Chef der Verbraucherzentralen zur Klimawende: Nichtstun ist die teuerste Lösung

Autor: Volker Lehmkuhl | Kategorie: Geld und Recht | 25.08.2021

Chef der Verbraucherzentralen zur Klimawende: Nichtstun ist die teuerste Lösung
Foto: Leonid Sorokin / Shutterstock

Starkregen, Überschwemmungen, lange Hitzeperioden. Ohne eine gelungene Klima- und Energiewende gelten höhere Schadenskosten durch Naturereignisse als sehr wahrscheinlich. Doch auch ein Umbau auf dem Energiesektor kostet Geld. Kosten, die die Verbraucher nicht allein tragen sollten.


Im Interview mit ÖKO-TEST erklärt Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), die Konsquenzen der Energie- und Klimawende und wie es dabei gerecht zugehen kann.

ÖKO-TEST: Herr Müller, was kommt auf Verbraucherinnen und Verbraucher durch die Energiewende zu?

Klaus Müller: Auf uns alle kommen immense Kosten zu. Allerdings in erster Linie dann, wenn wir nichts tun. Alle seriösen Wissenschaftler sind der Ansicht, dass die Häufigkeit und die Intensität sogenannter Großschadensereignisse steigt. Das hat unmittelbare Konsequenzen für unsere Häuser und Wohnungen, unsere Infrastruktur, unsere Mobilität. Die teuerste Lösung ist, hier nichts zu tun."

Welche Energieformen werden für Haushalte teurer, welche vergleichsweise günstiger?

Unmittelbar werden alle fossilen Energieträger teurer. Alles was direkt und indirekt mit Kohle, Öl, Gas zu tun hat, also auch Fernwärme aus diesen Energiequellen, wird teurer. Betroffen sind Mobilität, Bauen und Wohnen aber auch bestimmte Lebensmittel. Im Sinne des Verursacherprinzips und ehrlichen Preisen inklusive der Gesundheits- und Umweltfolgen, ist das richtig. Allerdings müssen Verbraucherinnen und Verbraucher entlastet werden. Das muss transparent sein und die Betroffenen müssen als aktive Akteure wahrgenommen werden. Energie aus erneuerbaren Quellen wie Wind und Sonne wird mittel- und langfristig kostengünstiger.

Klaus Müller ist Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands
Klaus Müller ist Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands (Foto: Corinna Guthknecht/vzbv)

Strom als Energieform spielt in Zukunft eine zentrale Rolle. Die deutschen Strompreise sind die höchsten in Europa. Wie geht das in Zukunft anders?

Strom macht nicht nur Licht und treibt die Waschmaschine an. Er ist auch der entscheidende Zukunftsschlüssel zum Beispiel für Mobilität und Wärme, Stichwort E-Auto und Wärmepumpe. Die Frage ist doch: Warum haben sich die Strompreise bei uns in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt?

Dafür gibt es Gründe. Deutschland hat mit dem System der EEG-Umlage viele Kosten für den Ausbau der Erneuerbaren Energien auf die Verbraucherinnen und Verbraucher verlagert. Die energieintensive Industrie zahlt davon fast nichts, das tragen alle anderen Verbraucher, auch Gewerbe und Handel. Stromnetzbetreiber profitieren von üppigen Zinssätzen auf ihr Eigenkapital. Es gibt also eine ganze Reihe von Kosten, die die Politik den Verbrauchern aufgebürdet hat. Das muss sich ändern. Die nächste Bundesregierung muss da schnell ran.

Geld aus neuen Emissionshandelssystemen muss an die Verbraucher zurück

Sie kritisieren den europäischen Handel mit Zertifikaten für CO2-Emissionen, der Verbraucherinnen und Verbraucher einseitig belastet? Wo muss die Politik nachbessern?

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie das Verursacherprinzip beim Klimaschutz umgesetzt werden kann. Entweder durch eine direkte CO2-Bepreisung oder den Zertifikatehandel mit Verschmutzungsrechten. Beide machen fossile Energien für Verbraucher teurer. Wenn jetzt auf EU-Ebene ein neues Emissionshandelssystem für die Bereiche Gebäude und Verkehr eingeführt werden soll, muss das von den Verbrauchern eingezahlte Geld zu 100 Prozent wieder an die Menschen zurückgehen. Wenn das auf EU-Ebene nicht umsetzbar ist, muss die Bundesregierung die Rückerstattung in Deutschland sicherstellen.

