Entschädigung bei Zugausfall wird seltener: Fahrgast-Rechte ändern sich

Autor: Tom Nebe von dpa; Redaktion (lw) | Kategorie: Geld und Recht | 06.06.2023

Rechte für Bahnreisende ändern sich: Das müssen Sie wissen
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In Kürze treten bei den EU-Fahrgastrechten eine Reihe von Neuerungen in Kraft – nicht immer zugunsten von Bahnreisenden. So kann es künftig schwieriger werden, an eine Entschädigung für ausgefallene Züge zu kommen. Dafür soll es künftig einfacher werden, mit anderen Verkehrsmitteln weiterzureisen, wenn etwa der Anschluss verpasst wird.

Fällt der Zug aus oder ist er stark verspätet, haben betroffene Fahrgäste bestimmte Rechte gegenüber dem Bahnunternehmen. Diese Rechte ändern sich ab 7. Juni zum Teil. Dann tritt die Neufassung der EU-Verordnung "über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr" in Kraft. Das sind die wichtigsten Punkte.

1. Weniger Entschädigungen bei Verspätung geplant

Kommt der Zug mehr als eine Stunde zu spät am Zielbahnhof an, kann man 25 Prozent des Fahrpreises zurückverlangen, bei mehr als zwei Stunden sogar 50 Prozent. Bisher hat dabei die Ursache für die Verspätung keine Rolle gespielt – das ändert sich.

Ab dem 7. Juni gibt es Szenarien, bei denen der Entschädigungsanspruch entfällt. Konkret sind sie in Artikel 19 der neuen Verordnung festgeschrieben. Darunter fallen außergewöhnliche Umstände, die nicht im Einflussbereich des Bahnunternehmens liegen, etwa extreme Witterung, Menschen auf den Gleisen oder Kabeldiebstahl. Wichtig: Streiks des Bahnpersonals zählen nicht dazu.

Reicht künftig also schon ein Wintereinbruch, um die Entschädigung auszuschließen? "Gewöhnliche Unwetter sind explizit ausgenommen", so Stefanie Berk, Marketing-Vorständin bei der DB Fernverkehr AG, mit Blick auf die neuen Einschränkungen bei den Entschädigungen. Ein Beispiel für ein außergewöhnliches Naturereignis im Sinne der EU-Regeln wäre die Jahrhundertflut im Ahrtal im Sommer 2021 gewesen.

Fälle, in denen die Deutsche Bahn künftig nicht mehr entschädigen werde, seien Kabeldiebstähle, Notfälle im Zug oder Personen im Gleis, die ebenfalls in der neuen EU-Verordnung genannt werden.

Wichtig: Auf außergewöhnliche Umstände können sich Bahnunternehmen nur bei Entschädigungsforderungen berufen. Weitere Pflichten der Bahn bleiben davon unberührt: Etwa, dass bei größeren Verspätungen die Weiterreise auf anderem Weg organisiert werden muss oder sich der Fahrgast den Fahrpreis erstatten lassen kann.

2. Umbuchung bald auf eigene Faust möglich …

Von der Frage der Erstattung abgesehen, haben Fahrgäste bei absehbaren Verspätungen von mehr als einer Stunde am Zielbahnhof generell die Wahl, ob sie sich den Fahrpreis erstatten lassen oder die Reise fortsetzen wollen. Entscheiden sie sich für die Fortsetzung der Reise, können sie bei nächster Gelegenheit oder zu einem späteren Zeitpunkt ihrer Wahl weiterfahren, wobei sie stets auch eine andere, vergleichbare Verbindung wählen können. Die Option muss ihnen das Bahnunternehmen laut Verordnung (Artikel 18) bieten:

Ab 7. Juni gilt hier laut Europäischem Verbraucherzentrum (EVZ) zum einen: Man darf für die Weiterreise vom Bahnunternehmen auch auf den Zug eines anderen Anbieters umgebucht werden.

Und zum anderen: Bahnreisenden wird explizit das Recht zur selbst organisierten Weiterreise eingeräumt. Die entstandenen Kosten können dann vom Bahnunternehmen zurückgefordert werden. Einschränkung: Die Verordnung nennt hier explizit Bahn- oder Busverbindungen anderer "öffentlicher Verkehrsdienste".

