96 Versorgungslücken-Rechner im Test

Lauter Pannen

ÖKO-TEST Kompakt Riester | Kategorie: Geld und Recht | 22.01.2010

96 Versorgungslücken-Rechner im Test

Die Versprechen klingen vollmundig: Versorgungslückenrechner im Internet wollen Vorsorgeplanern helfen, Lücken im Alterseinkommen zu erkennen - und damit die Basis für eine verlässliche Vorsorgeplanung liefern. Doch die Ergebnisse können selten überzeugen. Über 90 Prozent aller Rechner patzten im ÖKO-TEST.

Fast alle Bundesbürger stecken in einem Vorsorgedilemma. Diverse Umfragen belegen: Einerseits ist ihnen sehr bewusst, dass die staatliche Rente später zum Leben nicht reicht. Andererseits unterschätzen die meisten trotz aller Aufklärung über mögliche Versorgungslücken das Risiko, im Alter in Geldnöte zu geraten. Denn wie viel Geld sie im Ruhestand wirklich benötigen bzw. wie groß die Versorgungslücke wirklich ist, wissen den wenigsten. Versicherer, betriebliche Versorgungswerke, Finanzdienstleister und unabhängige Informationsportale halten deshalb im Internet Versorgungslückenrechner bereit, mit denen Verbraucher ermitteln können, wie viel Geld ihnen im Alter fehlt.

Die Rechner sollen Hilfe bei der Vorsorgeplanung bieten. Denn auf Basis der individuellen Versorgungslücke können Verbraucher nicht nur prüfen, wie viel Vorsorgeanstrengungen sie noch unternehmen müssen. Vielmehr können sie auch schnell abschätzen, ob etwaige Offerten zur Altersvorsorge ausreichen, die ermittelten Lücken zu schließen.

ÖKO-TEST hat die Versorgungslückenrechner daher unter die Lupe genommen und anhand von drei Modellfällen geprüft. Dabei sind wir davon ausgegangen, dass die Betroffenen im Alter wenigstens 70 Prozent ihres heutigen Nettoeinkommens benötigen. Sofern möglich wurde aber auch eine Berechnung mit 90 Prozent vom Nettoeinkommen durchgeführt. Denn wir sind davon ausgegangen, dass viele Vorsorgeplaner ihren derzeitigen Lebensstandards im Ruhestand weitgehend halten möchten.

Das Testergebnis

Die Ergebnisse sind erschreckend: Lediglich in vier von 48 durchgerechneten Modellvarianten spuckte ein Versorgungslückenrechner korrekte Ergebnisse aus. Das ist eine Trefferquote von bescheidenen 8,3 Prozent. Bei den restlichen 91,7 Prozent aller Berechnungen produzierten die Rechner mehr oder minder große Fehler, weil sie den Versorgungsbedarf falsch einschätzten, die möglichen Rentenansprüche unter- oder überschätzten und daher auch die Versorgungslücke nicht korrekt ermittelten.

Dass fast alle Versorgungslückenrechner Probleme haben, ist allerdings kein Wunder. Das Grundproblem beginnt schon bei der Datenabfrage: Mehr als zwei Drittel aller Rechner erlaubt nur eine grobe Schätzung der späteren Rentenansprüche. Denn der Rentenverlauf wird meist einfach aus den Daten zum heutigen Bruttoeinkommen, ein paar Abfragedaten zum Berufsbeginn und dem damaligen Ausbildungsgehalt hochgerechnet. Bei einer derart groben Schätzung können selbst korrekte Ergebnisse nur Zufallstreffer sein. Auf jeden Fall überrascht es nicht, dass über 77 Prozent aller ausgewiesenen Renten mehr oder minder stark danebenliegen.

Das Gros der Rechner fragt zu wenig Daten ab

Dabei wäre es vergleichsweise einfach, den Rechnern etwas mehr Präzision einzuhauchen: Schließlich bekommen alle gesetzlich Rentenversicherte über 27 seit 2002 Jahr für Jahr eine Rentenmitteilung ins Haus geschickt, aus der sie die Höhe der bereits erworbenen und bis zum Ruhestand wahrscheinlich erreichten Rentenansprüche ablesen können. Doch nur bei drei Rechnern, dem Versorgungslückenrechner der R+V Versicherung, dem Onlinerechner vom AWD und dem Rechner der Skandia ist die Eingabe der tatsächlichen Rentenansprüche überhaupt möglich. Alle drei Anbieter wollen aber auch User nicht verschrecken, die solche Daten nicht parat haben. Deshalb lassen sie auch die Hochrechnung auf Basis rudimentärer Daten zu. Das führt bei allen drei Rechnern aber bisweilen zu Patzern. Deshalb bleiben sie in einigen Modellfällen hinter ihrer maximal möglichen Leistung zurück.

Sieger im Test ist trotz dieser Schwächen der Versorgungslückenrechner vom AWD. Denn er enthält alle Abfragedaten, die Vorsorgeplaner benötigen, um ihre persönliche Versorgungslücke korrekt zu berechnen. Auch in den Testfällen hat er nur selten danebengelegen. Wirklich korrekte, individuelle Ergebnisse können in der Praxis aber wahrscheinlich nur vorinformierte User erreichen, die genau erkennen, welche Knöpfchen sie drücken müssen, um ihre persönlichen Werte einzugeben. Alle anderen landen bei der Standardversion, die deutlich ungenauer ist und bei Berechnung der Versorgungslücke automatisch 2,5 Prozent Inflation unterstellt. Entsprechend groß ist die Lücke - was unbedarfte Vorsorgeplaner regelmäßig erschrecken und in die Beratung treiben dürfte. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Im Test läuft diese Standardversion ohne Bewertung. Sie soll lediglich veranschaulichen, wie unterschiedlich die Ergebnisse je nach Voreinstellung des Rechners ausfallen können.