Haushaltslöcher stopfen und weitere Industriesubventionen darf es nicht geben. Beim Handel mit Zertifikaten ist es entscheidend, wie viele verschenkt werden. Dadurch werden milliardenschwere Subventionen an die Industrie ausgeschüttet. Gerechter ist es, die Zertifikate zu versteigern.

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Wie kommt das Geld aus der CO2-Bepreisung zurück an die Verbraucher?

Es gibt zwei Wege: Kurzfristig ist ein niedrigerer Strompreis durch eine geringere EEG-Umlage eine Möglichkeit. Das wurde vom Bundeswirtschaftsministerium ja schon eingeleitet. Allerdings spürt das niemand. Neun Euro im Jahr, wie im Moment, spürt niemand. Diese Methode ist zudem in ein paar Jahren ausgereizt, weil die EEG-Umlage dann nicht weiter gesenkt werden kann.

Wichtig, auch für die Akzeptanz der Energiewende, ist aber eine dauerhafte, signifikante und unmittelbare Rückerstattung mit einem zwei- oder sogar dreistelligen Betrag pro Kopf und Jahr. Ob das dann Bürgergeld, Energiegeld oder Klimadividende heißt, ist egal. Studien zeigen: Das hat eine ökologische Lenkungswirkung und ist sozial am gerechtesten. Wer wenig CO2-Ausstoß verursacht, profitiert, wer weiter stark auf fossile Energien setzt, zahlt mehr.

Die Politik muss den Menschen besser zuhören

Welche Möglichkeiten gibt es noch, um die Akzeptanz des Klimaschutzes zu erhöhen?

Wir sehen hier drei Punkte: Die Politik muss den Menschen besser zuhören und die unterschiedlichen Wünsche ernst nehmen.

Da sind die vom Klimaschutz Überzeugten. Sie wünschen sich zum Beispiel einen besseren öffentlichen Nahverkehr, auch im ländlichen Raum. Oder eine einfach nutzbare Ladeinfrastruktur für E-Autos.

Die Skeptischen warten erstmal ab, hatten vielleicht noch gar nicht die Gelegenheit, sich damit intensiver zu beschäftigen. Deren Akzeptanz hängt entscheidend von der Zahlung eines Energiegeldes ab. Wichtig ist dieser Gruppe vor allem die Freiheit ihrer persönlichen Entscheidung. Ob die politischen Entscheidungsträger:innen das nun gut oder schlecht finden, zählt nicht.

Dann sind da noch die Hilfebedürftigen, die sich die höheren Klimaschutzkosten einfach nicht leisten können, die ohnehin finanziell kaum über die Runden kommen. Für diese Haushalte mit niedrigen Einkommen braucht es Härtefallregelungen, damit sie die Zusatzkosten zum Beispiel für eine alte Ölheizung und längere Pendelstrecken mit einem alten Diesel auch schultern oder besser noch, sich für eine klimafreundliche Heizung und ein E-Auto entscheiden können.

(Foto: ÖKO-TEST)

Wenn wir den Klimaschutz mit Akzeptanz ausstatten wollen, muss ich akzeptieren, dass in unserem Land nicht alle 83 Millionen Menschen die gleiche Meinung, die gleichen Bedürfnisse und die gleichen Möglichkeiten haben. Dann muss ich dafür sorgen, dass ich auch diejenigen gewinne, die heute skeptisch oder wenig leistungsstark sind. Daraus folgt: Wir brauchen eine direkte Rückerstattung der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung, eine soziale Abfederung und eine technische Infrastruktur, die es den Menschen erlaubt, sich klimaschonend zu bewegen, zu heizen, zu wohnen.

Und schließlich müssen wir aufpassen, dass Klimaschutz keine schiefe Gerechtigkeitsdebatte auslöst. So gut CO2-Preise sind: Mit einem dicken Geldbeutel kann ich mich auch weiterhin ökologisch miserabel verhalten. Um das zu verhindern, braucht es Regeln, die für alle von uns gelten. Ein Beispiel sind Standards für den maximalen Energiebedarf von Häusern oder die Höchstgeschwindigkeit auf Straßen.

