Homeschooling in Corona-Zeiten: So kann Unterricht zu Hause aussehen

Autor: Kerstin Scheidecker | Kategorie: Kinder und Familie | 03.04.2020

Homeschooling während der Corona-Krise: Ein Erfahrungsbericht.
Foto: Pavel L Photo and Video/Shutterstock; Privat

Die Schulen sind zu. Millionen Schulkinder sind zu Hause. Unsere stellvertretende Chefredakteurin Kerstin Scheidecker hat zwei Kinder und berichtet, wie es mit der Schule zu Hause läuft. 

Aktualisiert am 3.4.2020 | Das Coronavirus verbreitet sich immer weiter in Deutschland – und die Bundesregierung setzt alles daran, den Ausbruch zu verlangsamen. Inzwischen sind auch Schulen geschlossen, damit ist Homeschooling angesagt. Ein Erfahrungsbericht: 

Homeschooling Tag 15: Freitag, 3. April

Endlich Freitag! Endlich Ferien! Was freuen sich die Kinder. Und was freuen wir uns mit ihnen. Echt jetzt? Nein. Heute nicht. Frau Nachbarin und mir ist heute nicht nach freuen. Der Himmel ist bewölkt, das erste Mal seit wir die Tage in der Corona-Quarantäne mit einem Gang in den Park beginnen.

Ja, wir haben einen Plan für die Ferien. Wir bauen mit den Kindern Höhlen, bemalen Fliesen, basteln Osterhasen. Frau Nachbarin will einen Zeichenkurs belegen – online – und sich dafür zwei Stunden täglich in den Garten setzen. Was haben wir für ein Glück mit dem Fleckchen Rasen hinterm Haus. Ich will mich dazusetzen und einfach nur lesen.

Ich weiß nicht, von wie vielen Menschen ich diesen Satz in den vergangenen drei Wochen gehört habe, aber ich unterschreibe den Satz sofort: "Ich hatte noch nie so wenig Zeit für mich". Das muss sich ändern. Alle Eltern, die ihre Kinder jetzt rund um die Uhr zu Hause betreuen, brauchen auch Zeit für sich. Wie das gehen soll? Frau Nachbarin ist Coach, hat bekanntlich Nerven aus Stahl und kennt wirksame Worte und Sätze. Hier einige Beispiele: "Nein." "Das machen wir später." "Ich geh mal eben um den Block." "Das macht heute mein Mann."

Also werden wir uns Zeit für uns nehmen. Das wird schön. Und trotzdem, holt uns heute die Trauer ein. Alle Pläne, die wir für Ostern schmieden, enden jäh an einem geschlossenen Restaurant, geschlossenen Geschäften oder mit der Empfehlung des ADFC, an Ostern auf längere Radtouren zu verzichten. Die Trauer holt uns ein, weil die Corona-Krise gerade die Welt aus den Angeln hebt. Weil Trauer Teil von Veränderung ist. Weil viele Menschen gerade sterben. Weil viele Menschen gerade sehr viel verlieren. Weil wir in einer Zeit der Umbrüche gefangen sind und nicht wissen, wie diese Geschichte ausgehen wird.

Vielleicht wird es an Ostern ein sehr früher Spaziergang im Park. Frau Nachbarin geht etwas voraus und lässt Schokoeier fallen. Und die Kinder tun uns zuliebe so, als hätte die der Osterhase frisch gelegt.

Teamwork: Die Vorbereitung für Ostern laufen.
Teamwork: Die Vorbereitung für Ostern laufen. (Foto: Privat )

Schokolade wird uns helfen. Gestern kam eine Nachricht von der Schule meiner Tochter, dass man Pläne für die Zeit nach Ostern schmiede und dass man wissen wolle, wie es um die digitale Ausrüstung in den Elternhäusern der Kinder bestellt sei. Frau Nachbarin hat heute eine Mail vom Gymnasium ihrer Tochter erhalten. Zwischen den Zeilen stand da ganz fett: "Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass die Schulen auch nach den Osterferien geschlossen bleiben."

Wir brauchen jetzt ganz viel Schokolade. Und Eier. Zum Glück ist Ostern. Genau die richtige Zeit, um seine Eier zu finden.

Drei Dinge, die wir vom vorerst letzten Tag Homeschooling mitnehmen:

  1. Wir haben die drei Wochen gut geschafft, aber wir sind auch erschöpft. Auch die Erwachsenen brauchen Zeit für sich. Ein guter Vorsatz für die Osterferien.
  2. Die Vorstellung, dass die Schulen auch nach den Osterferien geschlossen bleiben könnten, trifft uns hart. Wir brauchen jetzt Schokolade.
  3. Wir brauchen Eier.

Homeschooling Tag 14: Donnerstag, 2. April

Wenn das so weitergeht, werden wir hier alle bald Digital-Experten. Die Drittklässlerin hat heute via Skype mit ihrer besten Freundin Probereferat gehalten. Ihre Freundin hat souverän über alles Wichtige aus dem Leben des Fuchses referiert. Aus unserem Homeschooling-Zentrum ging im Gegenzug ein Referat über die Katze ins Netz. Die Fünftklässlerin hat an einer virtuellen Geburtstagsparty teilgenommen. Die Flötenlehrerin hat wieder Online-Flötenstunden gegeben. Die Kleine hat lässig zwei Facetime-Calls angenommen. Alles fast schon Routine. 

Aber langsam wird es trotzdem bleiern. Bilder und Stimmen aus kleinen Geräten sind auf Dauer nur ein fader Ersatz für das richtige Leben. Oder wie meine jüngste Tochter im Video-Call zu ihrer Freundin sagte: "Ich vermisse meine Freundinnen". Die Freundinnen in der Leitung kuscheln nicht mit einem in selbst gebauten Höhlen. Sie zerren nicht am gleichen Playmobilfigürchen. Sie liegen einem nicht nach einer kleinen Prügelei im Arm. Wenn das so weitergeht müssen wir Eltern wohl noch viel mehr Expertise im Spielen, Kuscheln und Höhlenbauen entwickeln.

Frau Nachbarin ist Coach und weiß wie das geht. Nämlich indem wir uns wieder anstecken lassen von der Lust am Spielen. Das kann in Zeiten besonderer Anspannung schwerer sein, aber genau dann ist es so wichtig. Auch das weiß Frau Nachbarin. Klar, dass Erwachsene Lust auf ganz andere Spiele haben als Kinder.

Wir denken da an Longdrinkgläser, Sonnenuntergänge, plätschernde Wellen, schöne Männer und Mittelmeerinseln. Aber das geht ja nicht. Und darum geht es auch nicht. Es geht darum, auch jetzt den Sprung aus dem Rad zu schaffen ab und an, in das Hier und Jetzt und die Spieleschublade. In der Corona-Krise im Zweifel auch in die Schublade mit den Playmobilmännchen.

