Mikroplastik: Woher es kommt und warum es der Umwelt schadet

Autor: Jürgen Steinert/Katja Tölle/lew | Kategorie: Bauen und Wohnen | 05.10.2019

Mikroplastik ist überall: Nicht nur in Flüssen und Meeren, auch in unserer Nahrung.
Foto: David Pereiras/Shutterstock

Mikroplastik ist eine enorme Umweltbelastung – und es ist überall: in Flüssen, in den Meeren, in Böden und selbst in der Luft, die wir atmen. Was verbirgt sich dahinter?

Die Sache mit dem Menschen und der Umwelt ist wie ein Bumerang: Es kommt alles zurück. Jagen wir jahrzehntelang Treibgase in die Luft, erwärmt sich das Klima und lässt unsere Ernten verdorren. Müllen wir jahrzehntelang die Meere mit Plastik zu, fressen es die Fische und es landet irgendwann wieder auf unseren Tellern. Und zwar in Form von Mikroplastik.

Was ist Mikroplastik?

Mikroplastik: Das sind "feste, wasserunlösliche Kunststoffpartikel, die fünf Millimeter und kleiner sind" – so lautet die Definition des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP). Dabei unterscheiden die Experten zwischen primärem Mikroplastik, das Hersteller Produkten bewusst zufügen, wie etwa Kunststoffpartikel in Peelings, und sekundärem Mikroplastik. Letzteres entsteht beim Zerfall von Plastik, also wenn sich Plastikverpackungen langsam zersetzen, oder beim Abrieb von Schuhsohlen und Autoreifen etwa.

Woher kommt Mikroplastik?

Primäre Mikropartikel entstehen aus:

  • Strahlmitteln zum Entgraten von Oberflächen,
  • Wasch-, Reinigungs- und Pflegemitteln in Gewerbe und Industrie,
  • kosmetischen Produkten,
  • mikronisierten Wachsen aus Kunststoff in technischen Anwendungen.

Sekundäre Mikropartikel entstehen aus:

  • der Fragmentierung von Kunststoffabfällen,
  • synthetischen Chemiefasern aus Textilien,
  • beim Transport verlorengegangenen Kunststoffpellets,
  • und aufgrund von Reifenabrieb.

Allerdings sind Kunststoffe in der Umwelt nicht nur in ihrer festen Form ein Problem. Es gibt etwa auch flüssige, lösliche synthetische Polymere, die Hersteller etwa Kosmetika oder Waschmitteln in gelartiger oder flüssiger Konsistenz zufügen. Diese Kunststoffverbindungen gelangen beim Duschen, Baden oder Schwimmen über das Wasser in die Umwelt. Das ist problematisch, weil sie, je nach Verbindung, mehr oder weniger schwer abbaubar sind.

Wie gelangt Mikroplastik ins Meer?  

Weil Hersteller Mikroplastik ganz bewusst in Produkten wie Wasch- und Reinigungsmitteln, Funktionskleidung und Peelings einsetzen, gelangen die Minipartikel über das Abwasser in die Meere. Auch Plastikabfälle, die nicht richtig entsorgt werden, landen in den Ozeanen. Diese werden von Wind und Wellen zerrieben, sodass Mikroplastik entsteht. Die Partikel werden dort von Schalentieren und Fischen aufgenommen.

Wir werfen Plastik weg und spülen es herunter. Mit unserer Nahrung kommt es zurück. Pro Woche essen Menschen bis zu fünf Gramm Mikroplastik.
Wir werfen Plastik weg und spülen es herunter. Mit unserer Nahrung kommt es zurück. Pro Woche essen Menschen bis zu fünf Gramm Mikroplastik. (Foto: ÖKO-TEST; Rich Carey/Shutterstock )

Übersicht: Mikroplastik in der Umwelt 

Wir haben interessante Fakten zu Plastik gesammelt: 

  • 3,2 Millionen Tonnen Mikroplastik gelangen laut Weltnaturschutzunion (IUCN) jedes Jahr in die Umwelt.
  • 77 Tonnen Mikroplastik geraten jedes Jahr allein in Deutschland aus Kosmetika, Putz- und Waschmitteln ins Abwasser. Hinzu kommen
  • 46.900 Tonnen lösliche Polymere – so das Ergebnis einer Studie des Fraunhofer-Instituts.
  • 37,6 Kilogramm Plastikmüll verursacht jeder Deutsche im Durchschnitt pro Jahr laut Statista. In Schweden sind es nur 24 Kilo. 
  • 15,6 Prozent der in Deutschland anfallenden Kunststoffabfälle wurden laut dem Plastikatlas von Nabu und Heinrich-Böll-Stiftung 2017 recycled – mehr nicht. Von wegen Recyclingweltmeister.

