Pestizid-Atlas 2022: Spritzmittel-Einsatz seit 1990 um 80 % gestiegen

Autor: Redaktion (lw) | Kategorie: Essen und Trinken | 13.01.2022

Pestizid-Atlas, Pestizidatlas
Foto: Heinrich Böll Stiftung; Grafik: Eimermacher/Puchalla

Die Heinrich-Böll-Stiftung und ihre Partner haben den Pestizidatlas 2022 vorgestellt. Trotz vieler Verschärfungen werden weltweit so große Mengen Pestizide ausgebracht wie nie zuvor, bemängeln die Autoren. Hier finden Sie die wichtigsten Ergebnisse.

Die Heinrich-Böll-Stiftung, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und das Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN Germany) haben ihren "Pestizidatlas 2022" vorgestellt. Der Atlas zeigt laut den Autoren, dass die Menge weltweit eingesetzter Pestizide seit 1990 um 80 Prozent gestiegen ist, in einigen Regionen wie Südamerika sogar um fast 150 Prozent.

Der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen, wie zum Beispiel Soja als wichtiges Futtermittel für die Tierhaltung, hat in Ländern mit großer Artenvielfalt zu einer gravierenden Ausweitung des Einsatzes an Herbiziden (d.h. Unkrautbekämpfungsmitteln) geführt, so der Atlas. Auch in der EU liegt der Einsatz mit rund 350.000 Tonnen auf hohem Niveau. In Deutschland werden zwischen 27.000 und 35.000 Tonnen Pestizidwirkstoffe pro Jahr verkauft. Die Menge schwankt vor allem aufgrund von Witterungsbedingungen und aufgrund von unterschiedlichen Preisen für Agrar- und Pestizidprodukte.

Pestizide sind (fast) überall nachweisbar

Der Einsatz von Pestiziden führt zu anhaltenden Belastungen von Mensch, Natur und Umwelt, wie die herausgebenden Organisationen betonen. So lassen sich an Luftmessstellen Pestizide nachweisen, die bis zu 1.000 Kilometer weit entfernt ausgebracht wurden. Auch in Naturschutzgebieten finden sich Pestizidrückstände. Insbesondere Gewässer in der Nähe landwirtschaftlich genutzter Gebiete weisen hohe Pestizidbelastungen auf. Meeressäuger an deutschen Küsten sind bis heute mit Pestiziden belastet, die seit 40 Jahren verboten sind.

Eine fatale Wirkung hat der Einsatz von Pestiziden auch auf die biologische Vielfalt: konventionell bewirtschaftete Äcker weisen nur drei Prozent der floristischen Artenvielfalt auf, die auf Äckern zu finden ist, die noch nie mit Pestiziden behandelt wurden, so die Autoren. Auf biologisch bewirtschafteten Äckern liegt die Vielfalt mit 53 Prozent erheblich höher.

Arbeiter vergiften sich an Spritzmitteln

Die global wachsende Menge an eingesetzten Pestiziden führt weltweit zu einem Anstieg an Pestizidvergiftungen, insbesondere im Globalen Süden, wo Arbeiter oftmals nicht ausreichend geschützt sind, wie das Herausgeber-Bündnis kritisiert. So sei konservativen Berechnungen zufolge in Asien von jährlich rund 255 Millionen Vergiftungsunfällen auszugehen, in Afrika von knapp über 100 Millionen und in Europa von rund 1,6 Millionen.

Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, sagt: "Auch in Europa sprühen wir viel zu viel: Alleine Äpfel, das Lieblingsobst der Deutschen, werden etwa 30-mal pro Saison gespritzt, Weinreben bis zu 17-mal und Kartoffeln bis zu 11-mal."

Gen-Soja treibt den Herbizid-Einsatz

"Vor allem in Ländern mit großer Artenvielfalt wie Brasilien, Argentinien und Paraguay ist der Herbizideinsatz insbesondere seit der großflächigen Einführung von gentechnisch verändertem, pestizidresistenten Soja, das als billiges Futtermittel für die Tiermast eingesetzt wird, dramatisch gestiegen. Damit wurde auch das zentrale Versprechen der Agro-Gentechnik, Ackergifte mit Hilfe von Gentechnik deutlich zu reduzieren, auf groteske Weise konterkariert", kritisiert sie.

Laut Unmüßig zeigt eine repräsentative Umfrage in aktuellen Pestizidatlas 2022, dass 70 Prozent der Befragten eine deutliche Reduktion des Pestizideinsatzes in Deutschland fordern. Fast genauso viele wollen den Export von Pestiziden, die in Europa nicht zugelassen sind, in andere Weltregionen verbieten.

BUND-Vorsitzender Olaf Bandt erklärt, dass die Gesamtmenge der Pestizide in Deutschland um 50 Prozent gesenkt und besonders gefährliche Pestizide verboten werden müssten, um den Verlust der Artenvielfalt aufzuhalten. "Entscheidend dabei ist, dass die landwirtschaftlichen Betriebe dabei unterstützt werden, mit weniger Pestiziden wirtschaftlich tragfähig zu arbeiten", so Bandt.

Auch Nützlinge sterben an Pestiziden

Der hohe Pestizideinsatz trage zum Verlust zahlreicher Nützlinge bei, ohne die wiederum noch mehr Pestizide notwendig seien. Der damit verbundene Rückgang bestimmter Wildpflanzen-Arten führe darüber hinaus zum Verlust von Lebensraum und Nahrung für spezialisierte Insekten. "Zudem führt der Einsatz von in geringen Mengen hochwirksamen Neonikotinoiden zum Sterben von Wildbienen", sagt der BUND-Vorsitzende.

Den Pestizidatlas 2022 finden Sie bei der Heinrich-Böll-Stiftung hier zum Download. Der Atlas bietet auf 50 Seiten und in 80 Grafiken viele Daten und Fakten zu Giften in der Landwirtschaft in Deutschland und weltweit. In den Vorjahren waren weitere Atlanten erschienen, z.B. der Fleischatlas 2021 oder der Plastikatlas 2019. Sie finden sie hier bei der Böll-Stiftung.

Auch ÖKO-TEST stößt in Lebensmittel-Tests regelmäßig auf Spuren von umstrittenen oder sogar verbotenen Pestiziden. Wir kritisieren unter anderem das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat, das von uns beauftragte Labore in den letzten Monaten beispielsweise in Spaghetti, Kichererbsen oder Hummus nachgewiesen haben.

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