Drei Dinge, die wir vom 14. Tag Homeschooling mitnehmen:

  1. Wir können digital. Distance Learning funktioniert. Das gibt Sicherheit und Routine.
  2. Facetime ersetzt keinen Körperkontakt. Kinder wollen kuscheln.
  3. Wenn wir den Kindern gerecht werden wollen, müssen wir unsere Freude und Lust am Spielen zulassen und pflegen.
Probereferat via Skype: Es geht um das Leben des Fuchses.
Probereferat via Skype: Es geht um das Leben des Fuchses. (Foto: Privat )

Homeschooling Tag 13: Mittwoch, 1. April

Frau Nachbarin ist ein Profi. Mit Coachingausbildung und Nerven aus Stahl. Den Osterferien ohne Oma und Opa, Restaurantbesuch und Kurzreise sieht sie gelassen entgegen. "Wir machen es uns schön, wie müssen nur etwas finden, in dem wir uns verlieren können und das uns nährt." Dann klappt’s auch mit den Kindern, ist ihre feste Überzeugung.

Das Homeschooling haben wir fast geschafft. Heute hat die Fünftklässlerin ohne mit der Wimper zu zucken eine anderthalbstündige Probeklausur am Küchentisch absolviert. Die Drittklässlerin hat sich mit Mathe beschäftigt und die Textaufgaben beim Mittagessen weiterentwickelt: "Ich will elf Jungs verprügeln, vier hauen ab, wie viele muss ich noch verprügeln?" "Vier, mit denen, die dageblieben sind, bin ich schon fertig." Also Homeschooling läuft.

Wenn bald die täglichen Schulaufgaben wegfallen, müssen wir noch besser dafür sorgen, dass die Kinder in Ruhe spielen können und sich im Spiel verlieren. "Uninterrupted Play" heißt das in der Fachsprache von Frau Nachbarin. Den Kindern ein Umfeld schaffen, in dem sie sicher und ungestört spielen können, was und wie sie wollen. Für Erwachsene schwer. Nicht einmischen, nicht in Ohnmacht fallen, wenn das Kinderzimmer im Chaos versinkt, den Aufräumreflex unterdrücken, Klappe und Hände stillhalten.

Und wer bitte sorgt in Corona-Zeiten dafür, dass die Mütter sich auch einmal ohne Unterbrechung verlieren können? Ich träume mit Frau Nachbarin von einem Zimmer für sich allein. Tür auf. Alles genau da, wo ich es hingelegt habe. Die Kinder sind irgendwo im Spiel versunken und wollen nichts von mir. Kein Hunger, kein Durst, keine Fragen. Tür zu. Mir fällt schon was ein, worin ich mich dann verliere. Das wird schön.

Drei Dinge, die wir vom 13. Tag Homeschooling mitnehmen:

  1. Klappe halten, Hände unter den Hintern und draufsetzten. Wenn wir wollen, dass unsere Kinder sich mit sich selbst beschäftigen, müssen wir es auch schaffen, sie in Ruhe zu lassen.
  2. Auch die Erwachsenen brauchen Raum für sich allein.
  3. Kein Zimmer für sich allein? Schon gar nicht in der Corona-Quarantäne? Zum Glück ist das Wetter schön. Im Park alleine auf seiner Decke zu sitzen liegt im Trend.
Homeschooling bedeutet an manchen Tagen auch etwas Chaos.
Homeschooling bedeutet an manchen Tagen auch etwas Chaos. (Foto: Privat )

Homeschooling Tag 12: Dienstag, 31. März

Hurra, noch vier Tage, dann sind Osterferien. Die Kinder freuen sich darauf wie Bolle. Denn in den Schulferien wird selbstverständlich auch das Homeschooling pausieren, wir werden die Beine hochlegen und den ganzen Tag – ja was eigentlich? Frau Nachbarin blinzelt optimistisch in den Sonnenaufgang. Seit der Zeitumstellung geht die Sonne wieder erst um sieben Uhr auf und wir genießen beim Laufen die Morgenstimmung. "Wir freuen uns jetzt einfach erstmal auf die Ferien", sagt Frau Nachbarin. Guter Plan. Aber was machen wir dann nochmal den ganzen Tag?

Auf dem Heimweg laufen wir an Küchenfliesen vorbei, die jemand auf die Straße gestellt hat. Wir nehmen sie mit für eine Bastelaktion in den Osterferien. Alte Fliesen lassen sich wunderbar mit Muscheln Glitzersternchen, Perlen und Schnickschnack bekleben. Auch aus Kacheln, die einem in den Weg gelegt werden, kann man schönes basteln.

Überhaupt, das Basteln. Nicht nur der Schulunterricht fällt aus. Auch die ganze pädagogisch angeleitete Osterbastelmaschinerie liegt lahm. Das Homeschooling funktioniert inzwischen ganz gut. Mathe läuft. Aber wer kümmerst sich in der Corona-Krise um die Oster-Deko? Keine Osterwerkstatt in der Grundschule. Kein Osterbasteln in der Kirchengemeinde. Kein von Bastelexperten ausgeblasenes Ei, nirgends.

Das können wir nicht ersetzen. Aber wir wollen es zumindest versuchen. Es gibt schließlich hervorragende Bastelblogs und das ein oder andere Häschen haben wir in den vergangenen Jahren schließlich auch schon einmal hingekriegt. Wir werden uns erinnern, wie schön das war. Und wir werden versuchen, uns auf die Ferien und auf Ostern zu freuen.

Oster-Deko in der Corona-Krise: Dieses Jahr wird in der Grundschule nicht gebastelt. Vergangenes Jahr war das noch anders.
Oster-Deko in der Corona-Krise: Dieses Jahr wird in der Grundschule nicht gebastelt. Vergangenes Jahr war das noch anders. (Foto: Privat )

Drei Dinge, die wir vom 12. Tag Homeschooling mitnehmen:

  1. Ferien sind Ferien. Am kommenden Samstag ist hier Schluss mit Homeschooling.
  2. Auch in den Ferien hat der Tag 24 Stunden. Wir nutzen den Rest der Woche, um uns ein paar Projekte und eine tragfähige Struktur für die Ferien auszudenken.
  3. Ostern ist in diesem Jahr ganz anders. Ohne Urlaub, ohne Großeltern. Ohne die Kreativität von Erziehern, Lehrern und Bastelbeauftragten aus der Kirchengemeinde. Wir Eltern geben unser Bestes. Aber wir vermissen die Experten. Weihnachten wuppen wir wieder zusammen. Bitte.