Eine kluge Klimaschutzpolitik ist also ein Mix aus einer öffentlichen Infrastruktur, aus einer CO2-Bepreisung und aus bestimmten Regeln, die für alle von uns gelten.

Was fordern Sie von der Politik?

Wichtig ist, den Menschen reinen Wein einzuschenken. Ich kann die Politik nur ermuntern, auch mit denjenigen zu sprechen, die Klimaschutz leugnen oder ablehnen. Das ist vielleicht die lauteste aber nicht die größte Gruppe. Aber jeder Politiker, der denkt, der Klimawandel würde sich von allein erledigen, täuscht die Menschen.

Das wird sich die nächste Bundesregierung schlicht nicht leisten können. Der ehrliche Diskurs ist das, was notwendig ist. Und das muss man auch hart und ehrlich mit den Menschen auf der Straße diskutieren. Meine schwierigste Gruppe sind nicht die Protestler, sondern die, die mit einem knappen Geldbeutel auskommen müssen. Sie müssen die Chance haben, an unserem gesellschaftlichen Leben weiter teilhaben zu können. Wenn fünf Euro CO2-Preis mehr im Monat eine Einschränkung der Lebensqualität bedeutet, muss ich das als politscher Entscheider berücksichtigen.

Elektrische Autos sollten auch ohne den Strom in der eigenen Garage problemlos aufladbar sein
Elektrische Autos sollten auch ohne den Strom in der eigenen Garage problemlos aufladbar sein (Foto: Nick Starichenko / Shutterstock)

Es braucht eine öffentliche Ladeinfrastruktur für E-Autos

Was sagen Sie Menschen, deren Verbrenner-Pkw demnächst stark an Wert verlieren wird, und die sich kein neues E-Auto leisten können?

Wir brauchen klare Ziele, damit sich jeder darauf einstellen kann. Das heißt nicht, morgen Verbote auszusprechen. Aber wenn ich weiß, was in zehn bis 15 Jahren gilt, dann kann ich zum Beispiel meinen Autokauf darauf ausrichten.

Zweitens braucht es eine öffentliche Ladeinfrastruktur, die auch mit Steuergeld zu finanzieren ist. Nur so wird eine andere Mobilität möglich, auch in mittleren und großen Städten, wo Platz knapp ist und die eigene Wallbox für Menschen ohne Garage auch perspektivisch ein Wunschtraum bleiben wird. Individuelle Mobilität ist und bleibt wichtig, auch zur Akzeptanz, davon sind wir überzeugt.

Zur Ehrlichkeit gehört drittens aber auch, dass wir jetzt mit einem engagierten, vom Bund verantworteten Ausbau der öffentlichen Mobilität beginnen müssen. Wir reden vom Anschluss Mobilität, andere von einer Mobilitäts- oder Erreichbarkeitsgarantie. In den Parteiprogrammen finden sich dafür unterschiedliche Bezeichnungen. Diese drücken alle aus, dass wir in Städten, aber vor allem im ländlichen Raum, einen bedarfsorientierten ÖPNV brauchen. Ich muss von meiner Haustür zur Arztpraxis, zum Restaurant, ins Theater oder zu meiner Arbeit kommen, und zwar dann, wenn ich das möchte.

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Hierfür gibt es schon Lösungen mit digital basierten, vernetzten Mobilitätsangeboten. Sammeltaxis bündeln Fahrgäste, die denselben Weg haben und bringen mich genau dahin, wohin ich möchte. Ein solcher, heute noch selten anzutreffender Teil des öffentlichen Nahverkehrs ist teuer, das muss man deutlich sagen. Er ist aber eine Voraussetzung für eine klimafreundliche Mobilität, neben dem Elektroauto und vielem anderen mehr.

Es fehlt nicht an Instrumenten. Wir brauchen auch keine Modellprojekte mehr. Doch der bisherige rechtliche Rahmen für den ÖPNV zwang Kommunen in Modellprojekte. Was wir brauchen, sind beständige, verlässliche, dauerhafte Instrumente. Der ÖPNV muss eine Pflichtaufgabe der Länder und Kommunen werden und es muss ambitionierte Mindesterreichbarkeitsstandards geben, so wie im Konzept des Anschluss Mobilität vorgesehen.

