Güteklassen für Obst & Gemüse: Warum Sie die Klassifizierung ignorieren können

Autor: Rebecca Welsch | Kategorie: Essen und Trinken | 16.10.2025

Das Obst und Gemüse in Supermärkten muss bestimmte Kriterien erfüllen, um im Regal zu landen.
Foto: tolem929/Shutterstock

Güteklasse I, Güteklasse II oder Extraklasse: Was bedeutet das eigentlich? Einige Lebensmittel unterliegen EU-Normen, andere dagegen werden von Supermärkten freiwillig klassifiziert. Das verstärkt die Lebensmittelverschwendung. Warum es wenig Sinn macht, auf die Klassifizierung zu achten. 

Standen Sie auch schon einmal im Supermarkt und haben sich beim Kauf von Obst und Gemüse gefragt, was es eigentlich mit den Güteklassen von Obst und Gemüse auf sich hat? Was steckt hinter den Begriffen "Klasse I" oder "Extra"? Und sagen sie etwas über Geschmack und Qualität aus?

Mindestanfordungen an Obst und Gemüse in der EU 

Nahezu alles Obst und Gemüse, das in der EU verkauft wird, unterliegt der sogenannten EU-Vermarktungsnorm für frisches Obst und Gemüse. Ziel der Normierung ist es, Verbraucherinnen und Verbraucher vor Lebensmitteln mit minderer Qualität zu schützen. 

Für den Großteil von frischem Obst und Gemüse gilt die Allgemeine Vermarktungsnorm (AVN). Sie definiert die Mindestanforderungen, die Obst und Gemüse erfüllen müssen, um in der EU verkauft zu werden. Die Einhaltung ist verpflichtend. Die Anforderungen sind: 

  • Ganz: Es dürfen keine fehlenden oder stark beschädigten Teile vorliegen; leichte Beschädigungen, Risse oder fehlende Stiele sind erlaubt, wenn Verzehrbarkeit und Haltbarkeit nicht beeinträchtigt sind.

  • Gesund: Fäulnis, Krankheiten oder gravierenden Mängel (zum Beispiel: Sonnenbrand, Kälteschäden, Druckstellen) müssen ausgeschlossen sein. Leichte Krankheitsspuren werden toleriert. 

  • Sauber: Die Lebensmittel müssen praktisch frei von Erde, Schmutz und Fremdstoffen sein; geringe produkttypische Spuren sind zulässig.

  • Frei von Schädlingen: Einzelne Insekten oder Milben sind erlaubt, aber keine Kolonien; es dürfen keine Schäden am Fruchtfleisch zu sehen sein. 

  • Frei von anomaler Feuchtigkeit: Die Ware muss trocken sein; Tau oder Kondenswasser sind zulässig, solange keine Staunässe entsteht.

  • Frei von fremdem Geruch und Geschmack: Es darf keine Verunreinigung durch andere Produkte oder Umwelteinflüsse vorhanden sein; Räucheraroma ist kein Mangel.

Allgemeine Vermarktungsnorm

Die Allgemeine Vermarktungsnorm soll sicherstellen, dass das Gemüse frei von gesundheitsschädlichen Mängeln ist. Sie stellt aber keine konkreten Anforderungen an das äußere Erscheinungsbild (wie etwa an Größe und Farbe) und enthält keine Vorgaben für Klasseneinteilungen. Auch kritische Inhaltsstoffe, wie beispielsweise die Pestizidbelastung, werden nicht überprüft. 

Das heißt: Leichte Beschädigungen oder Risse sowie leichte Krankheitsspuren, die zum Beispiel durch produkttypisches Schälen entfernt werden können, sind in der Allgemeinen EU-Vermarktungsnorm erlaubt.

So ist beispielsweise Blumenkohl, bei dem nur die Blätter oder auch der Kopf leichte Anzeichen von Mehltaubefall aufweisen, noch immer zulässig und darf verkauft werden. Die Vorraussetzung ist, dass nicht mehr als zwei Prozent des Kopfes verdorben sind. 