Homeschooling Tag 11: Montag, 30. März

Die Zeitumstellung im Frühjahr ist für Schulkinder der blanke Horror. Ihr Biorhythmus hängt über Wochen der geklauten Stunde hinterher. Die Laune in den ersten Tagen ist unterirdisch. Und Mama bekommt ein Upgrade: von der "gemeinsten" zur "allergemeinsten Mutter" der Welt. Nicht so in diesem Jahr. Heute Morgen haben die Kinder einfach ausgeschlafen. So wie jeden Morgen seit Corona-Schulschluss. Schlafen, bis man wach ist. Was für ein Luxus. Und was für ein Elend, das in einem normalen Frühling am Morgen nach der Zeitumstellung aus den unausgeschlafenen Augen eines Grundschulkindes spricht.

Die Corona-Krise macht noch deutlicher, was schon vor Corona großer Mist war. Wahrscheinlich wird der Kapitalismus die Krise überleben. Und vielleicht kommt es so wie der Soziologe Armin Nassehi im aktuellen Spiegel prophezeit: "Die Routinen kommen schnell wieder. Insofern wundere ich mich über manche Diagnose, die jetzt einen grundlegenden Wandel für ausgemacht hält. Der Kapitalismus, die Globalisierung, die schnelle Welt – all das wird schnell wieder funktionieren", sagt Nassehi dort im Interview.

Es mag so kommen. Aber noch habe ich die Hoffnung, dass wir etwas von dem ganz großen Mist mit der Krise hinter uns lassen. Und für alle Eltern und Kinder, die sich jetzt so wacker im Homeschooling schlagen, hoffe ich, dass Europa es wenigstens schafft, die elende Zeitumstellung ad acta zu legen.

Vielleicht schaffen wir es sogar, künftig noch mehr Dinge anders zu machen. Vielleicht sehen wir klarer, wie wichtig die persönlichen Beziehungen von Lehrerinnen und Lehrern zu ihren Schülern sind. Dass Lernen gut in der Gemeinschaft funktioniert. Und dass Digitalisierung eine feine und notwendige Sache ist, dass sie aber niemals einen gut ausgebildeten Grundschullehrer ersetzen kann. Nur zur Erinnerung: Vor der Corona-Krise war nicht die fehlende Digitalisierung der Schulen Hauptthema, sondern der Lehrermangel. Ein großer Mist, den wir schon längst hätten abschaffen können.

Pausen sind auch im Homeschooling am besten, findet die Tochter unserer Autorin.
Pausen sind auch im Homeschooling am besten, findet die Tochter unserer Autorin. (Foto: Privat )

Unsere Drittklässlerin hatte heute Klassentreffen via Zoom. Fast alle Kinder aus der Klasse waren dabei, die Lehrerin hat engagiert moderiert, es gab ein großes Hallo. Wie meine Tochter es fand? "Komisch. Ja, doch, gut." So ist es wohl. Gut, dass wir uns im virtuellen Klassenzimmer treffen, aber es bleibt komisch.

Die Mädchen vermissen ihre Freundinnen, sie vermissen ihre Lehrerinnen und ihre Klassenkameraden. In der Pause Jungs verprügeln geht online nicht. Apropos Pause: Vor dem Klassentreffen sollten die Kinder sich überlegen, was sie am Homeschooling am besten finden. Meine Tochter macht da keinen Unterschied zur richtigen Schule. Am liebsten mag sie die Pausen. Und das Beste am Homeschooling? "Dass man die Pausen dann machen kann, wann man will."

Drei Dinge, die wir vom 11. Tag Homeschooling mitnehmen:

  1. Zeitumstellung tut im Homeschooling nicht weh. Wir sehen die Sache positiv.
  2. Virtuelles Klassentreffen in der dritten Klasse? Digitalisierung, wir kommen. Aber bitte nur mit gut ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern. Wir brauchen viel mehr davon.
  3. Am besten sind die Pausen. Auch, wenn man zurzeit keine Jungs verprügeln kann.

Homeschooling Tag 10: Freitag, 27. März

Heute Morgen hatten wir noch einen Plan. Die Kinder waren bester Laune. Im Briefkasten lag Post von der Freundin. Und die Kinder freuten sich über ihre neuen Regeln. Herr Nachbar hatte gestern Nachmittag nämlich zusammen mit ihnen ein ausgeklügeltes System zur Konfliktvermeidung erarbeitet: Jedes Kind hat eine Stunde "Alleinezeit". Wenn ein Kind trotz Alleinezeit mit einem anderen Kind zusammen sein möchte, dann ist das möglich. Wer mit einem anderen Kind zusammen sein möchte, fragt das andere Kind. Wenn das andere Kind einverstanden ist, gibt es eine Viertelstunde Alleinezeit zu zweit. Danach steht ein Wechsel an. Verstanden?

So oder so, das Konzept führte gestern zu wunderbaren Allianzen. Ein großes Mädchen saß mit einem kleinen zusammen und knetete Brezeln für die Puppenküche. Ein kleines Kind hörte mit einem großen das Gewinnerlied von "Dein Song". Keiner hat keinen aus dem Kinderzimmer geschmissen. Das Wort "Scheißkuh" fiel kein einziges Mal.

Entsprechend aufgeräumt traten die Mädchen dann heute früh auch zum Homeschooling an. Die eine freute sich über die Postkarte von ihrer Freundin und beantragte einen Telefontermin mit ihr. Die anderen erzählten begeistert von den neuen Regeln und davon, dass man jetzt jeden Tag eine Kindersitzung abhalten werde. In diesem neuen Kinderrat gebe es einen Vorsitzenden, der die Sitzung leite, einen Zeitwächter, der darauf achte, dass keiner seine Redezeit überschreite, einen Protokollanten, der alles festhielte, und einen Regelwächter. Nach drei Ermahnungen müsse man die Sitzung verlassen. Weil: "Wenn einer die ganze Zeit rumschreit, bringt das auch nichts".

Wow, dachten Frau Nachbarin und ich, jetzt lernen die Kinder auch noch Demokratie. Wir hatten eigentlich verabredet, weil Freitag ist, die Zügel loszulassen. Kurz das Wichtigste erledigen und dann weg vom Schreibtisch, rein ins Leben und einen Kuchen backen. Aber es geht ja beides: Kinderparlament und Kinderkochen. Die Kinder haben jetzt schließlich Zeit.   

Post von der Nachbarin: Die Freundinnen wollen sich zum telefonieren verabreden.
Post von der Nachbarin: Die Freundinnen wollen sich zum telefonieren verabreden. (Foto: Privat )

Bis zur Ratssitzung lief es auch hervorragend. Die kleinen Mädchen rührten den Pfannekuchenteig an, die großen backten Pfannekuchen für alle. Sie brachten sogar einen Käsekuchen in den Ofen. Dann startete die Kindersitzung. Und war nach zwei Minuten auch schon wieder vorbei. Implodiert. Mit viel Geschrei, Türenknallen und Wutschnauben.