So viel Mikroplastik essen Menschen

Wir essen Plastik, wir trinken Plastik und wir atmen Plastik ein. Laut einer aktuellen Studie der australischen University of Newscastle im Auftrag des World Wide Fund for Nature (WWF) nimmt der Mensch pro Woche bis zu fünf Gramm Mikroplastik auf. Zur Einordnung: Das entspricht ungefähr dem Gewicht einer Kreditkarte.

Österreichische Forscher haben nun auch erstmals nachgewiesen, dass Plastik in den Mägen von Menschen steckt. Genauer gesagt: Sie haben Kot untersucht und sind fündig geworden. Zwar haben die Forscher nur den Stuhl von acht Probanden untersucht – das ist alles andere als repräsentativ – , aber es steckten in jeder Probe winzige Plastikteilchen. Und davon nicht wenig, im Mittel waren es 20 Partikel pro zehn Gramm Kot.

Die Pilotstudie zeigt, "dass unser Alltag, in dem Plastik eine wichtige Rolle spielt, Spuren in unserem Körper hinterlässt", sagt Dr. Bettina Liebmann, Expertin für Mikroplastik am österreichischen Umweltbundesamt. Dieses hat die Pilotstudie gemeinsam mit Forschern der Universität Wien durchgeführt.

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Wo steckt Mikroplastik drin?

Plastik ist zu einem globalen Umweltproblem geworden. Und es steckt in vielen Produkten. Einige Beispiele:

  • Mikroplastik in Wasser: Die Kunststoffpartikel sind weltweit in abgefülltem Trinkwasser nachweisbar. Forscher gehen davon aus, dass es sich unter anderem aus Kunststoffverpackungen herauslöst. Auch Leitungswasser ist nicht frei von den Partikeln. In 81 Prozent von 159 weltweit gezogenen Proben, fanden Forscher Mikropartikel.
  • Plastik in Kosmetik: Kosmetikprodukte beinhalten häufig synthetische Polymere, alltagssprachlich bezeichnen wir diese als lösliches Plastik. So war beispielsweise knapp die Hälfte der Produkte in unserem Haarkur-Test mit löslichem Plastik belastet. Kritik üben wir auch an After-Sun-Produkten im Test: Viele der 29 Lotionen enthielten synthetische Polymere. Auch im Test Duschgele für Männer und im Sensitiv-Sonnencreme-Test setzten Hersteller lösliches Plastik ein. Am bekanntesten aber sind Polyethylenkrümel, die in Peelings verwendet werden. Sie sollen die oberste Hautschicht sanft abschmirgeln.
  • Plastik in Zahnpasta: In unserem großen Zahnpasta-Test fanden wir synthetische Polymere beispielsweise in einigen Spezialcremes für weiße Zähne.
  • Plastik in Waschmitteln: Nur vier Hersteller in unserem Waschmittel-Test verzichteten auf lösliches Plastik in ihren Produkten. Es heißt, es gebe keine Alternative zu synthetischen Polymeren in Vollwaschmitteln. Jedoch kamen insgesamt vier von 26 Produkten im Test ohne Kunststoffverbindungen aus.

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In Kosmetikprodukten steckt häufig lösliches Plastik.
In Kosmetikprodukten steckt häufig lösliches Plastik. (Foto: LStockStudio/Shutterstock)

Mikroplastik in Kosmetik

Es ist eine kleine Verbesserung in Sicht: Im Rahmen des nationalen Kosmetikdialogs hat die Kosmetikindustrie zugesagt, Mikrokunststoffpartikel bis 2020 durch alternative Stoffe zu ersetzen. Flüssige oder wasserlösliche synthetische Polymere sind hingegen kein Thema des nationalen Kosmetikdialogs.

"Da sich die wissenschaftliche Kritik an Mikroplastik vorrangig auf feste Kunststoffpartikel bezieht, gelten die vereinbarten Ausstiegspläne für feste Kunststoffpartikel und nicht für gelöste Kunststoffe", erklärt Birgit Huber vom Industrieverband Körperpflege und Waschmittel (IKW). "Nach anerkannter Expertenmeinung von Behörden und Industrie tragen gelöste Polymere anders als feste Kunststoffpartikel nicht zu einer Verschmutzung der Meere bei."

Dagegen gibt Dr. Jutta Kerpen vom Institut für Umwelt- und Verfahrenstechnik der Hochschule Rhein-Main zu bedenken, es sei bekannt, dass diese Verbindungen zum Teil sehr schwer oder gar nicht biologisch abbaubar sind und damit über das Abwasser und die Kläranlagen in die Umwelt gelangen können.

Wie können Verbraucher Mikroplastik erkennen?

Umweltbelastende lösliche Plastikverbindungen in Kosmetika erkennen Sie in der Zutatenliste an Begriffen wie Acrylate, Carbomer, Crosspolymer, Copolymer oder Polybutene. Tipp: Wenn Sie zu zertifizierter Naturkosmetik greifen, liegen Sie in aller Regel richtig. Denn die Zertifizierungskriterien verbieten lösliches Plastik in Naturkosmetik.