Immerhin auf Rang 2 landet der Rechner der R+V Vorsorge, die Skandia verpasst Rang 2 um Haaresbreite. Beide erlauben ebenfalls in allen wichtigen Punkten die Eingabe persönlicher Daten und können die individuelle Versorgungslücke je nach Vorgabe korrekt ausweisen. Wer, wie wir, allerdings die Ermittlung der künftigen Rentenansprüche dem Rechner überlässt, bekommt weniger genaue Ergebnisse.

Auch der Versorgungslückenrechner der Hamburg Mannheimer weist passable Ergebnisse auf. Weil er das Versorgungsniveau aber standardmäßig mit 65 Prozent des letzten Bruttoeinkommens vorgibt und keine exakte Renteneingabe erlaubt, trifft er die korrekten Ergebnisse nicht genau. Insgesamt reicht es daher nur für Platz 5.

Die Versorgungslückenrechner der Commerzbank/ehemals Dresdner Bank und der Metallrente erreichen dagegen nur einen mangelhaften 5. Rang. Denn auch sie ermöglichen es Vorsorgeplanern nicht, die persönlichen Rentenansprüche einzugeben. Auf Basis der pauschal ermittelten Rentenwerte sind die Ergebnisse der Rechner zudem zu ungenau, um als Basis für die persönliche Vorsorgeplanung zu dienen.

Über die meisten Rechner kann man nur lachen

Die restlichen Rechner im Test haben dagegen lediglich Unterhaltungswert. Korrekte Ergebnisse liefern sie jedenfalls nicht. Das ist auch kaum möglich, weil die Abfrage wichtiger Eckdaten fehlt. Außerdem lassen auch die Erläuterungen zu wünschen übrig. So bleibt oft im Dunkeln, ob der Rechner nun eine Netto- oder Bruttoversorgungslücke ermittelt oder ob es sich bei der angegebenen Rente um die Bruttorente handelt bzw. welche Abzüge vorgenommen wurden.

Weitere Mängel: Bei mehr als der Hälfte der untersuchten Onlinerechner fällt das bereits angesparte Vorsorgevermögen oder eine bereits angesparte Zusatzvorsorge komplett unter den Tisch. Danach wird bei sechs der elf getesteten Rechner einfach nicht gefragt. Kein Wunder daher, wenn sie schiefliegen. Eine korrekte Berechnung der individuellen Versorgungslücke ist auf diese Weise gar nicht möglich.

Rechner mit derart rudimentären Abfragedaten haben wir im Test daher abgestraft - selbst wenn sie in einzelnen Modellfällen auch mal ausreichende Ergebnisse brachten. Doch das können nur Zufallstreffer sein. Weil eine korrekte individuelle Berechnung der Rentenlücke mangels ausreichenden Abfragedaten schlicht unmöglich ist, rangieren die Onlinerechner der Helvetia, der CiV Versicherung, der Sparkasse Köln|Bonn, der Victoria und der Familienfürsorge allesamt auf dem ungenügenden 6. Rang.

Ein weiteres Manko bei vielen Onlinerechnern: Das gewünschte Versorgungsniveau kann nicht individuell angepasst werden. Solche Stellschrauben sind nur bei knapp der Hälfte aller untersuchten Rechner vorgesehen. Alle anderen geben das Versorgungsniveau standardmäßig vor. Dabei wird üblicherweise unterstellt, dass Vorsorgeplaner ihren im Erwerbsleben gewohnten Lebensstandard im Alter halten wollen. In die Sprache der Rechner übersetzt bedeutet das: Standardmäßig wird ein Bedarf in Höhe von 100 Prozent des letzten Nettoeinkommens unterstellt und entsprechend üppig fällt dann die Lücke zwischen Soll und Haben im Alter aus.

Die Familienvorsorge unterstellt sogar, dass die Kunden 100 Prozent vom letzten Bruttogehalt als Ruhestandseinkommen benötigen - und spuckt folgerichtig einen außerordentlich hohen Bruttovorsorgebedarf aus. Das soll alle User vermutlich wachrütteln und in die persönliche Beratung treiben. Ein entsprechender Hinweis auf der Website fehlt jedenfalls nicht. Ob der Kunde dort besser beraten wird, wissen wir nicht. Die Familienfürsorge versicherte uns aber nach Vorlage der Testergebnisse, dass der Kunde im persönlichen Gespräch "detailliertere Berechnungen" erhält und dass dann auch ein individueller Rentenbeginn und jede Einkommenshöhe wählbar sind.

Der GDV entzieht seinen Rechner dem Test

Folgt man der Argumentation des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft (GDV), dann sind Bruttoberechnungen wie bei der Familienfürsorge aber eigentlich unlauter, weil der Versorgungsbedarf so automatisch "überdramatisiert" wird. Laut GDV würde bereits eine Berechnung der Versorgungslücke mit 90 Prozent vom letzten Bruttoeinkommen zu einer massiven Überversorgung führen. Jedenfalls lehnt der GDV unter anderem mit diesem Hinweis seine Testteilnahme ab. Denn auch der GDV-Rechner kalkuliert bislang ausschließlich mit Bruttowerten. Und weil wir bei allen Fällen, in denen das Versorgungsniveau individuell einstellbar war, wahlweise mit einem Versorgungsniveau von 70 und von 90 Prozent gerechnet haben, fürchtet der GDV, sein Rechner würde ebenfalls zu große Versorgungslücken ausweisen. Außerdem wird der Rechner des GDV derzeit aktualisiert. Bleibt zu hoffen, dass er beim nächsten Test dann besser funktioniert.