Wir konnten nicht herausfinden, was genau geschehen war. Nur so viel: Offenbar nahmen Einzelne die Sitzung nicht ernst. Waren gar der Meinung, es gebe nichts zu besprechen. Machten nur Quatsch. Andere sahen das anders. Die Vorsitzende brach die Sitzung heulend ab und bestand auf einer Alleinezeit. Alleine. Zum Glück haben wir noch den Käsekuchen. Der bringt die Parlamentarier bestimmt wieder an einen Tisch. 

Drei Dinge, die wir vom 10. Tag Homeschooling mitnehmen:

  1. Kinder lassen sich für Regeln, Strukturen und kooperative Lösungen begeistern. Sie wollen mitreden und mitbestimmen, wie und mit wem sie ihre Zeit wann verbringen.
  2. Kinder können Demokratie. Sie brauchen nur ein bisschen Unterstützung.
  3. Lernen passiert überall. Freitags die Übersicht zu verlieren, ist in Ordnung. Vor allem, wenn man es vorher geschafft hat, einen Käsekuchen zu backen.

Homeschooling Tag 9: Donnerstag, 26. März

Heute um 8.30 Uhr ist etwas sehr Schönes passiert: Meine beiden Kinder haben sich einträchtig vor ihren Notenständer gesetzt und ein Lied auf ihren Blockflöten gespielt. Die Große hat der Kleinen erklärt, wann sie ein F spielen muss. Mit sanfter Stimme, fast fürsorglich. Pure Harmonie.

Das ist bei anderen Leuten immer so? Schön für die anderen Leute. Sanfte Stimme ist nicht so das Ding meiner Mädchen. Und seit die Corona-Krise uns ans Haus fesselt, führen wir um 8.30 Uhr die ersten Diskussionen um Spielkonsole oder Fernsehen. Heute war alles anders. Wahrscheinlich hatte es damit zu tun, dass für 14 Uhr Flötenunterricht angesagt war. Via Skype.

Aber ganz ehrlich: Ohne Aufforderung üben, dann auch noch zu zweit, ohne Gezeter ­– das hatten wir vor Corona noch nie. Die Kinder können einander zurzeit schwer aus dem Weg gehen, sie streiten wie die Kesselflicker und ich höre den ganzen Tag nur: "nein", und: "das ist gemein". Aber die unfreiwillige Nähe bringt auch ein paar sehr schöne Momente hervor.

Die Kinder können es ja. Sie können nett zueinander sein, einander Dinge erklären, voneinander lernen. So nehmen wir auch das Homeschooling heute ganz leicht. Frau Nachbarin ist verantwortliche Lehrerin und lässt die Kinder einfach mal machen. Und sie machen. Ein Katzenplakat für den Sachunterricht, ein Märchen für Deutsch und ein Bild mit Küken für Kunst.

Aufgabe im Sachunterricht: Ein Katzenplakat gestalten.
Aufgabe im Sachunterricht: Ein Katzenplakat gestalten. (Foto: Privat )

Und dann geht es mittags in den Musikunterricht via Skype. Es funktioniert. Die Kinder nehmen den Fernunterricht wie selbstverständlich an und sind konzentriert bei der Sache. Und sie freuen sich, ihre Lehrerin zu sehen. Es lebe die Technik. Und es leben die Menschen, die unsere Kinder unterrichten. Beeindruckend, was online alles möglich ist und mit welchem Einsatz Musiklehrer und Trainer ihren Schülern derzeit Trainingseinheiten zukommen lassen. So können wir einen Teil der gewohnten Hobbies in den Ausnahmezustand mitnehmen.

Doch nicht alles geht über Skype. Und für viele der freiberuflichen Lehrer und Trainer sind die Zeiten hart. Ihnen bricht ein großer Teil ihrer Einkünfte weg. Unser Klavierlehrer hat erzählt, dass er sich jetzt als Helfer für die Spargelernte bewerben will. Was für ein Glück für die Spargelbauern.

Drei Dinge, die wir vom 8. Tag Homeschooling mitnehmen:

  1. Wir versuchen, die Dinge, die wir sonst auch machen, in unseren neuen Alltag zu integrieren. Musikunterricht via Skype funktioniert.
  2. Das Online-Angebot ist derzeit riesig. Eine gute Auswahl und Zeitplanung helfen, die Fülle zu bewältigen. Auch wer Kurse online wahrnimmt, braucht dafür einen festen Termin im Tagesablauf.
  3. Die Menschen machen den Unterschied. Wir freuen uns, unsere Musiklehrer bald wiederzusehen.

Homeschooling Tag 8: Mittwoch, 25. März

Noch 10 Tage bis zu den virtuellen Osterferien. Und was dann? Dass die Schule für drei Wochen zu Hause stattfindet, ist mit zwei Grundschulkindern, einer Fünftklässlerin und einer Fünfjährigen zwar nervenaufreibend. Aber es ist keine Katastrophe. Und wenn es noch länger dauert? Dann brauchen wir einfach noch bessere Nerven. Die scheinen einige gerade zu verlieren.

Der OECD-Bildungsexperte Andreas Schleicher hat angesichts der Schulschließungen aufgrund der Corona-Pandemie heute vor einem "verlorenen Jahr" für Deutschlands Schulen gewarnt und eine schnellere Digitalisierung verlangt. "Die Angst vor einem verlorenen Jahr für die Bildung in Deutschland ist berechtigt, wenn die Schüler zu lange zu Hause bleiben müssen", sagte Schleicher dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die deutschen Schulen seien beim Lernen weit zurück, das räche sich jetzt. In der Corona-Krise liege auch die Chance, die "Möglichkeiten der Digitalisierung ernsthaft zu nutzen", sagte Schleicher.

"Ja, nein, vielleicht", sagt dazu unser kleines Homeschooling-Kollegium. Ja. Für viele Familien, die Kinder in Abiturs- oder anderen Abschluss-Klassen haben, ist die Lage dramatisch. Viel dramatischer als für uns. Können die Schüler und Schülerinnen das Abitur in diesem Halbjahr noch schreiben? Was ist mit dem Studienbeginn? Verlieren die jungen Leute tatsächlich ein halbes oder gar ein ganzes Jahr bis zum nächsten Schritt ihrer Ausbildung? Um solch eine Unsicherheit auszuhalten, braucht es wahrhaft gute Nerven.

Nein. Wer einige Wochen zu Hause lernt, verliert deshalb nicht ein Jahr Bildung. Dass die deutschen Schulen, was Digitalisierung angeht, im Tiefschlaf liegen, mag ja sein. Aber gute Bildung hängt nicht nur vom Grad der Digitalisierung ab. Natürlich wäre es in der jetzigen Lage bequem, unsere Kinder in ein virtuelles Klassenzimmer schicken zu können. Aber es kommt auch darauf an, was und wie die Kinder dort lernen.

