Herstellung lebenswichtiger Aminosäuren benötigen.

Wo kommt Glyphosat zum Einsatz?

In Deutschland entfällt der weitaus überwiegende Teil auf die Landwirtschaft. Glyphosat wird aber auch im Gartenbau eingesetzt.

In der Landwirtschaft sollen die Ackerflächen mithilfe von Glyphosat vor oder kurz nach der Aussaat – und erneut nach der Ernte – unkrautfrei gehalten werden. Während der Wachstumszeit der Nutzpflanzen kommt Glyphosat nicht zum Einsatz, da diese sonst absterben würden.

Über Jahre wurde Glyphosat auch entlang von Schienen angewendet, darauf verzichtet die Deutsche Bahn aber seit 2023.

Wie viel Glyphosat wird eingesetzt?

  • Einsatz weltweit: Heute macht die Substanz nach Angaben der Glyphosate Renewal Group – eines Zusammenschlusses von Unternehmen, die das Mittel vertreiben – rund 25 Prozent des weltweiten Herbizidmarktes aus.
  • Einsatz in Deutschland: In Deutschland wurden nach jüngsten Zahlen des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit im Jahr 2021 knapp 4.100 Tonnen abgesetzt. Spanien, Italien und Frankreich haben im Vergleich zu Deutschland oder Großbritannien einen doppelten bis fünffachen Verbrauch. Nach Angaben des Deutschen Bauernverbandes kommt Glyphosat hierzulande auf rund 37 Prozent der Ackerflächen zum Einsatz.

Wo kommen Verbraucher mit Glyphosat in Kontakt?

Direkter Kontakt mit Glyphosat: im eigenen Garten.

Für Beete und Rabatten gibt es Mittel, in denen Glyphosat steckt. Über das Internet ist es beispielsweise problemlos möglich, Glyphosat in flüssiger Form auch für die Anwendung im eigenen Garten zu kaufen. Entsprechende Produkte müssen lediglich für nichtberufliche Anwender und den Haus- und Kleingartenbereich zugelassen sein.

Indirekter Kontakt mit Glyphosat: über gekaufte Lebensmittel.

Wegen des Einsatzes in der Landwirtschaft finden sich immer wieder Spuren des Wirkstoffs in verschiedensten Nahrungsmitteln – und zwar nicht nur in denen, die direkt vom Feld kommen. Das Pestizid findet sich letztlich in der gesamten Nahrungskette – bis hin zu Säugetieren: Über Futtermittel kann Glyphosat so etwa auch in Fleisch gelangen, erklärt die Verbraucherzentrale Hamburg.

Glyphosat in unseren Lebensmittel-Tests

Wir von ÖKO-TEST haben Spuren von Glyphosat in den letzten Jahren unter anderem in Nudeln (Spaghetti-Test, Fusili-Test), Hülsenfrüchten (Kichererbsen-Test, Hummus-Test), Getreide (Haferflocken-Test, Couscous-Test), aber auch vielen anderen Produkten nachgewiesen.

Da der Glyphosat-Einsatz in der ökologischen Landwirtschaft verboten ist, sollten Bio-Produkte nicht mit dem Pestizid belastet sein. Allerdings kann die Substanz durch den Wind auch auf die Felder von Bio-Bauern getragen werden.

Ist Glyphosat gesundheitsschädlich?

Um die Frage, ob Glyphosat krebserregend ist, kreist seit Jahren eine Debatte.

Gesundheitsschädlich: Die Internationale Agentur für Krebsforschung, ein Gremium der Weltgesundheitsorganisation, stufte das Mittel 2015 als "wahrscheinlich krebserregend beim Menschen" ein. Das bedeutet, dass eine Krebsgefahr grundsätzlich möglich ist – in diese Kategorie fällt auch rohes und verarbeitetes Fleisch.

Nicht gesundheitsschädlich: Im Gegensatz dazu schrieb etwa die Europäische Chemikalienagentur 2022, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht genügten, um Glyphosat als krebserregenden, genverändernden oder fortpflanzungsgefährdenden Stoff einzustufen. Auch kommen unter anderem die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit, das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung und die US-Umweltbehörde EPA zu einem solchen Schluss.

Auch Glyphosat-Hersteller Bayer weist den Verdacht zurück, dass der Unkrautvernichter krebserregend sei. Dennoch ist der Konzern in den USA mit zahlreichen Klagen konfrontiert. Bayer musste in bestimmten Fällen hohen Schadenersatz zahlen, hat aber auch Prozesse gewonnen.

Schadet Glyphosat der Umwelt?

Glyphosat sorgt für weniger Wildpflanzen auf und neben den Feldern: Das bedeutet auch geringeren Lebensraum für Insekten und Feldvögel.

In den vergangenen Jahren haben Untersuchungen beispielsweise wiederholt Hinweise darauf ergeben, wie Glyphosat auf Honigbienen wirkt – etwa auf die kognitiven Fähigkeiten oder auf das Immunsystem. Eine Studie der Universität Konstanz kommt zu dem Schluss, dass Glyphosat die Lernfähigkeit von Hummeln beeinträchtigt, was ihre Fortpflanzungs- und Überlebenschancen verringere.

Das schadet auch der Landwirtschaft selbst, denn deren Erträge hängen maßgeblich von bestäubenden Insekten ab.

Wird Glyphosat in Deutschland verboten?

Deutschland will Glyphosat eigentlich ab Anfang 2024 nicht mehr zulassen – so steht es zumindest im Koalitionsvertrag. In Deutschland sprach sich das Bundesagrarministerium klar gegen eine Verlängerung aus. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) begründete das damit, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass Glyphosat der Biodiversität schade. Bleibt Glyphosat in der EU weiterhin erlaubt, könnte ein Verbot in Deutschland schwierig werden.

Denn: Grundsätzlich können einzelne EU-Staaten nach Angaben der EU-Kommission eigene Regeln erlassen, wie glyphosathaltige Produkte genutzt werden dürfen. So hat Luxemburg die Verwendung von Glyphosat verboten – die Entscheidung wurde aber gerichtlich gekippt, unter anderem weil Luxemburg das Verbot nicht ausreichend begründet hatte. Ein Selbstläufer wäre ein rein deutsches Verbot also nicht.

"Auch wenn sich der rechtliche Kontext in Luxemburg nur bedingt übertragen lässt, heißt das, dass die Bundesregierung nur gut begründet in bestimmten Anwendungsbereichen ein Glyphosatverbot erlassen kann, damit es den Gerichten standhält", sagte die Grünen-Europaabgeordnete Jutta Paulus.

Eine Möglichkeit sieht sie darin, bestehende Einschränkungen etwa für Wasserschutzgebiete, Kleingärten und Spielplätze zu verlängern und auszuweiten.

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