Vitamininfusionen: Warum der Gesundheitstrend Unsinn ist

Autor: Hannah Pompalla | Kategorie: Gesundheit und Medikamente | 06.11.2024

Vitamininfusionen sind überteuert und bringen keinen Mehrwert.
Foto: Numstocker/Shutterstock

Einfach mit einer Vitamininfusion das Immunsystem stärken und gesund durch den Winter kommen – das klingt für manche Menschen verlockend. Doch wie sinnvoll sind solche Infusionen eigentlich? Wir haben beim Ernährungsmediziner Dr. Matthias Riedl nachgefragt.

  • Vitamininfusionen sind überteuert und bieten keinen wissenschaftlich nachgewiesenen Mehrwert.
  • Wer an einer Herz- oder Niereninsuffizienz leidet, sollte sich auf keinen Fall eine solche Infusion legen lassen: Die Folgen können lebensbedrohlich sein.
  • Wird die Nadel nicht von medizinischem Fachpersonal gesetzt, besteht auch für gesunde Menschen ein Gesundheitsrisiko. Denn es könnten Keime eindringen, die, wenn auch nur selten, schlimmstenfalls zu einer Blutvergiftung führen können. 
  • Um gesund zu bleiben, ist es wichtig, sich ausgewogen mit viel Obst und Gemüse zu ernähren, regelmäßig Sport zu treiben und auf genügend Schlaf zu achten.

Vitamininfusionen liegen im Trend: Sie werden etwa in schicken "Drip Bars" gelegt, bei Heilpraktizierenden und sogar in manchen Arztpraxen. Sie richten sich an finanzkräftige Selbstzahler, die einen Hang zur Selbstoptimierung haben – bezahlt werden sie von den Krankenkassen nicht.

Die Infusionen enthalten neben verschiedenen Vitaminen und Kochsalzlösung auch andere Substanzen wie Mineralstoffe und Aminosäuren. Es gibt sie mit verschiedenen Wirkversprechen – mal sollen sie das Immunsystem stärken und die Leistungsfähigkeit steigern, mal als "Beauty Booster" für ein strahlendes Aussehen sorgen oder als Mittel gegen Kater dienen.

Zugleich werden Vitamininfusionen als besonders wirksam und effizient vermarktet. Schließlich gelangen die Stoffe direkt in die Blutbahn und müssen nicht erst im Magen-Darm-Trakt verstoffwechselt werden. Das lassen sich die Anbieter gut bezahlen: Die Preisspanne für solche Behandlungen liegen etwa zwischen 100 und 400 Euro.

Vitamininfusionen sind teuer und unnötig 

Doch was ist von diesem Infusions-Hype, der aus den USA stammt, zu halten? Dr. Matthias Riedl, Vorstandsmitglied und Pressesprecher des Berufsverbands Deutscher Ernährungsmedizinerinnen und Ernährungsmediziner, hat hierzu eine klare Meinung: "Das ist alles Humbug und fällt in den Bereich der mittelalterlichen Scharlatanerie." Zudem sei das gesamte Konzept "an Gewissenlosigkeit kaum zu überbieten".

"Die Betreiber weisen sogar oft selbst darauf hin, dass es keine wissenschaftlichen Belege für die Wirkung dieser Infusionen gibt. Da wird mit einer medizinischen Maßnahme einfach nur Geld gemacht", sagt Riedl. Zudem werde die Unwissenheit vieler Menschen schlichtweg ausgenutzt. 

"Was hier verkauft wird, ist vielmehr ein Gefühl, dass Vitamine einfach gut sind und per Infusion noch besser wirken." Doch es sei nicht unbedingt von Vorteil, die Vitamine direkt in die Venen zu verabreichen. Wenn Vitamine dagegen zum Beispiel über die Ernährung aufgenommen würden, könne der Körper selbst regulieren, wie viel er tatsächlich benötigt und wohin die Stoffe am besten verteilt werden.   

Vitamininfusionen sind sehr teuer und richten sich vor allem an Menschen, die sich selbst optimieren wollen. Dabei sind sie bei gesunden Personen überflüssig und bringen keinen erwiesenen Mehrwert.
Vitamininfusionen sind sehr teuer und richten sich vor allem an Menschen, die sich selbst optimieren wollen. Dabei sind sie bei gesunden Personen überflüssig und bringen keinen erwiesenen Mehrwert. (Foto: Andrey_Popov/Shutterstock)

Wer unbedingt auf Vitamininfusionen verzichten sollte

"Bei gesunden Menschen sind Vitamininfusionen absolut unnötig", betont Matthias Riedl, der auch aus der TV-Reihe "Die Ernährungs-Docs" (NDR) bekannt ist. Angebracht seien sie eher bei Personen, die etwa wochenlang auf der Intensivstation liegen und per Nasensonde ernährt werden.