Homeschooling: Die Kinder in Deutschland werden derzeit zu Hause von ihren Eltern unterrichtet.
Homeschooling: Die Kinder in Deutschland werden derzeit zu Hause von ihren Eltern unterrichtet. (Foto: Privat )

Ja, nein, vielleicht. Vielleicht versäumen viele Kinder in diesen Tagen einiges an Stoff. Vielleicht hängen Wohl und Wehe ihrer Schulbildung aber gar nicht daran, ob sie ein bestimmtes Pensum an Stoff durchackern. Vielleicht liegt in der Corona-Krise eine Chance. Die Chance, grundlegend darüber nachzudenken, welche Art von Bildung unsere Kinder brauchen, um mit globalen Veränderungen und riesigen Unsicherheiten umzugehen. Gute Nerven können dabei nicht schaden.                                                        

Drei Dinge, die wir für den 8. Tag Homeschooling mitnehmen:

  1. Im Moment weiß keiner, wie lange die Schulen noch geschlossen sind. Um diese Unsicherheit auszuhalten, brauchen wir gute Nerven. Wir brauchen aber auch eine Lernatmosphäre, in der wir die Nerven erst gar nicht verlieren. 
  2. Gutes Lernen ist mehr als ein vorgegebenes Pensum an Stoff zu bewältigen. Wir müssen unseren Kindern nicht nur viele Informationen vermitteln, sondern Ihnen auch beibringen, sich in komplizierten Lagen zurechtzufinden.
  3. Sich dafür einzusetzen, dass es an den Schulen in Deutschland noch besser läuft, ist immer gut. Vor, während und nach Corona.

Homeschooling Tag 7: Dienstag, 24. März

Ja, es läuft. Aber es ist anstrengend. Unsere drei bis vier Stunden Homeschooling am Tag sind intensiv. Die Kinder kommen gut voran mit dem Stoff. Und trotzdem: Als Elternteil daneben sitzen mit gesundem Menschenverstand, aber ohne Pädagogikstudium – das fühlt sich für mich auch ein wenig dumpf und unbeholfen an. Ja, wir können Homeschooling. Keiner kennt unsere Kinder besser als wir. Aber wie wäre es mit ein bisschen Hilfe und ein bisschen Inspiration? Wir haben Glück. Frau Nachbarin bekommt Zuspruch von Nora Bateson, der Gründerin des Internationalen Bateson Instituts in Schweden. Und meine Große bekommt einen Anruf von ihrer Klassenlehrerin. Tag 7 ist gerettet.

Nora Bateson hat gestern Abend in einem Online-Angebot für Familien und Lehrende über ihre Erfahrungen mit Homeschooling berichtet und so Eltern in aller Welt Mut gemacht. Nora Bateson ist die Tochter des Wissenschaftlers Gregory Bateson. Er war Anthropologe, Biologe, Sozialwissenschaftler, Kommunikationswissenschaftler und zählt zu den Mitbegründern der systemischen Therapie und der Kybernetik. Ein Fachmann der Systeme und der Verzahnung von Systemen. Und ein Experte in Sachen Homeschooling.

Als er an Lungenkrebs erkrankte und seine Zeit knapp wurde, entschied er sich, seine Tochter zu Hause zu unterrichten. Diese Tochter wiederum hat ihre eigenen Kinder auch irgendwann aus dem Schulsystem genommen und sie zu Hause das gelehrt, was ihr Vater ihr beigebracht hat. Dass alles mit allem zusammenhängt. Dass, wer die Welt verstehen will, sich nicht nur auf eine Disziplin stürzen darf. Dass man voller Neugier einen kleinen Käfer beobachten kann und der kleine Käfer einem dann viel von der Welt erklärt.

Doch wir sind, anders als Gregory Bateson, keine Universalgelehrten. Die Welt aus dem kleinen Käfer zu erklären, kriegen wir nur mit viel Gestammel und freundlicher Unterstützung von Dr. Google hin. Und trotzdem hilft uns das, was Nora Bateson sagt, weiter.

Eltern unterrichten ihre Kinder: In Zeiten von Corona ist Homeschooling angesagt.
Eltern unterrichten ihre Kinder: In Zeiten von Corona ist Homeschooling angesagt. (Foto: Privat)

Wir versuchen, die Kinder nicht nur mit Inhalten zu versorgen und sie zu belehren. Denn: Wir können neugierig sein und unsere Fragen mit unseren Kindern teilen, damit so gemeinsames Lernen entstehen kann. Wir suchen uns die Informationen, die wir brauchen, um die Fragen zu beantworten, die sich immer wieder neu stellen. Die Welt, die gerade entsteht, kennen wir alle nicht. Wir können sie unseren Kindern nicht erklären, wir müssen uns auf die Suche nach Antworten machen.

Und dann ist da noch die Klassenlehrerin. Sie ruft alle Kinder nach und nach an, erkundigt sich, wie es ihnen geht, wie sie mit der Situation und den Aufgaben zurechtkommen. Die Augen leuchten. Da ist Stolz, es alleine zu schaffen. Freude, die Stimme der Lehrerin zu hören. Und Erleichterung über die Hilfe und die Inspiration. Ja, es läuft.

Drei Dinge, die wir für den 7. Tag Homeschooling mitnehmen:

  1. Statt unsere Kinder nur mit Inhalten zu versorgen, versuchen wir, mit ihnen neugierig zu sein. Wir teilen unsere Fragen mit ihnen. Daraus kann gemeinsames Lernen entstehen.
  2. Wir machen uns auf die Suche nach den Informationen, die wir brauchen, um unsere Fragen zu beantworten. Denn die Welt, die gerade entsteht, kennen wir nicht. Wir können sie noch nicht erklären. Wir kennen keine Antworten. Wir kennen noch nicht einmal alle Fragen.
  3. Wir sind nicht allein. Es gibt viel Inspiration zum Thema Homeschooling: Im Netz und in Büchern. Und von den Profis: den Lehrern. Danke dafür.

Homeschooling Tag 6: Montag, 23. März

Moment. Hier waren wir doch schon einmal. Es ist Montag. Gleich fängt die Schule an. Und zwar bei uns im Wohnzimmer. Uff. Das fühlt sich heute, an Tag eins von Woche zwei, so mittelgut an. Die Anfangseuphorie ist weg. Und das Gewicht der Zeit, in der wir gefangen sind, lastet mit jedem Tag deutlicher auf unseren Schultern. Wir hängen in einer Katastrophe fest. Wir versuchen in unserem Wohnzimmer das Beste daraus zu machen. Aber das ist anstrengend und tut weh.