… aber nicht jedes Verkehrsmittel wird erstattet

Voraussetzung fürs selbst organisiert Weiterreisen: Der Fahrgast muss sich entweder die Zustimmung des Bahnunternehmens für die Umbuchung holen. Oder: Dem Fahrgast wurden vom Bahnunternehmen nicht binnen 100 Minuten nach der planmäßigen Abfahrtzeit, dem verpassten Anschluss oder dem ausgefallenen Verkehrsdienst alternative Weiterreise-Optionen mitgeteilt.

Dass etwa Flüge als Umbuchungsoption nicht mitgenannt werden, sondern nur Bus- und Bahnverbindungen, sieht man beim EVZ kritisch. "Gerade bei langen grenzüberschreitenden Fahrten ist die Umbuchung auf ein Flugzeug häufig die praktikabelste und nicht selten die kostengünstigste Lösung", so EVZ-Jurist André Schulze-Wethmar. Mietwagen oder Taxis werden ebenfalls nicht in der Verordnung genannt.

3. Entschädigungsfrist wird um 75 Prozent gekürzt

Die Frist, um bei Verspätung oder Zugausfall beim Bahnunternehmen Geld zurückzufordern, liegt laut EVZ bislang bei einem Jahr nach Ablauf der Gültigkeit der Fahrkarte.

Künftig müssen Reisende hier womöglich schneller tätig werden. Drei Monate nach dem Vorfall muss die Beschwerde spätestens eingereicht werden, heißt es in Artikel 28 der neuen Verordnung.

Die Deutsche Bahn will das aber nicht so streng handhaben, hat Marketing-Vorständin Berk angekündigt. "Wir werden auch danach noch Anträge annehmen", sagte sie. Im Zweifel gelte hier die bisher bei der DB angewendete Frist von einem Jahr weiterhin. In der Praxis sei das ohnehin selten ein Thema, so Berk: "Schon heute werden 97 Prozent aller Anträge binnen 90 Tagen eingereicht."

Was darüber hinaus in Deutschland gilt

Die Verordnung zu den Bahngastrechten gilt für den Fern- und Nahverkehr in allen EU-Mitgliedsstaaten. Sie legt die Mindestanforderungen fest. Das heißt: Die einzelnen Staaten, aber auch einzelne Unternehmen, können verbraucherfreundlichere Regeln festlegen.

In Deutschland sieht die Eisenbahn-Verkehrsverordnung (EVO) beispielsweise folgende weitere Regelungen vor, die über die EU-Bahngastrechteverordnung hinausgehen:

  • Inhaber eines Regionalzug-Tickets können laut Artikel 8 der EVO unter bestimmten Umständen alternativ auch auf einen höherwertigen (nicht reservierungspflichtigen) Zug – zum Beispiel einen ICE – umsteigen, wenn die Verspätung am Zielbahnhof absehbar mehr als 20 Minuten betragen wird. Dafür muss man zwar erst mal ein ICE-Ticket kaufen, kann die Kosten aber später zurückfordern.
  • Wenn die planmäßige Ankunftszeit zwischen 0.00 und 5.00 Uhr liegt und eine Verspätung am Zielbahnhof von mindestens einer Stunde absehbar ist, können Regioticket-Inhaber auch mit einem anderen Verkehrsmittel ans Ziel fahren, etwa mit einem Taxi.
  • Das ist ebenso möglich, wenn es sich um die letzte fahrplanmäßige Verbindung des Tages handelt, diese ausfällt und man dann ohne andere Verkehrsmittel nicht mehr bis 24.00 Uhr am Zielbahnhof ankommen kann. Für diese beiden Fälle sieht die EVO, die ebenfalls überarbeitet wurde, künftig einen erstattbaren Höchstbetrag von 120 Euro vor (bisher sind es 80 Euro). Die neue EVO tritt, parallel zur neuen EU-Verordnung, am 7. Juni in Kraft.

Wo gibt es Entschädigung bei Verspätung?

Jedes größere Bahnunternehmen und jeder größere Bahnhof mit über 10.000 Fahrgästen pro Tag muss der EU-Verordnung zufolge Verfahren zur Beschwerdebearbeitung einrichten.

Bei der Deutschen Bahn lassen sich Entschädigungen für Tickets, die über ein Kundenkonto gekauft wurden, online auf bahn.de oder in der App "DB Navigator" beantragen. Oder man füllt ein Fahrgastrechte-Formular aus und schickt es per Post an das "Servicecenter Fahrgastrechte, 60647 Frankfurt/Main". Entschädigungen gibt es auch direkt in DB-Reisezentren.

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