Viele Wildpilze weiter radioaktiv belastet – Pilzarten unterschiedlich betroffen

Autor: dpa (Sabine Dobel) /Redaktion (bw/lw) | Kategorie: Essen und Trinken | 30.08.2023

Bundesamt für Strahlenschutz warnt vor radioaktiv belasteten Pilzen
Foto: Shutterstock/struvictory

Auch Jahrzehnte nach der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl können Pilze in den deutschen Wäldern noch radioaktiv belastet sein. Ein Bundesland ist besonders betroffen.

Fast vier Jahrzehnte nach der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl sind vor allem in Bayern viele Pilze weiterhin mit radioaktivem Cäsium belastet.

Betroffen seien vor allem Gebiete im Bayerischen Wald, im Donaumoos nahe Ingolstadt sowie Regionen in den Alpen rund um Mittenwald und im Berchtesgadener Land, teilte das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) am Montag in Salzgitter mit.

In diesen Gebieten hatte sich demnach nach der Katastrophe im Jahr 1986 deutschlandweit am meisten radioaktives Cäsium auf dem Boden abgelagert. Jedoch sei selbst in stark betroffenen Regionen nicht jede Pilzart gleichermaßen belastet, es gebe große Unterschiede.

Hohe Werte wurden bei diesen Pilzen gemessen:

  • Schnecklingsarten
  • Gelbstieliger Trompetenpfifferling
  • Gemeiner Rotfußröhrling
  • Maronenröhrling
  • Mohrenkopfmilchling
  • Ockertäubling
  • Rotbrauner Scheidenstreifling
  • Violetter Lacktrichterling
  • Ziegenlippen 

Sie erreichten laut BfS in den letzten drei Jahren (2020 bis 2022) Aktivitätsgehalte von mehr als 1.000 Becquerel Cäsium-137 pro Kilogramm. Detaillierte Informationen zu den Messwerten finden Sie hier.

Nur geringe Konzentrationen ergaben sich dagegen bei:

  • Beutelstäubling
  • Filzröhrling
  • Hasenröhrling
  • sternschuppiger Riesenschirmling
  • Weißer Büschelrasling

Höchstgrenze für Strahlenbelastung

Pilze, die in den Handel gelangen, müssen nach Worten von BfS-Präsidentin Inge Paulini Grenzwerte für radioaktives Cäsium-137 einhalten. Pilze, deren Cs-137-Gehalt 600 Bq pro kg Frischmasse überschreitet, dürfen in Deutschland nicht verkauft werden. Das gilt nicht für den Eigenverzehr: "Wer selbst Pilze sammelt, ist nicht von diesem Grenzwert geschützt."

Ihr Rat: Vor dem Genuss selbst gesammelter Pilze solle man sich gut informieren und sie auch nur in Maßen verzehren. "Letztlich ist es eine persönliche Entscheidung: Der gelegentliche Verzehr höher belasteter Pilze führt zwar nur zu einer geringen zusätzlichen Strahlendosis. Sie lässt sich aber leicht vermeiden, wenn man potenziell besonders hoch belastete Pilzarten im Wald stehen lässt."

Strahlenbelastung bei 200 Gramm Waldpilzen pro Woche

Zur Einordnung erläuterte das Bundesamt: Ein erwachsener Mensch, der jede Woche eine Mahlzeit aus 200 Gramm Pilzen mit 2.000 Becquerel Cäsium-137 pro Kilogramm verzehre, bekomme dadurch pro Jahr eine zusätzliche Strahlendosis von 0,27 Millisievert. Das entspreche etwa einer Belastung wie bei 20 Flügen von Frankfurt am Main nach Gran Canaria.

Cäsium-137 kann sich nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) im Knochengewebe einlagern und dort das Erbgut schädigen. Langfristig kann das zu Knochenkrebs und Leukämie führen. Cäsium-137 ist ein radioaktives Isotop, das nicht in der Natur vorkommt. Es entsteht unter anderem bei der Kernspaltung in Kernkraftwerken. Seine Halbwertszeit beträgt circa 30 Jahre: Die Menge, die 1986 in den Boden gelangt ist, hat sich inzwischen mehr als halbiert.

Das BfS untersuchte für seinen jährlichen Pilzbericht insgesamt 165 Pilzarten, die an ausgewählten Standorten in Süddeutschland gesammelt worden waren.

Auch Wildschweine radioaktiv belastet

Neben Pilzen trifft die radioaktive Belastung auch Wildschweine, die sich von den verstrahlten Pilzen ernähren.

Die teils hohe radioaktive Belastung der Wildtiere vor allem in Bayern geht einer aktuellen Studie zufolge aber nicht nur auf die Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl zurück. Sondern auch zu einem unerwartet hohen Teil auf Atomwaffenversuche. Der sogenannte "Fallout", also Niederschlag, dieser Versuche habe sich weltweit verteilt und sei natürlich auch in Bayern niedergegangen, heißt es jetzt im Fachmagazin "Environmental Science & Technology". Teils stammten zwei Drittel des radioaktiven Cäsiums in den untersuchten Tieren aus Atomwaffenversuchen, die vor allem in den 1950er Jahren oberirdisch gezündet wurden.

Die Forscher um den Radioökologen Georg Steinhauser von der Technischen Universität Wien hatten rund 50 in Bayern erlegte Wildschweine aus den Jahren 2019 bis 2021 untersucht. Dabei stellten sie eine Belastung mit Cäsium-137 von 370 bis zu 15.000 Becquerel pro Kilogramm fest: Damit wurde der EU-Grenzwert für den Verzehr, der bei 600 Becquerel liegt, um das bis zu 25-Fache überschritten.

Wildschweine graben nach verstrahlten Trüffeln

"Verantwortlich dafür dürfte der Hirschtrüffel sein, der unterirdisch lebt", so Steinhauser. Vor allem wenn das Futter an der Oberfläche gegen Ende des Winters knapp werde, müssten die Wildschweine graben und sich von dem Pilz ernähren. Das erkläre auch, warum im Winter geschossene Schweine tendenziell stärker kontaminiert seien.

Atomwaffen waren vor allem in den 1950er Jahren bis 1963 von den USA und der Sowjetunion oberirdisch getestet worden. Daraus stamme der Hauptanteil der radioaktiven Belastung, spätere Tests hätten eine untergeordnete Bedeutung, so Steinhauser. Weil das Cäsium nur langsam durch den Boden wandere, komme es erst spät bei dem Pilz an. "So erklärt sich, dass das 'alte' Cäsium überproportional im Wildschwein ist – das Tschernobyl-Cäsium ist beim Hirschtrüffel noch gar nicht in vollem Ausmaß angekommen."

Weiterlesen auf oekotest.de: