Ob Beeren, Äpfel, Kirschen, Pflaumen: Viele Obstbäume und Sträucher tragen im Spätsommer üppige Früchte. Bei umzäunten Gärten ist klar, dass es sich in der Regel um Privatbesitz handelt. Manchmal ragen aber die Zweige samt Frucht über oder durch einen Zaun. Dann ist die Verlockung oft groß und es stellt sich die Frage: Darf man das Obst einfach pflücken?
Die klare Antwort lautet: Nein, zumindest nicht ohne Einwilligung. "Obstbäume oder -pflanzen, deren Früchte über einen Zaun hinaus oder in einen Weg hineinragen, stehen zivilrechtlich im Eigentum desjenigen, auf dessen Grund die Pflanze steht", erklärt Henning J. Bahr, Fachanwalt für Agrar-, Verwaltungs- und Migrationsrecht aus Osnabrück.
Wer Obst pflückt, kann Diebstahl begehen
Wird nun doch Obst von einem überragenden Ast gepflückt, könne das den Tatbestand des "Diebstahls geringwertiger Sachen" (§ 248a des Strafgesetzbuches, StGB) erfüllen. Das heißt, der Diebstahl wird als "geringwertig" eingestuft, wenn der Wert des Obstes maximal 50 Euro beträgt.
"Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Antragsdelikt, das nur auf ausdrücklichen Strafantrag verfolgt wird", betont Bahr, der auch Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Agrarrecht im Deutschen Anwaltverein ist. In anderen Worten: "Wo kein Kläger, da kein Richter", so der Rechtsanwalt.
Dasselbe Prinzip gilt für kultiviertes Obst auf öffentlichen Flächen, die der Kommune gehören. "Wenn die Kommune eine Ernte durch Passanten nicht verfolgt, drohen auch keine sonstigen Folgen", erläutert Henning J. Bahr. Kommt es aber doch zu einer Anzeige, kann das eine Geldstrafe oder theoretisch sogar eine Freiheitstrafe von bis zu fünf Jahren zur Folge haben.

Bei Streuobstwiesen nicht einfach selbst bedienen
Auch bei Streuobstwiesen darf man sich nicht einfach selbst bedienen, auch wenn sie nicht eingezäunt sind. Sie gehören oft Privatpersonen, Vereinen oder einer Kommune. Und die Besitzerinnen und Besitzer können selbst entscheiden, ob sie eine Ernte erlauben oder nicht. Das gilt auch für Fallobst, wie der Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV) auf seiner Webseite informiert.
"Wer sich rechtswidrig fremdes Eigentum aneignet, wird damit rechnen müssen, dass der Eigentümer sich wegen des Obstes oder wegen Schadenersatz meldet oder die Polizei verständigt", betont Fachanwalt Henning J. Bahr. Bei Zweifeln, ob die "Objekte der Begierde" einem anderen gehören oder nicht, sollte man sich also eher gegen das Pflücken oder Aufsammeln entscheiden.
Obst pflücken am Wegesrand: Auf gelbes Band achten
Wer aber ein gelbes Band sieht, darf zugreifen. Es signalisiert: Von diesem Baum dürfen die Früchte ohne Rücksprache und für den eigenen Bedarf gepflückt werden. Auch das heruntergefallene Obst darf kostenlos aufgelesen werden. Wichtig: Man sollte sich respektvoll verhalten und nur so viel mitnehmen, wie man auch tatsächlich selbst verwerten kann.
Dahinter steckt die Ernte-Aktion "Gelbes Band", die als Teil der bundesweiten Strategie "zu gut für die Tonne" ins Rollen gebracht wurde. Viele Kommunen, Landwirte und Landwirtinnen sowie Privatpersonen nehmen daran teil, um ein Zeichen gegen die Lebensmittelverschwendung zu setzen. Schließlich können Obstbaumbesitzer und -besitzerinnen oft nicht alle Früchte selbst sammeln und verarbeiten.
Das Ernte-Projekt soll außerdem die Aufmerksamkeit auf regionales Streubobst als nachhaltiges Lebensmittel lenken.
Auch Bäume am Straßenrand sind meist nicht herrenlos
Und was mit Bäumen oder Sträuchern, die am Straßenrand stehen? Auch diese sind meist nicht herrenlos. Sie gehören oft der Kommune, dem Kreis, dem Land oder dem Bund. Sie können aber zum Beispiel auch verpachtet sein. Letztendlich muss man damit rechnen, dass jedes Grundstück jemandem gehört.
