Baby-led Weaning: Wenn Babys selbst bestimmen, was sie essen

Ratgeber Kinder und Familie 2019 | Autor: Katja Tölle | Kategorie: Kinder und Familie | 22.09.2019

Baby-led Weaning: Wenn Babys selbst bestimmen, was sie essen
Foto: Pixabay/csifferd

Beim Stillen bestimmt das Kind selbst, wie oft und wie viel es trinkt – so kann es auch bleiben, wenn Eltern ihr Kind zufüttern wollen. Und zwar mit Baby-led Weaning. Was dahinter steckt.

Baby-led Weaning oder Brei? Wenn es um die Einführung der Beikost geht, haben Eltern zwei Möglichkeiten. In Deutschland ist vor allem das Füttern mit Brei beliebt, in England dagegen wird Baby-led Weaning genauso empfohlen wie Breikost.

Baby-led Weaning: Was ist das? 

Der Begriff bedeutet übersetzt "babygeleitete Entwöhnung". Das heißt: "Die Babys bestimmen also schon mit Einführung der Beikost selbst, was und wie viel sie essen", sagt Aleyd von Gartzen, Beauftragte für Stillen und Ernährung beim Deutschen Hebammenverband. Das ist also ähnlich wie beim Stillen. Auf den Teller kommen statt Brei mundgerechte Stückchen von gedünsteten Karotten, Brokkoli oder gekochten Kartoffeln, aber auch gegarte Apfel- und Birnenschnitze oder Melone und Banane, die das Baby selbst mit den Fingern zum Mund führt. Die Idee ist, dass das Kind so ein von Hunger und Sättigung geleitetes Essverhalten beibehalten kann.

Anfangs steht allerdings nicht das Sattwerden im Vordergrund, sondern das Erforschen der Nahrung. Muttermilch oder Fläschennahrung sind also weiterhin die Hauptnahrungsquelle. 

Bleibt die Frage: Können Babys selbst bestimmen, was sie essen wollen? "Wenn man sie lässt, ja", sagt Aleyd von Gartzen. "Wenn sie geboren werden und bei der Geburt möglichst wenig gestört werden, also interventionsarm auf die Welt kommen, dann finden sie selbst den Weg zur Brust und holen sich die Nahrung, die sie brauchen." Baby-led Weaning sei nichts anderes, als genau diese Kompetenz zu fördern und darauf zu vertrauen.

Baby-led Weaning als Beikost-Methode: Ab wann? 

Babys "müssen mit nur wenig Unterstützung sitzen können – das ist klar. Sie sollten außerdem mindestens sechs Monate alt sein", sagt Aleyd von Gartzen. Bis dahin sollten Kinder, wie es von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) offiziell empfohlen wird, voll gestillt werden. Auch die Hand-Mund-Auge-Koordination der Babys müsse schon funktionieren. "Das heißt, sie sollten in der Lage sein, etwas zu greifen und sich in den Mund zu führen."

Breifreie Beikost: Diese Lebensmittel sind tabu  

Im Grunde eignet sich alles, was die Babys mit Zunge und Gaumen selbst zerdrücken können, also weiche oder weichgekochte Lebensmittel. Auf keinen Fall sollten Eltern ihren Babys Nüsse oder feste Beeren wie Trauben oder Blaubeeren geben. Entkernte Kirschen eignen sich genauso wenig wie anderes hartes Obst und Gemüse. Die Kleinen können sich an diesen harten Lebensmitteln verschlucken und im schlimmsten Fall ersticken.

Eine umfangreiche Studie aus Neuseeland hat aber gezeigt, dass BLW-Kinder sich nicht per se häufiger verschlucken als Breikinder. Oder genauer: Mit sechs Monaten verschlucken sie sich häufiger, mit acht Monaten seltener als Breikinder. Die häufigste Erstickungsursache ist laut Aleyd von Gartzen übrigens nicht feste Nahrung, sondern Bonbons oder Kaugummi. 

Selbstbestimmte Ernährung: Bekommt das Kind alle Nährstoffe? 

