Rund 3,4 Millionen Menschen in Deutschland tragen zumindest gelegentlich Kontaktlinsen. Dabei schwören vier von fünf Linsenträgern auf die weiche Variante. Tatsächlich dürfte die Zahl der Kontaktlinsenträger insgesamt aber eher höher sein: "Die Zahlen berücksichtigen nicht den Kontaktlinsenverkauf über fachfremde Branchen wie den Onlineverkauf", sagt Ingo Rütten vom Zentralverband der Augenoptiker in Düsseldorf. Auffallend sei zudem, dass auch die Zahl jener Menschen, die schon mal Linsen getragen haben, aber dies heute nicht mehr tun, ebenfalls bei etwa 3,4 Millionen liege.
Hornhautschäden nehmen zu: Das sind die Gründe
Ein Grund für die hohe Abbrecherquote könnte sein: Immer häufiger kommen Patienten mit bedenklichen Hornhautschäden zum Augenarzt. Dass viele Betroffene erst mit bereits weit fortgeschrittenen Hornhautveränderungen kommen, ist für Dr. Gerald Böhme, ehemaliger Leiter des Ressorts Kontaktlinsen im Berufsverband der Augenärzte Deutschlands, leicht zu erklären: "Weiche Kontaktlinsen setzen die Empfindlichkeit herab und unterbinden so den Schmerz, der sonst frühzeitig als Warnzeichen auf winzige Verletzungen oder eine beginnende Entzündung der Hornhaut hinweist. Wer formstabile Linsen trägt, merkt schon die ersten Symptome einer Irritation."
Und die Zahl der Hornhautschäden nimmt weiter zu, seit Kontaktlinsen und Pflegemittel über Internet und Versandhandel zum Anwender gelangen, bedauert Böhme. Auf ein anderes Problem weist die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) hin: Etwa drei Viertel der Kontaktlinsenträger vernachlässigen Hygiene und Pflege ihrer Sehhilfen. Infektionen können die Folge sein, die zu Bindehaut- oder Hornhautentzündungen führen können.
Kombilösungen müssen viele Funktionen erfüllen
Komplikationen sind vor allem dann zu befürchten, wenn die Linsen zu lange getragen werden, beispielsweise über Nacht, obwohl sie dafür gar nicht zugelassen sind. Oder sie werden nicht nach der vom Hersteller empfohlenen Zeit ausgetauscht. Denn Fett und Eiweiß aus der Tränenflüssigkeit lagern sich auf der weichen Kontaktlinse ab und bilden einen idealen Nährboden für Keime.
Die meisten Linsenträger pflegen ihre Linsen inzwischen mit Kombilösungen, die sich sowohl zur Reinigung und Desinfektion als auch zur Aufbewahrung und Benetzung eignen sollen. Dabei müssen diese All-in-one-Lösungen einen wahren Spagat vollbringen: einerseits keimtötend wirken, andererseits gut vom Auge vertragen werden. Tatsächlich aber "gelangen mit Multifunktionslösungen potenziell toxische Verbindungen an die Kontaktlinsen und damit auch an die Hornhaut", schreibt Dr. Riad Khaireddin, Augenarzt an der Universitätsklinik St. Josef-Hospital Bochum, in der Zeitschrift Der Ophthalmologe.
Hygienemanagment mit Schwächen
Geregelt sind die Mikrobiologischen Anforderungen und Prüfverfahren für Produkte und Systeme zum Hygienemanagement von Kontaktlinsen in der Norm DIN EN ISO 14729. In einer Direktprüfung ("Stand-alone-Test") müssen die Pflegemittel innerhalb der empfohlenen Einwirkzeit drei verschiedene Bakterien jeweils um mindestens 99,9 Prozent sowie zwei verschiedene Pilze jeweils um mindestens 90 Prozent verringern. Gelingt dies nicht, dürfen sich die Mittel aber immer noch in einer Prüfung nach Pflegeanweisung ("Regimen-Test") qualifizieren.