Ja, walken im Park um 6.45 Uhr hebt die Stimmung. Doch Frau Nachbarin und ich, wir haben heute höllischen Muskelkater. Eigentlich überall. Denn unsere Muskeln sind noch nicht besonders gut trainiert. Wir haben eine Woche Homeschooling geschafft. Aber wer weiß, wie lange das hier noch dauert? Klar bald sind Osterferien – doch was unternehmen wir in den Ferien? Im Wohnzimmer und auf den paar Quadratmetern Rasen hinterm Haus. Uns dämmert: Wir brauchen Ausdauer. Und gute Nerven. Ein gutes Motto für Woche zwei.

Vor allem deshalb, weil im Haus der Krieg ausgebrochen ist. Die Kleinsten haben ganz große Geschütze aufgefahren. "Du bist die scheißeste Scheiß-Kuh von der Welt", erklärt die eine. "Du hast ab sofort bei mit Wohnungsverbot", kontert die andere. Sie hängt an ihre Zimmertür einen Zettel: "Vabot!!!" (Rechtschreibung wie im Original). Keine gute Ausgangslage, um im erweiterten Hausstand Homeschooling zu betreiben. Frau Nachbarin hat Nerven wie Drahtseile und zitiert den umstrittenen kanadischen Psychologen Jordan Peterson: "Lass dein Kind kein Verhalten entwickeln, das du nicht magst, sonst wirst du dein Kind hassen."

Harte Zeiten erfordern harte Denkansätze. Wir nehmen uns vor, den Zickenkrieg zu stoppen und erklären Wohnungsverbote für unwirksam und Schimpfworttiraden für unzulässig. Geschrei, Geheul und Gestampfe lassen wir über uns ergehen. Es lebe das Diktat der Erwachsenen. Vielleicht rettet uns auch die Struktur, die wir in der ersten Woche geschaffen haben. Um zehn fängt Homeschooling an. Basta. Nix Wohnungsverbot. Nix Scheißkuh, jetzt ist Schule. 

Im Haus ist Ärger ausgebrochen: An der Zimmertür hängt ein "Vabots-Zettel".
Im Haus ist Ärger ausgebrochen: An der Zimmertür hängt ein "Vabots-Zettel". (Foto: Privat )

Die Großen sind prima vorbereitet. Sie haben sich schon einmal vor dem Unterricht alleine hingesetzt und ein bisschen etwas weggeschafft. Weil sie wissen: Gleich geht’s los. Und: "Ich weiß, was ich heute alles auf dem Zettel habe, das schaffe ich, aber ich muss dafür auch etwas tun." Und die Kleinen sind nach dem Homeschooling auch wieder ein Herz und eine Seele: Den Verbotszettel zerreißen sie: "Oh, das muss ich schnell abhängen. Hier Mama, kannst Du in den Müll schmeißen." Der Hausfriede ist wiederhergestellt.

Drei Dinge, die wir für den 6. Tag Homeschooling mitnehmen:

  1. Es ist in Ordnung, das Gewicht der Zeit zu spüren. Die Anfangseuphorie ist weg, wir brauchen einen langen Atem. Ja, wir schaffen das, aber wir spüren, wie schwer es ist.
  2. Es ist jetzt nicht die Zeit, die garstigen Seiten der Kinder zu hätscheln. Wir sind klar und machen den Kindern klare Ansagen: Es ist verboten zu verbieten :) 
  3. Wir vertrauen den Strukturen, die wir bislang etabliert haben. Regeln, Abläufe, feste Zeiten schützen uns und die Kinder vor lähmendem Chaos. Strukturen befreien und setzten Energien frei.

Homeschooling Tag 5: Freitag, 20. März 

Gleich ist Wochenende! Und selbstverständlich gibt es am Wochenende kein Homeschooling. Das beschließen Frau Nachbarin und ich um 6.53 auf dem Weg zum Park. Frau Nachbarin hat Kopfweh. Sie schmunzelt darüber, dass es ihr immer wieder passiert: Einen Steilstart hinlegen und dann nach vier Tagen merken, wie der Körper sich meldet. Der Körper mag sich ausruhen, der Kopf auch. Damit das geht und wir am Montag wieder frisch sind, verordnen wir uns ein Wochenende ohne Stundenplan und für die kommende Woche noch ein bisschen mehr Struktur: "Man muss den Elefanten in Scheiben zerlegen", sagt Frau Nachbarin. 

Nur hat jeder so seine eigene Vorstellung von Abläufen. Gestern Abend um sieben will meine Tochter Mathe machen: "Damit ich morgen schneller fertig bin", erklärt sie. Und jetzt? Die Anfangseuphorie mitnehmen? Vor Überforderung bewahren? Ich lasse dem Kind das Matheheft und denke: "Ja, feste Strukturen sind gut, nur wenn man sie hat, kann man sie auch umschmeißen." Das merken wir uns für Tag fünf: Den Wochenplan-Elefanten in Scheiben zerlegen und bedarfsgerecht servieren.

Mein großes Kind hat an Tag fünf keinen Bedarf mehr nach Mathe. Das kleine Kind hängt immer noch in der Einheit "Frühblüher": Büchlein falten, rausgehen, Blumen identifizieren und aufschreiben, wo und wann man sie gefunden hat.

Die Große hängt sich dran und startet ihre Kunstaufgabe: Male eine Narzisse. Weg sind sie. Für die Elfjährige ist das hart. Fünfte Klasse ist kein Kindergeburtstag. Es gibt noch Aufgaben zu einem englischen Gedicht und jede Menge Übersetzungsarbeit. Frau Nachbarin lässt ihr Laptop stehen und setzt sich schnell den Englischlehrerinnenhut auf. Es ist viel und es ist zäh. In Deutsch ist dann auch noch ein Märchen zu schreiben.

Blumen identifizieren und aufschreiben: Homeschooling an der frischen Luft.
Blumen identifizieren und aufschreiben: Homeschooling an der frischen Luft. (Foto: Privat )

Wir sitzen mittlerweile wieder alle am Tisch und lernen: Im Märchen gibt es sprechende Tiere und Gegenstände, magische Zahlen, einen einsamen Helden, den Gegensatz von Gut und Böse, ewiger Jugend und ein Glücksversprechen. Es gibt einen Anfang – es war einmal - und ein Ende: "und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute." Na also, genug für heute. Jetzt ist Wochenende. 

Drei Dinge, die wir für den 5. Tag Homeschooling mitnehmen:

  1. Struktur ist gut, mehr Struktur unterstützt noch besser. Wir zerlegen den Elefanten in Scheiben.
  2. Wir servieren die Scheiben bedarfsgerecht. Wer Strukturen hat, darf auch davon abweichen.
  3. Wenn der Körper sich meldet, heißt das: Stopp, langsamer, mehr Pausen. Darauf achten wir und ruhen uns erst einmal ordentlich aus.

