Die Geschichte des Oxymels als traditionelles Heil- und Stärkungsmittel reicht bis in die Antike zurück. "Oxymel gibt es seit über 4000 Jahren. Es wurde schon von den Ägyptern beschrieben und von den Griechen benutzt. Hippokrates soll damit Wunden geheilt haben", berichtet Professor Johannes Georg Wechsler, Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie in München. Auch im Mittelalter sei das Mittel durch die Rezepturen von Hildegart von Bingen angewendet worden sein.
"Aber warum wurde es eingesetzt? Weil es im Prinzip nichts anderes gab", sagt der Ehrenpräsident des Berufsverbandes Deutscher Ernährungsmedizinerinnen und Ernährungsmediziner. Verwendet wurde das Oxymel etwa gegen Fieber, Atemwegserkrankungen, zur Unterstützung der Verdauung, Wundheilung oder zur allgemeinen Vitalisierung.
Nachdem es für einige Zeit in Vergessenheit geriet, erlebt das Oxymel heute eine regelrechte Renaissance – Wechsler spricht von einem "Riesengeschäft". Doch woraus besteht es konkret und wofür wird es heute angewendet?
Für was soll Oxymel gut sein?
Der Begriff Oxymel setzt sich aus den griechischen Wörtern "oxy" (sauer) und "meli" (Honig) zusammen. Es lässt sich daher als "Sauerhonig" oder "sauerer Honig" übersetzen. Das Wort deutet auf seine Grundzutaten hin: Ein heutiger Oxymel besteht hauptsächlich aus Essig – meistens Apfelessig – und Honig, der mengenmäßig häufig den größten Anteil ausmacht.
Hinzu kommen oft verschiedene Kräuter, Blüten, Früchte oder Gewürze, die einige Wochen darin ausgezogen und dann entfernt werden. So entsteht ein süß-säuerlicher, alkoholfreier Kräuterauszug.
Ein Oxymel kann man entweder kaufen oder selbst herstellen. Dem Gemisch werden je nach Zusammensetzung verschiedene positive Effekte zugeschrieben. Es soll unter anderem:
- das Immunsystem stärken
- Entzündungen hemmen
- Erkältungssymptome lindern, vor allem Husten
- das Herz-Kreislauf-System kräftigen
- die Verdauung verbessern
Kräuter sollen Wirkspektrum erweitern
Die zugesetzten Kräuter sollen für bestimmte Effekte sorgen. Rezepte mit zum Beispiel Ingwer, Kurkuma und Zitrone sollen etwa das Immunsystem stärken – und Salbei, Thymian und Spitzwegerich bei Atemwegsbeschwerden helfen. Kamille wiederum soll den Magen-Darm-Trakt beruhigen und Lavendel den Schlaf fördern – um nur einige Beispiele zu nennen.
Wie trinkt man Oxymel?
In der Regel wird dazu geraten, ein bis drei Esslöffel Oxymel rund 30 Minuten vor dem Frühstück einzunehmen – entweder pur oder verdünnt in einem Glas Wasser oder Tee. Andere Anbieter empfehlen, ihn bei Bedarf bis zu dreimal täglich vor den Mahlzeiten zu trinken. Den Auszug könne man als "Kur" für drei bis sechs Wochen einnehmen, oder regelmäßig über das ganze Jahr hinweg.
Wissenschaftliche Belege für Oxymel-Wirkung fehlen
Nun stellt sich die Frage: Was sagt die Wissenschaft zu den nachgesagten positiven Wirkweisen? "Wenn die alle Wirklichkeit wären, wäre Oxymel ja ein Allheilmittel. Das ist es aber nicht. Für Oxymel gibt es keine gesicherte gesundheitsfördernde Wirkung", betont Gastroenterologe Johannes Georg Wechsler, der 20 Jahre lang Chefarzt der Inneren Abteilung im Krankenhaus Barmherzige Brüder in München war und nun in seiner Privatpraxis tätig ist.
Generell halte er es für fragwürdig, dass die Mischung aus Essig und Honig fast schon als eine Art Medikament verkauft wird. "In der Medizin spielt Oxymel keine relevante Rolle. In allen Leitlinien wird es nicht als Therapeutikum empfohlen, weil keine gesicherte Wirkung nachgewiesen wurde."
Es gebe keine hochwertige, randomisierte Doppelblind-Studie, die die vermeintlichen Effekte beweisen würde. Honig und Apfelessig sind dem Ernährungsmediziner zufolge prinzipiell keine Wundermittel. Sie können aber ein Teil einer normalen Ernährung sein – in ihrer üblichen Verwendungsart eingesetzt, nicht gemischt.