Experten weisen auf Schwächen der Norm hin: Die Mittel werden weder gegen Viren noch gegen Akanthamöben getestet, es werden keine Belastungstests gefordert und die Prüfungen in der Regel an Laborkeimen und nicht an klinischen Isolaten durchgeführt. Zwar sind Infektionen der Hornhaut mit Akanthamöben, die vor allem über verkeimtes Leitungswasser übertragen werden, nur sehr selten. Allerdings treffen 85 Prozent der von ihnen verursachten Hornhautentzündungen Kontaktlinsenträger. Adenoviren wiederum sind wegen ihres epidemieartigen Auftretens gefürchtet. Sie können durch das Wasser in Schwimmbädern oder ungenügend sterilisierte Geräte zur Augenuntersuchung übertragen werden.
ÖKO-TEST nimmt 15 Kontaktlinsenpflegemittel unter die Lupe
Also konnte es für uns nicht darum gehen, Kontaktlinsenpflegemittel eins zu eins nach den Vorgaben der Norm zu testen. Das von ÖKO-TEST beauftragte Labor hat die Mittel daher nicht nur im Hinblick auf ihre desinfizierende Wirkung miteinander verglichen, sondern auch untersucht, wie gut sie gegen ein häufig vorkommendes Virus wirken und ob sie bestimmte menschliche Zellen schädigen. Daneben haben wir natürlich die Inhaltsstoffe und die Deklaration angeschaut. Im ÖKO-TEST: 15 Kombi-, Multifunktions- und All-in-one-Kontaktlinsenpflegemittel für weiche Kontaktlinsen.
Das ging ins Auge: Die Mehrzahl der Produkte erreicht gerade einmal ein Gesamturteil "befriedigend". Eine Kombilösung fällt mit einem "ungenügend" aus der Reihe, zwei weitere gehen mit "mangelhaft" aus dem Test. Hauptgrund ist die oft unzureichende keimtötende Wirkung.
Schon an der ersten Hürde gescheitert
Den Stand-alone-Test, also die Untersuchung der Wirksamkeit gegenüber Bakterien und Pilzen, schafften neun von 15 Mitteln. Die anderen dezimierten häufig den Pilz Candida albicans nicht in ausreichendem Maße. Geradezu bedenklich stimmen die Laborbefunde, die die der Testverlierer lieferte: Diese verringerte zwei Bakterienarten nicht einmal um den Faktor 10. Dafür werten wir um fünf Noten ab.
Den gleichen Test in Gegenwart von Eiweiß (Belastungstest) wiederum bestanden nur fünf Mittel auf Anhieb: Drei Produkte schnitten hier besonders schlecht ab. Das ist auch deshalb so bedenklich, weil sich Eiweiße aus der Tränenflüssigkeit auf der Kontaktlinse ablagern und die Wirkung der desinfizierenden Substanzen herabsetzen können.
Keine Wirkung gegen Viren
Gegen die von uns untersuchten Adenoviren richteten die 15 getesteten Mittel so gut wie nichts aus. Das heißt: Wer als Kontaktlinsenträger eine Virusinfektion am Auge durchmacht, sollte seine Linsen entsorgen und nach überstandener Infektion neue, ungebrauchte Linsen einsetzen.
Nur bei vier Mitteln konnte nach direktem Kontakt mit einer Zellkultur kein oder nur ein geringfügiger zellgiftiger (zytotoxischer) Effekt festgestellt werden. Hingegen litt die Vitalität der Zellkulturen nach Zugabe von elf Lösungen sogar erheblich. Trotzdem werten wir hier nur um eine Note ab. Denn: Wurde herausgespült, was die Kontaktlinsen über Nacht an Pflegemitteln aufgesogen hatten, ließ sich keine zellschädigende Wirkung mehr nachweisen.
Lausige Deklaration auf den Verpackungen
Die derzeit zulässige Deklaration der Inhaltsstoffe von Medizinprodukten lässt Verbraucher häufig im Unklaren darüber, mit welchen Stoffen sie in Kontakt kommen. So waren Borsäure und/oder Borate nur fünfmal aufgeführt, steckten jedoch noch in fünf weiteren Produkten. Auf unsere Frage nach den verwendeten Puffersubstanzen und PEG/PEG-Derivaten antworteten fünf Anbieter nicht.
Ein weiterer Kritikpunkt ist unnötiges Silber im Kontaktlinsenbehälter. Dieser sollte nämlich spätestens immer dann gegen neue ausgetauscht werden, wenn die Flasche mit dem Pflegemittel leer geworden ist. Daher müssen sie auch nicht mit antimikrobiellem Silber ausgerüstet werden.