Spezielle Vermarktungsnorm

Die Allgemeine Vermarktungsnorm ist sozusagen die Basisanforderung. Es gibt jedoch für die elf marktstärksten Obst- und Gemüsearten nochmals die sogenannten Speziellen Vermarktungsnormen (SVN). Dazu gehören: Äpfel, grüne und ungereifte Bananen, Birnen, Erdbeeren, Gemüsepaprika, Kiwis, Pfirsiche und Nektarinen, Salate, Tafeltrauben, Tomaten sowie Zitrusfrüchte.

Diese Obst- und Gemüsesorten müssen in Güteklassen eingeteilt werden. Vor allem Größe, Form und Regelmäßigkeit der Farbe bestimmt, wo das Lebensmittel einsortiert wird.

Die Sortierung erfolgt durch den Importeur, Exporteur oder Händler. Die Einhaltung wird anschließend von den Überwachungsstellen der Bundesländer stichprobenartig kontrolliert. Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) bietet zur Kontrolle der Einhaltung der Vermarktungsnormen Checklisten an.

Güteklassen einfach erklärt

Die EU definiert die drei Güteklassen wie folgt: 

  • Klasse Extra: Das sind Erzeugnisse von höchster Qualität, sie dürfen jedoch sehr leichte oberflächliche Schalenfehler aufweisen.
  • Klasse I sind Erzeugnisse von guter Qualität, leichte Fehler sind zulässig.
  • Klasse II: Hier handelt es sich um Erzeugnisse von marktfähiger Qualität, die Fehler aufweisen, aber nicht verdorben sein dürfen. Die Ware muss verzehrfähig sein.

Güteklassen am Beispiel von Pfirsichen und Nektarinen 

Ein Beispiel zum besseren Verständnis: Pfirsiche und Nektarinen der Klasse I dürfen leichte Form-, Entwicklungs- und Farbfehler aufweisen. Auch leichte Druckstellen bis 1 cm² Gesamtfläche sowie leichte Hautfehler (≤ 1,5 cm Länge bzw. 1 cm² Gesamtfläche) sind zulässig.

Sind die Pfirsiche und Nektarinen in Klasse II eingeteilt, sind größere Abweichungen erlaubt: Formfehler und  Entwicklungsfehler (einschließlich gespaltener Steine, sofern die Stielgrube geschlossen ist und Fruchtfleisch gesund) sind in Ordnung. Auch Farbfehler und leicht verfärbte Druckstellen bis 2 cm² Gesamtfläche sind erlaubt. Hautfehler dürfen eine Länge von ≤ 2,5 cm bzw. 2 cm² Gesamtfläche haben. 

Warum Möhren manchmal trotzdem klassifiziert sind 

Kurze Zusammenfassung: Jetzt haben wir gelernt, dass nur bestimmte Lebensmittel dieser Speziellen Vermarktungsnorm unterliegen. Kartoffeln, Gurken und Spargel gehören etwa nicht dazu. Sie unterliegen nur der Allgemeinen Vermarktungsnorm, müssen aber nicht in Güteklassen eingeteilt werden. 

Sie fragen sich, warum auf den Kartoffeln, Gurken und Möhren im Supermarkt trotzdem die Klasse I oder Extra steht? Hierbei handelt es sich um eine Entscheidung der Supermärkte. Denn auf freiwilliger Basis kann Obst und Gemüse auch in die UNECE-Handelsklassen eingeteilt werden.

Die UNECE (Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen) hat Qualitätsklassen (auch Handelsklassen genannt) für Obst und Gemüse im internationalen Handel festgelegt. Die UNECE-Normen werden von Behörden und Handelspartnern weltweit genutzt, um einen standardisierten Handel zu ermöglichen. Wenn ein Obst oder Gemüse nicht den Speziellen Vermarktungsnormen der EU unterliegt, kann es in diese UNECE-Handelsklassen eingeteilt werden. 