Honig besteht vor allem aus Zucker
Gut zu wissen: Honig wird oft als gesundes Naturprodukt beworben, das mit antibakteriellen, antiviralen und entzündungshemmenden Eigenschaften punkten könne. Dabei besteht Honig zum Großteil aus Zucker – genauer gesagt, zu etwa 80 Prozent. Dazu kommen etwa 17 Prozent Wasser und drei Prozent wertgebende Nährstoffe wie beispielsweise Aminosäuren, Vitamine, Mineralstoffe oder Flavonoide.
Doch damit die enthaltenen Nährstoffe gesundheitlich ins Gewicht fallen würden, müsste mal viel Honig essen – was dann auch bedeutet, dass man automatisch viel Zucker isst. Und das ist nicht gerade empfehlenswert.
In Studien nachgewiesen ist allerdings, dass Honig bei Wundheilung helfen kann. Auch bei Husten kann er Linderung schaffen, weil er sich wie ein Film auf die Schleimhäute legt.
Oxymel als überflüssige Zucker-Quelle
Auch deshalb sind Oxymels kritisch zu sehen: Sie bestehen zum Großteil aus Honig, und damit aus Zucker. Wer etwa ein Basisrezept zum Selbermachen sucht, findet oft Gemische mit 300 Gramm Honig und 100 Gramm Apfelessig. Hinzu kommt, dass sie in der Regel täglich, teilweise sogar mehrfach, eingenommen werden sollen – je ein bis drei Esslöffel.
Somit besteht das Risiko, mit Oxymels unnötigen Zucker aufzunehmen, während die angepriesenen Wirkungen nicht wissenschaftlich erwiesen sind. Generell sollte man Honig nur in Maßen verzehren. Professor Johannes Georg Wechsler rät zu maximal einem Teelöffel pro Tag.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Erwachsenen, täglich insgesamt nicht mehr als 25 bis 50 Gramm, also etwa sechs bis zwölf Teelöffel, freien Zucker zu verzehren. Generell gilt: je weniger Zucker, desto besser.
Keine Belege für die Wirkung von Apfelessig auf den Darm
Apfelessig steht wiederum unter anderem im Ruf, mit seiner antibakteriellen Wirkung eine gesunde Darmflora zu fördern und das Immunsystem stärken zu können. Auch für diese Eigenschaften werden Oxymels häufig beworben.
Konkret soll die im Apfelessig enthaltene Essigsäure schädliche Darmbakterien bekämpfen und so den Aufbau einer gesunden Darmflora unterstützen können. Auch die durch Fermentation entstandenen Milchsäurebakterien sollen für ein gesundes Milieu im Darm sorgen.
Doch laut Wechsler gebe es für diese vermeintlichen Effekte des Apfelessigs auf den menschlichen Darm keine gesicherten wissenschaftlichen Belege. Er geht davon aus, dass die Essigsäure und die Bakterien vielmehr von der Magensäure zerstört werden und somit gar nicht erst im Darm ankommen.
Anders als zum Beispiel beim Naturjoghurt: Darin stecken deutlich mehr wertvolle Milchsäurebakterien. Damit erhöht sich die Chance, dass welche davon im Darm landen.
Lieber Naturjoghurt essen statt Oxymel trinken
Wer etwas für seine Darmgesundheit tun möchte, sollte somit dem Gastroenterologen zufolge lieber regelmäßig Naturjoghurt essen, statt zu einem Oxymel zu greifen oder täglich ein Glas verdünnten Apfelessig zu trinken, wie es manchmal empfohlen wird.
Damit "genug" Milchsäurebakterien im Darm landen, sollte man mindestens 100 Milliliter Joghurt essen. Das enstspricht ca. 100 Gramm. Zur Veranschaulichung: Ein Becher Naturjoghurt im Handel enthält oft 100 bis 150 Gramm.
Mit viel Obst und Gemüse das Immunsystem stärken
Fest steht: Da es keine aussagekräftigen Belege für die Wirkung des Oxymels gibt, ist es wenig sinnvoll, ihn einzunehmen. Für starke Abwehrkräfte ist laut Facharzt Johannes Georg Wechsler vor allem eins wichtig: eine abwechslungsreiche, pflanzenbasierte und zuckerarme Ernährung. "Wer das Immunsystem stärken will, braucht Antioxidantien", so Wechsler. Diese seien in Obst und Gemüse reichlich zu finden – insbesondere in Beeren, Kohlgemüse, aber auch in Knoblauch, Zwiebeln und Kräutern.
Eine essenzielle Rolle spielen zudem Omega-3-Fettsäuren, die etwa Nüsse und Fisch in großen Mengen liefern. Rotes Fleisch sollte dagegen nur maximal einmal pro Woche auf den Tisch kommen. "Eine gesunde Ernährung ist die Basis, um die körpereigenen Abwehrkräfte zu stärken", so Wechsler. Daneben gelte es, möglichst auf Alkohol und Nikotin zu verzichten sowie Schadstoffe generell zu vermeiden.
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