Aber: Bei Grundstücken, die im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, zum Beispiel an Wegen oder in öffentlichen Parkanlagen, wird man ohne Umzäunung von einer "konkludenten", also stillen Zustimmung zur Mitnahme der Früchte zumindest im Umfang des Handstraußprivilegs ausgehen dürfen, erläutert der Fachanwalt für Argrarrecht, Henning J. Bahr.
Wann gilt das Handstraußprivileg?
Zur Erklärung: Auf Grundstücken in der freien Landschaft oder im Wald, die nach dem Bundeswaldgesetz und dem Bundesnaturschutzgesetz von jedermann frei betreten werden dürfen – und immer dann, wenn nicht anzunehmen ist, dass es sich um einen bewussten Anbau handelt – gelte das sogenannte Handstraußprivileg gem. § 39 Abs. 3 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG).
"Danach dürfen Pilze, Beeren und Früchte, Kräuter, Blumen, Gräser und Farne etc. in geringer Menge und für den persönlichen Bedarf gesammelt und mitgenommen werden", so Bahr. Das heißt, es ist erlaubt, mitzunehmen, was man unmittelbar und mit einfachen Mitteln wie einem Korb transportieren kann, beziehungsweise, was in etwa eine Hand passt.
Davon ausgenommen seien unter anderem Pflanzen, die unter Naturschutz stehen oder forstwirtschaftlich angebaut und/oder bewirtschaftet werden. Wer zu gewerblichen Zwecken sammeln will, benötige eine Genehmigung.
Wichtig: Von Früchten, die an vielbefahrenen Straßen wachsen, sollte man lieber die Finger lassen. Sie könnten mit Abgasen belastet sein.
Vor dem Pflücken besser nachfragen
In der Praxis ist allerdings schwer zu erkennen, ob ein nicht umzäunter Obstbaum am Wegesrand der Kommune gehört oder verpachtet ist. Um auf der sicheren Seite zu sein, ist es besser, sich zu erkundigen, ob die Pflanze im Besitz der Kommune oder einer Privatperson ist.
Hierzu kann man sich etwa an die Stadt oder die Gemeinde, dem Grünflächenamt oder die Untere Naturschutzbehörde wenden. Dabei kann man gleich nachfragen, ob eine Ernte erlaubt ist. Manchmal informieren die Kommunen aber auch zum Beispiel auf ihren Webseiten, ob eine Ernte an bestimmen Orten gestattet ist oder nicht.
Obst am Wegesrand pflücken: Vorher "Mundraub"-Karte anschauen
Wer gerne frisches, heimisches Obst aus der Natur sammeln möchte, kann nicht nur beim Spazieren nach gelben Bändern Ausschau halten. Es lohnt sich, einen Blick auf die Online-Karte der Community-Plattform "Mundraub" werfen. Dort sind die genauen Standorte von Obstbäumen und Beerennsträuchern zu finden, die zur Ernte freigegeben sind. Auch Stellen, an denen frische Kräuter wachsen oder an denen man Nüsse sammeln kann, sind vermerkt.
Die Initiative wurde 2009 ins Leben gerufen, um ein Bewusstsein für öffentlich wachsendes Obst und wilde Kräuter zu schaffen und Menschen mit der sie umgebenden Natur zu verbinden. Sie ruft außerdem dazu auf, sich selbst für die Pflege und Nachpflanzung von Obstbäumen zu engagieren.
Darüber hinaus ist jeder und jede dazu eingeladen, selbst einen Fundort einzutragen. Wer zum Beispiel einen Baum oder Strauch entdeckt hat, der regelmäßig Früchte trägt, aber offensichtlich nicht abgeerntet wird, kann beim zuständigen Amt um eine "Freigabe" für eine private Ernte und die Erlaubnis für eine Eintragung in der Mundraub-Karte bitten. Die Initiative Mundraub bietet hierfür einen Musterbrief zum Download an.
Ist noch unklar, ob die Pflanze der Kommune oder einer Privatperson gehört, kann man sich etwa bei der Kommune, dem Grünflächenamt oder der Unteren Naturschutzbehörde erkundigen.
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