Homeschooling Tag 4: Donnerstag, 19. März 

Das war ganz schön viel gestern. Viel Lernstoff für die Kinder, viel Homeoffice-Organisation für die Erwachsenen, viel Chaos. Homeschooling ist das Eine. Zu Hause kochen das Andere. 12.30 Uhr haben alle Hunger. Essen gehen ist nicht. Essen machen ist die Devise. Wir sind gewohnt, dass unsere Kinder in der Schule ihr Mittagessen bekommen. Abends gibt es dann oft Pasta oder Brot mit Frischkäse. Es gab ja in der Schule schon etwas Gesundes. Das waren Zeiten. Jetzt brauchen wir zu Hause Gemüse. Und weil sich das nicht von alleine kocht, müssen wir Großen achtsam aufpassen, wo wir bleiben. Wir brauchen kleine Inseln zum Ausruhen und ein paar Rituale, die uns entlasten. Wir müssen das Rad nicht jeden Tag neu erfinden.

Was gestern gut geklappt hat: ein sanfter Einstieg ins Homeschooling mit einem gemeinsamen Lied. Eigentlich singen wir zu Hause nur zu Weihnachten. Aber wenn Corona ganze Nationen zum Singen auf den Balkon treibt, dann holen wir auch mal die Gitarre raus.

Auch eine gute Idee: Mittagsruhe. Nach dem Essen eine Stunde Erholung für alle. Entspannen, lesen, ausruhen, sich auf den Boden legen und gemeinsam bei Youtube eine Traumreise für Kinder hören. Und in Bewegung bleiben. Sonst haben die Stresshormone uns bald im Griff. Es ist ein uraltes Muster. Treffen wir auf den brüllenden Tiger, schüttet unser Körper Stresshormone aus, um leistungsfähiger zu sein. Kampf oder Flucht ist angesagt. Das uralte Reaktionsmuster Bewegung hilft uns, wieder in Balance zu kommen und Stresssymptome zu vermeiden. So starten wir in den vierten Tag.

Homeschooling: Im Sachunterricht war "Hafer" das Thema.
Homeschooling: Im Sachunterricht war "Hafer" das Thema. (Foto: Privat )

Eine Stunde walken mit Frau Nachbarin. Festes Ritual seit Montag. Um 6.45 Uhr. Ja klar, weil die Morgenstimmung großartig ist. Aber auch, weil die brüllenden Tiger spätestens um 8.00 Uhr zur Fütterung bereit sind. Nach dem Walken sind wir bereit. Für alles. Homeschooling, wir kommen.

Herr Nachbar hat heute die selbstgebastelte Wollkette um. Und merkt schnell: Vier Kinder plus ein Erwachsener um 10.00 Uhr morgens ergibt: Chaos. Jedes Kind will etwas von ihm. Und zwar sofort. "Was soll ich machen? Wie soll ich das machen? Woher kriege ich die Weizenkörner, die ich im Sachunterricht einweichen soll?" Frau Nachbarin hat Gott sei Dank fünf Kilo Weizen gekauft. Schon vor Monaten. Gut, dass wir kein Mehl gehamstert haben. Das würde für den Sachunterricht jetzt nichts bringen.

Drei Dinge, die wir für den 4. Tag Homeschooling mitnehmen:

  1. Wir brauchen Rituale. Wir müssen das Rad nicht jeden Tag neu erfinden und machen deshalb altmodische Sachen. Wir singen Lieder und machen einen Mittagsschlaf.
  2. Wir bleiben in Bewegung. Stresshormone, ihr kriegt uns nicht, wir gehen raus. Wir Großen nehmen uns Zeit für das Laufen als Start in den Tag. Die Kinder toben sich am Nachmittag aus.
  3. Wir ruhen uns aus. Mittagsschlaf, Mittagsruhe, Traumreise oder leise lesen bringt Erholung und gibt dem Tag Struktur.

Homeschooling Tag 3: Mittwoch, 18. März 

Gestern hat es geknallt. Ausgerechnet bei den Profis. Die Elfjährige hatte schon vier Tage an einer Geschichte gearbeitet. Auftrag: ein Märchen schreiben. Irgendwann verlor sie die Lust, es war ihr zu langweilig, sie wollte nicht mehr, war leicht abgelenkt. Der Vater wollte unterstützen, dranzubleiben. Das war der Tochter erst recht zu viel. Rums. Es gab Geschrei, Zoff und eine Szene, die sich so auch ohne Corona-Krise hätte abspielen können. Die Energien der beiden sind aufeinander gekracht. Die Anspannung wollte Entladung. 

Das nehmen wir mit für den dritten Tag Homeschooling: All das, was ohnehin zwischen uns und unseren Kindern passiert, all die Dynamiken groß und klein, kommen jetzt genauso hoch wie sonst auch. Jetzt aber in einer möglicherweise eh schon angespannteren Atmosphäre. Weil wir mit Arbeit, Haushalt, Beschulung, räumlicher Enge umgehen, weil uns in all diesen Bereichen so viel Neues konfrontiert. Jetzt ist Zeit für Nachsicht und Umsicht mit uns selbst, tiefen Atem und dafür, Dinge bewusst leicht zu nehmen.

Heute habe ich den Lehrerinnenhut auf. Erster Impuls: Wir müssen dringend nicht nur allen Krankenschwestern, Pflegern und Ärztinnen Beifall klatschen und Hochachtung zollen, sondern auch allen Lehrerinnen und Erziehern. Was für ein Job.

Ich nehme unsere Regel von Tag 2: Die Kinder dürfen selbst entscheiden, womit sie anfangen. Die Elfjährige wählt Mathe, meine Töchter Sachkunde und die Kleinste im Bunde bastelt eine Kette. Die wird künftig der diensthabende Erwachsene tragen, als sichtbares Zeichen, wer gerade im Kinderdienst ist.

Äußere Immunabwehr: So sah das Plakat am Ende des Homeschooling-Tags aus.
Äußere Immunabwehr: So sah das Plakat am Ende des Homeschooling-Tags aus. (Foto: Privat )

Sachkunde also. Das heißt in der ersten Klasse Frühblüher ausmalen. Schneeglöckchen, Narzisse, Tulpe. "Mama, welche Farbe hat eine Narzisse innen?" Wir entscheiden uns für orange. Bei der Drittklässlerin steht – passend zur Weltlage – das Immunsystem auf dem Programm. Sie soll einen Comic lesen, Fragen beantworten und dann ein Informationsplakat gestalten. Äußere Immunabwehr, allgemeine Immunabwehr, intelligente Immunabwehr. 