Synthetische Polymere sind auch auf Waschmitteln deklariert, allerdings verbergen sie sich hinter komplizierten chemischen Bezeichnungen. Deshalb ist es für den Verbraucher nicht leicht zu erkennen, ob sie enthalten sind oder nicht.   

Sie wollen die Umwelt weniger mit Mikroplastik belasten? Wir haben Tipps für Sie:

Wie gefährlich ist Mikroplastik?

Die Forschung steht erst ganz am Anfang. Es gibt aber erste Hinweise darauf, dass die dauerhafte Aufnahme von Plastik alles andere als harmlos für den Menschen ist. Der erste: Das Plastik, das wir essen und trinken, ist nicht einfach nur Plastik. Mit den Partikeln nehmen wir auch Chemikalien auf, weil viele Kunststoffe Weichmacher, Stabilisatoren oder Flammschutzmittel als Zusätze enthalten.

Außerdem können die kleinen Plastikteilchen auch Schadstoffe binden, die längst verboten, aber immer noch in der Umwelt sind – krebserregende Chlorverbindungen wie polychlorierte Biphenyle (PCB) etwa. Mikroplastik wirkt wie ein Magnet für Schadstoffe. Heißt: Wer viel Plastik isst, isst auch viele Schadstoffe.

Der zweite Hinweis: Erste Forschungsarbeiten zum Thema deuten auf Entzündungsreaktionen im Körper hin. Eine dieser Studien führt das deutsche Umweltbundesamt (UBA) aktuell durch. Die Forscher untersuchen "humanrelevante Zelllinien" aus Haut, Lunge und Leber. "Humanrelevant" heißt, dass diese tierischen Zellen den menschlichen sehr ähnlich sind. Die ersten Zwischenergebnisse der Kurzzeittests: Die Plastikpartikel dringen in die Zellen ein und verursachen dort Entzündungsreaktionen – je mehr Partikel und um so kleiner die Partikel, desto stärker die Reaktion.

Plastikmüll ist ein großes Problem für die Umwelt.
Plastikmüll ist ein großes Problem für die Umwelt. (Foto: ARMIAG/Shutterstock)

"Diese Ergebnisse beinhalten noch keine Aussage darüber, ob dies auch einen schädlichen gesundheitlichen Effekt nach sich zieht", betont Jochen Kuckelkorn vom UBA. Denn: "Entzündungsreaktionen gehören zu den ersten Maßnahmen des Körpers gegen die Fremdkörper". Aber: Lang anhaltende Entzündungen können Leberzirrhose verursachen – und Krebs. Ob Gefahren wie diese drohen, sollen nun Langzeittests zeigen.

Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erforscht mögliche Auswirkungen von Mikroplastik auf den Menschen. Aktuell meldet die Behörde: "Keine Hinweise auf Darmschädigungen durch Mikroplastik aus Polystyrol im Labor." Zwar seien sehr kleine Plastikpartikelchen "vereinzelt in den untersuchten Darmepithelzellen nachzuweisen" gewesen, heißt es. Aber schädigende Wirkungen habe man nicht festgestellt. Das BfR stellt aber selbst fest: "Die Forscherinnen und Forscher weisen ausdrücklich darauf hin, dass weiterhin große Datenlücken existieren, was die Größe und das Material von Mikroplastik betrifft."

Und trotzdem gibt sich die Behörde, wie so oft, gelassen. "Nach dem derzeitigen Stand des Wissens ist nicht davon auszugehen, dass von den Plastikpartikeln in Lebensmitteln gesundheitliche Risiken für den Menschen ausgehen", heißt es dort. Der "derzeitige Stand des Wissens" ist allerdings eher ein Stand des Unwissens – es gibt viel zu wenige verlässliche Studien zu den Auswirkungen von Mikroplastik auf den Menschen. Das räumt die Behörde ja sogar selbst ein.

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Mikroplastik: Gefahr für Meerestiere

Meerestiere nehmen Mikroplastik auf. Und klar ist, dass sie dieses nicht wieder komplett ausscheiden. Denn: Untersuchungen haben gezeigt, dass zwar die größte Menge der in Tieren nachgewiesenen Plastikteilchen im Magen-Darm-Trakt steckt. Forscher haben aber auch im Blut, in der Lymphflüssigkeit und in der Leber von Tieren Plastikteilchen nachgewiesen.

Und einige reagieren empfindlich darauf: Bei Austern etwa litt in einer Untersuchung die Fortpflanzungsfähigkeit, in einer anderen starben Würmer an den Umweltgiften, die sich an den Plastikteilchen abgelagert hatten. Miesmuscheln zeigten starke Entzündungsreaktionen, Krabben und Krebse hatten weniger Energie und brüteten weniger Eier aus, auch bei ihnen litt also die Fortpflanzungsfähigkeit.

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