Dies ist aber ohne eine Bundesfinanzierung nicht möglich. Ähnlich wie wir beim Digitalpakt Schule den Mut hatten, veraltete Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern zu verändern, sollte uns das auch bei der öffentlichen Mobilität gelingen.

Der vzbv fordert ein Verbot von Ölheizungen für Neubauten

Was halten Sie als oberster Verbraucherschützer von Verboten fossiler Technologien?

Wie gesagt, wir brauchen gleiches Recht für alle. Man darf sich aus dem Klimaschutz nicht herauskaufen können. Klimaschutz wird nur gelingen, wenn die Leute die Maßnahmen auch als gerecht empfinden. Natürlich werden sich Millionäre immer einen anderen Konsum leisten können. Das lässt sich kaum verhindern. Aber es muss auch beim Klimaschutz Punkte geben, die für alle gelten. Ein Tempolimit auf Autobahnen oder die Frage, wie ich mein Haus dämme, wären solche Punkte.

Konkret fordert der vzbv zum Beispiel ein Verbot von Ölheizungen für Neubauten. Dadurch wird auch verhindert, dass Verbraucher die nächsten Jahrzehnte in einer Kostenfalle gefangen sind. Fossile Heizungen dürfen auch nicht mehr finanziell gefördert werden.

(Foto: ÖKO-TEST)

Wir werden auch diskutieren müssen, was die Solardachpflicht für Wohngebäude bedeutet. Wir sagen dazu, dass ist nicht vollkommen verkehrt. Aber zunächst müssen alle Hürden verschwinden, die Solaranlagen auf Dächern oder in Fassaden erschweren oder verhindern.

Wir brauchen bessere Bedingungen für die Eigenstromversorgung, für Mieterstrom, für Solarspeicher. Damit können Menschen nicht nur Objekt, sondern Subjekt der Energiewende sein. Dann bekommen wir auch eine Akzeptanz letztendlich für eine Solardachpflicht in ganz Deutschland. Und dann können wir auch gerne wieder über eine Solarpflicht für alle diskutieren.

Neue Pkw werden in nicht allzu ferner Zukunft vor allem elektrisch angetrieben werden. Die EU-Kommission hatte im Juli vorgeschlagen, dass Neuwagen ab 2035 kein CO2 mehr ausstoßen dürfen. Das ist ein ambitioniertes Ziel, aus unserer Sicht aber machbar und auch notwendig. Dies wird natürlich eine große Veränderung für viele Verbraucher bedeuten.

Bis dahin braucht es deswegen einen massiven Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur. Aber die gute Nachricht ist: E-Autos sind heute schon in vielen Fällen günstiger als Verbrenner, wenn man alle Kosten berücksichtigt, also auch Kaufanreize oder Steuervorteile. Steigende Kosten für Benzin und Diesel, zum Beispiel durch einen immer höheren Ölpreis, werden den Kostenvorteil der E-Autos weiter zunehmen lassen.

Mit einem verlässlichen öffentlichen Personennahverkehr fällt der Verzicht aufs Auto leichter
Mit einem verlässlichen öffentlichen Personennahverkehr fällt der Verzicht aufs Auto leichter (Foto: Simon Kadula / Shutterstock)

Der öffentliche Personennahverkehr muss bedarfsgerecht ausgebaut werden

Angenommen, Sie wären an den Verhandlungen der nächsten Bundesregierung beteiligt. Welche drei Dinge würden Sie den Akteuren in den Koalitionsvertrag schreiben?

Erstens eine hundertprozentige pro-Kopf-Rückerstattung eines ambitionierten CO2-Preises als sozial gerechtes Instrument des Klimaschutzes.

Zweitens einen massiven Ausbau des bedarfsorientierten, öffentlichen Personennahverkehrs als Bundesaufgabe. Ein Baustein sind hier digital vernetzte Sammeltaxis.

Drittens ein engagiertes Programm zur energetischen Gebäudesanierung und eine hälftige Aufteilung der CO2-Kosten zwischen Vermietern und Mietern.

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