Mir geht es nicht schnell genug. Das Kind will "Äußere Immunabwehr" mit Washi Tape schreiben beziehungsweise kleben. "Dann wirst du ja nie fertig, du brauchst doch für alles immer so lange", höre ich mich sagen. So ein Scheiß. Das Kind guckt beleidigt und macht gar nichts mehr. Also finde ich mit der Elfjährigen erst einmal die Formel für den Umfang eines Quadrats. Ich hole kurz Luft und beschließe, mein Kind einfach machen zu lassen. Helfen aber nicht befehlen, begleiten, aber nicht bevormunden und komisches Zeug reden. Halleluja, bevor die Uhr zwölf schlägt, ist das Plakat fertig. Die Kette für die Lehrerin des Tages auch. Fühlt sich gut an. 

Drei Regeln für den 3. Tag Homeschooling:

  1. Was zwischen uns und unseren Kindern läuft, kommt jetzt erst recht hoch. Wir achten darauf. Und hören genau hin. Auch auf das, was die Kinder nicht sagen, die Nachrichten hinter den Nachrichten.
  2. Wenn ein Kind weint, dann ist Schluss. Dann heißt es: Pause, raus aus der Situation und neuen Anfang entstehen lassen.
  3. Einatmen, ausatmen. Wir sind die Erwachsenen im Haus. Wir benehmen uns auch so. Bevor wir platzen reißen wir ein Fenster auf oder gehen auf den Balkon und atmen zehnmal tief durch. 

Homeschooling Tag 2: Dienstag, 17. März 

Das Lieblingswort meiner Kinder ist: nein. Nein zu aufräumen, nein zu Hausaufgaben, nein zu allem. Nein zu Homeschooling? Nein, das geht nicht. Denn, wie lange wir zu Hause zusammen am Ess- und Lerntisch sitzen, weiß heute niemand. Deshalb machen wir aus dem Nein ein Ja. Von mir aus ein "Ja, gleich" oder ein "Ja, aber nur, wenn".

Das nehmen wir für den zweiten Tag Homeschooling mit: Es geht nur mit den Kindern und es geht nur, wenn die Kinder sich dabei gut fühlen. Wir sind zwei Parteien im Haus, die ihre Kinder (5, 6, 9 und 11 Jahre ) in der Coronakrise gemeinsam beschulen wollen.

Corona-Krise: Eindrücke aus dem Homeschooling.
Corona-Krise: Eindrücke aus dem Homeschooling. (Foto: Privat )

Wir haben uns auf feste Zeiten verständigt. Struktur ist wichtig. Meine Nachbarin ist Profi. Sie ist Coach, Psychologin und Weltreisende mit einem Jahr Homeschoolingerfahrung. Sie hat gestern den Lehrerpart übernommen. So gab es nach dem Lernen eine kleine Reflexion. Was war gut? Was könnte besser sein? "Es war noch ziemlich laut", sagt die elfjährige Tochter meiner Nachbarin ­– natürlich auch ein Profi in Sachen Homeschooling. "Wir könnten noch konzentrierter arbeiten".  Und: "Wir brauchen einen Plan für den Plan."

Das trifft es ziemlich genau. Für meine Kinder habe ich gestern die Arbeitspläne für die drei Wochen bis zu den Osterferien in der Schule abgeholt. Ganz schön viel. Ganz schön viele Fragen: "Wie sollen wir das schaffen? Kann ich sofort anfangen? Wenn ich fertig bin, kann ich dann was anderes machen?" Wir brauchen einen Plan für den Plan. Ein Tagespensum, das wir zusammen mit den Kindern strukturieren. Damit wir nicht einen riesigen Berg vor uns haben, sondern jeden Tag nur ein übersichtliches Stück Strecke. Wir lassen die Kinder entscheiden, womit sie beginnen wollen. Und wir helfen ihnen mit dem, worauf sie keine Lust haben. Jo, wir schaffen das.

Drei Regeln für den 2. Tag Homeschooling:

  1. Wir nehmen die Anfangseuphorie mit. Viele Kinder haben schon ihre Lernmaterialien von der Schule bekommen. Sie dürfen entscheiden, womit sie anfangen möchten, wir besprechen zusammen, was wir wann machen.
  2. Keine Lust? Wir bieten kleine Umwege an. "OK, jetzt nicht. Wollen wir zuerst etwas anderes machen? Möchtest du eine Pause machen? Wollen wir es in zehn Minuten noch einmal versuchen?"
  3. Wir nehmen uns etwas Schönes vor: einen Kuchen backen, Vögel beobachten, eine Höhle bauen.

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Homeschooling während der Corona-Krise: Unsere stellvertretende Chefredakteurin Kerstin Scheidecker berichtet aus dem Alltag ihrer Kinder.
Homeschooling während der Corona-Krise: Unsere stellvertretende Chefredakteurin Kerstin Scheidecker berichtet aus dem Alltag ihrer Kinder. (Foto: Privat )

Homeschooling Tag 1: Montag, 16. März 

Corona zwingt uns alle, unser Leben umzustellen. Es gibt keinen Grund zur Panik, aber es gibt einen Grund zu handeln. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig. Denn, die Schulen sind geschlossen. Die Kinder sind zu Hause. Also machen wir Schule zu Hause. Ich habe Glück. Meine Nachbarn waren im vergangenen Jahr auf einer langen Reise und haben ihre Tochter, damals in der dritten Klasse, in dieser Zeit unterrichtet. Sie haben Erfahrung mit Homeschooling.

Wir haben beschlossen, dass wir uns in der Coronakrise gegenseitig unterstützen und dass wir unsere vier Kinder (5, 6, 9 und 11) gemeinsam beschulen. Wir wollen unsere Kontakte nach außen so weit wie möglich einschränken und wir wollen gut durch diese Zeit kommen. Tag 1 ist gut gelaufen. Die Kinder haben in den Heften, die sie am Freitag mit nach Hause gebracht hatten gearbeitet. Die Elfjährige hat viel erklärt. Die Motivation war hoch. Meine Nachbarin hat moderiert. So konnte ich zur Schule fahren und dort Material abholen für die kommenden drei Wochen.

Es wird eine spannende Zeit werden. Wir sind gespannt und wir wollen das gut hinbekommen. Es gibt keinen Grund zur Panik, aber einen Grund zu handeln. Denn: Wie lange die Schulen geschlossen sein werden, das weiß heute niemand. Deshalb stellen wir unser Leben jetzt so gut wie möglich um.

Drei erste Regeln fürs Homeschooling:

  1. Eine feste Struktur, eine feste Zeit. Zum Beispiel 9.30 bis 11.00 Uhr. Dreimal 25 Minuten lernen plus fünf Minuten Pause ist ein erprobtes Modell.
  2. Einer schult, der andere hat frei oder arbeitet.
  3. Wir geben aufeinander acht, wir besprechen, planen, und stimmen uns gemeinsam ab.

Der Artikel wird fortlaufend aktualisiert. 

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