Für manche Menschen können solche Vitamininfusionen sogar lebensgefährlich werden. Bei Herzinsuffizienten droht etwa Atemnot, bei Niereninsuffiziente kann ein Ödem auftreten, warnt der Hamburger Ernährzungsmediziner. Die zusätzlich zugeführte Flüssigkeit stellt schließlich für chronisch Kranke eine weitere Belastung dar.

Aber auch bei Gesunden bestünden gewisse Risiken – vor allem, wenn die Infusionen von Personen gelegt werden, die keine fundierte medizinische Ausbildung haben, sagt Riedl. Denn die Nadel verletze immer auch die Haut. Dadurch könnten Keime eindringen und es könne im schlimmsten Fall zu einer Blutvergiftung kommen; dies passiere aber nur selten. 

Außerdem gut zu wissen: Das Vitamin B6 – oft Bestandteil von Vitamininfusionen – könne zu irreversiblen Nervenschäden führen, wenn es wiederholt und über eine längere Zeit verabreicht wird.

"Hangover-Infusionen" als reine Geldverschwendung

Auch bei "Hangover-Infusionen" handelt es sich dem Facharzt zufolge um reine Geldverschwendung. Solche Infusionen werden auf Wunsch als Anti-Kater-Mittel nach einer durchzechten Nacht verabreicht. Sie beinhalten diverse "Vitalstoffe" und Elektrolyte, die dem Körper die verlorenen Mineralstoffe wieder zurückgeben und bei der Entgiftung unterstützen sollen. "Hier reichen auch ein paar Gläser Wasser und salzhaltige Lebensmittel aus, wie zum Beispiel Gewürzgurken."

Langfristiger Alkoholkonsum könne zwar zu einem Vitaminmangel führen, aber nicht kurzfristig. "Das rechtfertigt also keine Hangover-Infusion."

Neben Vitamininfusionen sind auch Vitamintabletten unnötig

Viele Menschen greifen im Herbst und Winter zu Multivitamintabletten – in der Hoffnung, damit gesund durch die kalte Jahreszeit zu kommen. Auch davon hält Matthias Riedl nichts. "Solche Tabletten sind meistens maßlos überdosiert. Außerdem können sie auf Dauer die Entstehung von Nierensteinen begünstigen", erläutert der Mediziner.

Von Vitamin D-Präparaten rät er ebenfalls ab. Diese sollten nur eingenommen werden, wenn tatsächlich beim Arzt oder der Ärztin ein Mangel festgestellt wird. Eine chronische Überdosierung von Vitamin D könne schließlich zu Nierenversagen führen.

Sinnvoll sei die Supplementierung des "Sonnenvitamins" allerdings bei Menschen mit Autoimmunerkrankung oder Hochbetagten, die wenig Tageslicht abbekommen. Ratsam können entsprechende Nahrungsergänzungsmittel auch für Frauen in den Wechseljahren sein, da diese ein erhöhtes Osteoporose-Risiko haben. Eine Ausnahme gelte zudem für Übergewichtige, denn bei ihnen sei der Vitamin D-Spiegel meist niedrig.

Frische Lebensmittel bieten beste Vitaminversorgung

Prinzipiell müssten nur wenige Personengruppen tatsächlich Vitamine supplementieren, sofern kein ärztlich diagnostizierter Mangel vorliegt. Veganerinnen und Veganer bräuchten etwa das Vitamin B12, während Schwangere Folsäure benötigen würden. "Wir sind kein Vitaminmangelland", möchte Matthias Riedl klarstellen. 

Ein ernsthaftes gesundheitliches Problem sei dagegen die "denaturierte Ernährung": Eine Ernährungsweise, die auf hochverarbeitete Lebensmittel bzw. künstlich zusammengesetzte Produkte basiert. Es werde viel zu wenig Gemüse gegessen werden. Die Folge sei ein Mangel an Ballaststoffen und Omega-3-Fettsäuren.

Durch den häufigen Verzehr von nährstoffarmen Industrieprodukten sei darüber hinaus ein allgemeiner Jodmangel zu verzeichnen: Dieser betreffe 30 Prozent der Erwachsenen und 60 Prozent der Jugendlichen in Deutschland. Bei jungen Mädchen habe sich wiederum ein deutlicher Magnesiummangel bemerkbar gemacht: Er liege hierzulande bei 60 Prozent.

Wer also seinem Körper wirklich etwas Gutes tun und das Immunsystem stärken möchte, sollte vor allem eine abwechlungsreiche, vollwertige Ernährung mit frischem Obst und Gemüse anstreben. Daneben gelte es, regelmäßig Sport zu treiben und auf ausreichenden Schlaf zu achten.

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