Optisch ansprechende Ware lässt sich besser verkaufen 

Obwohl diese Einteilung nicht erforderlich ist, wenden Handelsunternehmen wie Supermärkte laut Umweltbundesamt häufig die freiwilligen UNECE-Normen an. Denn die Einteilung garantiert, dass das Obst und Gemüse optisch ansprechend ist. Es lässt sich so besser verkaufen.

Laut Deutscher Umwelthilfe dürfen Gurken, die den UNECE-Klassen Extra oder I entsprechen, beispielsweise nicht gekrümmt sein. Blumenkohl dürfe keine Farbabweichungen aufweisen und Möhren dürften keine Risse und Formfehler haben. Das Problem daran: Viele Produkte, die eigentlich essbar, aber nicht normschön sind, schaffen es gar nicht erst in den Handel. Das treibt die Lebensmittelverschwendung voran. 

Darum ist Bio oft II. Klasse

Obst und Gemüse der II. Klasse oder ohne Güteklasse sieht zwar weniger gut aus, über die Nährstoffe und beispielsweise die Pestizidbelastung gibt die Güteklasse aber keine Auskunft. Auch über den Geschmack lässt sich aufgrund der Güteklassen nichts sagen. Flecken oder untypische Formen sind nur optische Mängel – im Essen fallen sie gar nicht mehr auf. 

Ein weiteres Problem ist, dass Bio-Produkte weniger häufig in der Klasse Extra landen, da sie strengere Auflagen erfüllen müssen. So dürfen Bio-Landwirte keine chemisch-synthetische Pflanzenschutz- und Düngemittel verwenden und verzichten auf Wachstumregulatoren – oft sehen Bio-Produkte deshalb weniger normschön aus als Gemüse aus konventioneller Landwirtschaft.

Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V. (BÖLW) berichtet, dass die Vermarktung von natürlich aussehendem Obst und Gemüse durch die Vermarktungsnormen erschwert werde. Zahlen dazu, wie viel des ökologisch erzeugten Obstes und Gemüses gar nicht erst in den Handel kommt, weil es Verformungen oder Verfärbungen hat, gibt es jedoch nicht.

Deshalb sollte man Handelsklassen ignorieren

Doch nicht nur Biogemüse und -obst hat es durch die Vermarktungsnormen schwerer: Auch konventionelles Obst und Gemüse, welches nicht in Klasse I oder Klasse Extra eingeteilt werden kann, wird häufig direkt auf dem Feld gelassen.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) berichtet, dass von den jährlich 18 Millionen Tonnen verschwendeten Lebensmitteln sieben Millionen Tonnen noch auf dem Acker wieder entsorgt werden. DUH-Schätzungen zufolge wird ein Drittel der landwirtschaftlichen Produkte allein wegen optischer Kriterien weggeworfen – bei manchen Sorten sogar bis zu 40 Prozent. 

Die Einteilung in Handelsklassen führen also zur (unnötigen) Verschwendung von Ressourcen. Das Umweltbundesamt und die DUH raten deshalb dazu, sich beim Kauf von Obst und Gemüse nicht von äußerlichen Makeln abschrecken zu lassen. Der Umwelt zuliebe sollte man gezielt Obst und Gemüse ohne Klassenangaben oder der Klasse II wählen. Denn zweibeinige Möhren, krumme Gurken oder Äpfel mit kleinen Schalenfehlern schmecken nicht schlechter als optisch einwandfreie Produkte. 

Auch wir von ÖKO-TEST wollen Verbraucherinnen und Verbraucher dazu aufrufen, zu weniger perfektem Obst und Gemüse zu greifen. "Es ist absurd, dass essbare Lebensmittel beispielsweise auf dem Feld vergammeln, nur weil sie nicht schön genug aussehen." Damit retten Sie nicht nur Lebensmittel vor der Verschwendung, sondern sorgen auch dafür, dass gegebenenfalls zukünftig Ressourcen wie Energie und Wasser geschont werden. Am Ende richtet sich das Angebot auch nach der Nachfrage.

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