So reagierten die Hersteller
Ein Hersteller war "not amused": Als erste Reaktion schickte uns die Firma Post von einer sie vertretenden Anwaltskanzlei. Erster Kritikpunkt: Der von uns durchgeführte Test stimme nicht mit den Vorgaben der Norm EN ISO 14729 überein, unter anderem weil weder Fusarium solani noch Serratia marcescens verwendet wurden.
Dazu: Es ging uns nicht darum, den Firmen zu attestieren, dass ihre Produkte normkonform sind. Denn die Norm ist nicht streng genug, handelt es sich doch um mit der Industrie abgestimmte Vorgaben, die immer nur einen Minimalkonsens darstellen. Deshalb testeten wir unter härteren Bedingungen. In einem Punkt hatten die Prüfprodukte aber sogar eine Hürde weniger zu nehmen: Auf die Wirksamkeitsüberprüfung gegen den Schimmelpilz Fusarium solani haben wir verzichtet.
Weiterhin wurde kritisiert, dass die Tests der Wirksamkeit gegenüber Viren nach den Vorgaben einer Norm (EN 14476) durchgeführt wurden, welche für Kontaktlinsenpflegemittel "völlg ungeeignet" sei. In dieser gehe es um die viruzide Wirkung von chemischen Desinfektionsmitteln, zum Beispiel für die Instrumenten-Desinfektion. Tatsächlich jedoch gibt es derzeit kein besseres Prüfverfahren als genau diesen Test, wenn es um die Ermittlung der viruziden Wirksamkeit von Produkten wie Kontaktlinsenpflegmitteln geht.
Seitens zwei Hersteller wurde weiterhin die in der Prüfung nach EN ISO 14729 gewählte Belastung moniert. So werde in der Norm eine Zubereitung aus Saccharomyces cerevisiae als organische Belastung empfohlen. Wir sind aber aus gutem Grund davon abgewichen, denn bei S. cerevisiae handelt es sich um Bäckerhefe - und das ist schlicht und einfach praxisfern.
Hinsichtlich der zellschädigenden Wirkung teilte ein Produzent mit, man habe vollkommen andere Resultate - die man uns "aus Gründen des Daten- und Rezepturschutzes" leider nicht zukommen lassen konnte. Ein anderer legte Unterlagen vor, wonach das Produkt einen experimentellen Anwendungstest nach EN ISO 14729 ohne Reiben für alle getesteten Keime bestanden hat.
Eine andere Firma schrieb uns, der Kontaktlinsenbehälter ihres Pflegemittels sei nicht antibakteriell ausgerüstet: "Beschichtungen mit Silber haben sich leider nur als bedingt wirksam gegen Bakterien und gar nicht gegen Pilze erwiesen."
Experte: Harte Linsen sind sicherer
Dr. Gerald Böhme, Augenarzt und ehemaliger Leiter des Ressorts Kontaktlinsen im Berufsverband der Augenärzte Deutschlands, sagt: "Harte Linsen sind sicherer. Wir haben über 2.000 Fälle von Komplikationen im Zusammenhang mit Kontaktlinsen ausgewertet. In 97 Prozent der Fälle wurden weiche Linsen getragen."
ÖKO-TEST-Tipp: Einfache, aber wichtige Regeln
- Vor dem Einsetzen oder Herausnehmen der Kontaktlinsen stets die Hände mit Wasser und Seife waschen und mit einem fusselfreien Handtuch abtrocknen.
- Bei der Kontaktlinsenhygiene exakt die Vorgaben des Augenarztes beziehungsweise die der Gebrauchsinformation des Pflegemittels befolgen.
- Linsen in dem für sie vorgesehenen Behälter aufbewahren. Immer frische Aufbewahrlösung verwenden.
- Linsen (und den Linsenbehälter) nicht in Kontakt mit Leitungswasser bringen: Linsen vor dem Duschen oder Schwimmen herausnehmen; zum Abspülen eine geeignete Lösung verwenden, zum Beispiele sterile Kochsalzlösung.
- Tages-/Monatslinsen keinesfalls länger als empfohlen benutzen, Linsenbehälter regelmäßig austauschen.
- Regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim Augenarzt: bei weichen Linsen alle sechs Monate, bei formstabilen Linsen einmal pro Jahr.
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