Laut Aleyd von Gartzen sollen Eltern ihrem Kind vertrauen. "Wenn Sie Ihrem Kind gesunde und ausgewogene Nahrungsmittel anbieten, dann holt es sich die Nährstoffe, die es braucht." Außerdem bedeute Baby-led Weaning nicht gleich Abstillen. Das sei ein langer Prozess.

Babys würden über die Muttermilch weiter die allermeisten Nährstoff bekommen. Nur der Bedarf an Eisen und Zink werde größer. "Mit der Auswahl geeigneter Lebensmittel kann man die Zufuhr aber gut steuern", erklärt Aleyd von Gartzen. 

Vor- und Nachteile von Baby-led Weaning 

Beikosteinführung ohne Brei: Was für Baby-led Weaning spricht. 

  • Die Babys patschen, tasten, mampfen, schauen, riechen – und erfahren das Essen mit allen Sinnen. Das macht Spaß. 
  • Babys können selbst bestimmen, was und wie viel sie essen. 
  • Die Familie kann gemeinsam essen – und es ist nicht dauernd einer damit beschäftigt, das Kind zu füttern.

Es gibt aber auch Argumente, die gegen die Baby-led Weaning-Methode sprechen. 

  • Mit Essen spielt man: Es fliegt erst mal ziemlich viel Essen auf den Boden. Nachhaltig ist das nur, wenn man Haustiere hat.
  • Auch wenn das Würgen ein natürlicher Reflex ist und das Baby damit gar kein Problem hat: Das muss man aushalten können.
  • Dass das Baby mit allen Nährstoffen versorgt ist, muss man genauer im Blick haben als bei der Breikost.

Baby-led Weaning in der Kritik 

Der wohl prominenteste Kritiker des Baby-led Weanings ist der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Er hat vor zwei Jahren Alarm geschlagen – es könne zu Nährstoffdefiziten kommen, wenn Babys allein bestimmten, was und wie viel sie essen. "Wenn im zweiten Lebenshalbjahr der Energie- und Nährstoffbedarf des Säuglings steigt, reicht Muttermilch oder Säuglingsmilch allein nicht mehr aus", sagt Dr. Josef Kahl, Pressesprecher des BVKJ.

Wenn Babys dann selbst die Lebensmittel aussuchen, die sie essen, könne es zum Beispiel sein, dass sie zu wenig Eisen aufnehmen. Auch das Forschungsdepartment Kinderernährung (FKE) der Ruhr Uni Bochum sieht alleiniges Fingerfood für Babys kritisch.

Dieser klassische Beikostplan wird Eltern empfohlen 

Der Beikostplan des Forschungsdepartments Kinderernährung (FKE), den auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) unterstützt, empfiehlt Brei ab dem fünften, spätestens ab dem siebten Lebensmonat. Beginnen sollen Eltern demnach mit einem Gemüse, etwa Möhre oder Pastinake. Jeweils eine Woche später sollen die Eltern erst Kartoffeln, dann Fleisch und Öl beimischen.

Nach etwa vier Wochen bekommt das Baby so seinen ersten vollwertigen Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei. Das Fleisch können Eltern durch eisenhaltiges Getreide, etwa Hafer, ersetzen. Darauf folgt der zweite Brei – aus Milch, Getreide und etwas Obst. Und nach wiederum etwa einem Monat der dritte aus Getreide, Wasser und Obst. Ab etwa dem zehnten Monat können die Kinder dann langsam, aber sicher am Familientisch mitessen.

FKE wie BVKJ betonen beide, dass Breikost nicht ausschließe, dass Kinder zusätzlich auch Brot, Gemüse oder Obststückchen bekommen. So könnten die Vorteile der Ernährung nach Plan mit Brei (ausreichende Energie- und Nährstoffzufuhr) mit denen des Baby-led Weanings (frühzeitige Gewöhnung an sensorisch vielfältige Lebensmittel) einander ergänzen.

Dieser Beitrag ist im Ratgeber Kinder und Familie 2019 erschienen. Hier können Sie diesen als e-Paper erwerben.

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